Weniger Rente für Kinderlose?

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. September 2003, S. 14

Die Bewertung der Kindererziehung für die gesetzliche Rente ist umstritten

Bis zum Jahr 2035, dem Maximum der demographischen Krise unseres Landes, wird sich die Zahl der Alten relativ zur Zahl der Jungen verdoppeln. Nach dem bis 1992 gültigen Rentensystem hätte diese Entwicklung auch die Rentenlast von jetzt 20 auf gut 40 Prozent der Bruttolöhne der Versicherten verdoppelt. Inzwischen wurden aber mehrere Rentenkürzungen für die Krisenjahre beschlossen, die sich auf etwa ein Viertel summieren.

Nach der heute gültigen Rentenformel wird die Rentenlast in Relation zu den Bruttolöhnen der Versicherten "nur" noch auf etwa 32 Prozent anwachsen, wovon 25 Prozentpunkte als Beitragssatz offen ausgewiesen und 7 Prozentpunkte als Bundeszuschuß im Steuersystem untergebracht werden. Auch das ist freilich viel zu viel. Weitere Maßnahmen zur Kürzung der Renten und Beitragslasten in den Krisenjahren sind unabwendbar.

Der Hauptgrund für die erforderlichen Rentenkürzung liegt in der Kinderarmut. In Deutschland bringen hundert Frauen gerade einmal 135 Kinder zur Welt. Das reicht nicht, um diese Frauen, ihre Männer und ihre kinderlos bleibenden Altersgenossen im Rentenalter auf dem heute angestrebten Niveau zu ernähren. Die Riester-Rente ist eine prinzipiell richtige Antwort auf die absehbaren Probleme. Eine Generation, der es an Kindern fehlt, muß sparen, um ihre magere Rente durch eigene Ersparnisse aufbessern zu können. Das fehlende Humankapital muß durch Realkapital ersetzt werden.

Die Frage ist allerdings, ob alle Mitglieder dieser Generation in gleicher Weise von den Rentenkürzungen und dem kompensierenden Riester-Sparen betroffen sein sollen. Ich plädiere aus zwei Gründen für eine Konzentration der notwendigen Korrekturmaßnahmen auf die Kinderlosen. Erstens verfügen nur die Kinderlosen über die für das Riester-Sparen nötige Leistungsfähigkeit. Ihnen steht das Geld, das Eltern in die Kindererziehung stecken, für eine Anlage am Kapitalmarkt zur Verfügung. Eltern bilden mit der Erziehung ihrer Kinder Humankapital und finanzieren ihre Rente damit selbst. Kinderlose sollten wenigstens einen Teil ihrer Rente selbst finanzieren, indem sie eine Riester-Rente erwerben. Das gilt auch für ungewollt Kinderlose. Auch sie können das Geld, das sie für die Kindererziehung verwendet hätten, für den Kauf entsprechender Versicherungsprodukte verwenden.

Zweitens ist die Rentenkürzung für Kinderlose ein Stück Ursachenbekämpfung. Unsere Rentenversicherung ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit, die die Beiträge der Kinder sozialisiert und sie unter allen Mitgliedern der älteren Generation verteilt, einschließlich jener, die selbst keine Beiträge zur Finanzierung der Kindererziehung geleistet haben. Die Vollversicherung gegen Kinderlosigkeit ist ein wesentlicher Grund für die geringe Kinderzahl der Deutschen. Mit der Rentenkürzung für Kinderlose wird der Grad der Sozialisierung zurückgeschraubt, und ein Teil der natürlichen ökonomischen Motive für den Kinderwunsch kommt wieder zum Vorschein.

Die Umsetzung dieses Vorschlages läßt sich am besten bewerkstelligen, wenn das alte Rentensystem gedeckelt und um eine Kinderrente und die Riester-Rente ergänzt wird, die beide im Laufe der Zeit allmählich aufgebaut werden. Der Beitragssatz und der anteilige Bundeszuschuß werden im alten Rentensystem eingefroren. Die Mittel für Beamtenpensionen werden in ähnlicher Form gedeckelt. Die Verdoppelung der Zahl der Alten relativ zu den Jungen wird dann bis zum Jahr 2035 eine Halbierung der Renten und Pensionen relativ zu den Bruttolöhnen bewirken.

Die Kinderrente schafft den Ausgleich. Sie wird durch Beiträge aller Erwerbstätigen finanziert und allen Eltern, auch den Selbständigen, Beamten und nicht Erwerbstätigen, in Abhängigkeit von der Kinderzahl gewährt. Sie ist so austariert, daß der durchschnittlich verdienende Rentenversicherte mit drei Kindern in der Summe aus seiner Alt-Rente und der Kinderrente im Bereich des Krisenjahres 2035 auf das Niveau kommt, das nach der heute gültigen Rentenformel angestrebt wird. Wer weniger als drei Kinder hat, muß eine Riester-Rente ansparen, die das Defizit im Vergleich zu einer Drei-Kinder-Rente ausgleicht. Dies sind die Eckpfeiler eines krisenfesten Rentensystems, das Deutschland wieder eine Zukunft gibt.

Contra

Es ist unstreitig, daß der Lastenausgleich für Familien mit Kindern weiter verbessert werden sollte. Diese Verbesserung hat aus Gründen der Gleichbehandlung allen Familien zugute zu kommen und es haben sich alle an ihrer Finanzierung entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu beteiligen. Dies ist nur möglich, wenn sich der Ausgleich gesamtgesellschaftlich vollzieht und über Steuern finanziert wird. Mit diesen Grundprinzipien ist eine Kürzung der Rente für Kinderlose unvereinbar.

Der Familienlastenausgleich ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weil die Gesellschaft in all ihren Bereichen auf das Nachwachsen von Generationen angewiesen ist. Dies gilt auch für die Alterssicherung. All ihre Systeme - nicht nur die Rentenversicherung, auch die Beamtenversorgung und die kapitalgedeckte betriebliche oder private Vorsorge - sind darauf angewiesen, daß die nachwachsenden Generationen über Beiträge oder Steuern die Mittel für diese Leistungen aufbringen. Angespartes Kapital muß "entspart" werden, auch dazu wird die nachwachsende Generation gebraucht. Eine Anlage im Ausland ist, wie sich gezeigt hat, sehr risikoreich, zudem müssen sich fast alle Staaten auf das Altern ihrer Bevölkerung einstellen.

Sollen Kinderlose sich stärker an den Kosten des Aufziehens der nächsten Generation beteiligen, geht dies nur über Steuern. Geschähe es über niedrigere Leistungen oder höhere Beiträge in der Rentenversicherung, dann wären Personen, die nicht rentenversichert sind, in diesen Ausgleich nicht mit einbezogen. So brauchten sich an seiner Finanzierung kinderlose Beamte, Politiker, Richter und Selbständige nicht zu beteiligen. Betroffen wären auch nur Einkommen bis zur Beitragsbemesssungsgrenze, zur Zeit 5100 Euro im Monat. Andererseits würden Eltern, die nicht rentenversichert sind, keinen Ausgleich für ihre Erziehungsleistung erhalten, obwohl auch ihre Kinder später wahrscheinlich Beitragszahler werden.

Umgekehrt würden auch Eltern einen Ausgleich erhalten, deren Kinder später Beamte oder selbstständig werden oder aus anderen Gründen keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichten. Deshalb kann die Finanzierung des Familienlastenausgleichs nur über Steuern erfolgen, die im Gegensatz zu den Rentenbeiträgen alle Einkommen erfassen und progressiv an der Leistungsfähigkeit des Einzelnen orientiert sind. Ein mit Sozialversicherungsbeiträgen finanzierter sozialer Ausgleich erfolgt immer "von unten nach oben". Daher werden die Beiträge für Kindererziehungszeiten heute ordnungspolitisch richtig aus Steuermitteln des Bundes finanziert.

Merkwürdigerweise wird die Kürzung der Versorgung stets nur für kinderlose Rentner vorgeschlagen, nie etwa für Beamte, obwohl Rentner für ihre Versorgung Beiträge entrichtet haben, Beamte nicht. Verfassungsrechtlich ginge es weder im Renten- noch im Beamtenrecht. Die Rente genießt wegen der gezahlten Beiträge den Eigentumsschutz des Grundgesetzes, die Beamtenversorgung einen ähnlichen Schutz. Würden die Renten der kinderlosen Versicherten halbiert, stünde den gezahlten Beiträgen mit einer dann in den allermeisten Fällen unter dem Sozialhilfeniveau liegenden Rente keine äquivalente Leistung gegenüber. Um dieser Ungerechtigkeit zu entgehen, würden viele Kinderlose versuchen, sich der Beitragspflicht zu entziehen, etwa über Schwarzarbeit.

Das ist kein vernünftiger Weg. Die heutige Konzeption ist richtig, sie sollte ausgebaut werden. In der Rentenversicherung findet schon ein erheblicher Familienlastenausgleich statt. Insbesondere die Anrechnung von drei Erziehungsjahren für alle nach 1991 geborenen Kinder, die Aufwertung von Pflichtbeiträgen bis maximal zum Durchschnittsverdienst (rund 2500 Euro/Monat) vom vierten bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes sowie der Kinderzuschlag zur Hinterbliebenenrente können den Rentenanspruch beim ersten Kind um bis zu 191 Euro im Monat erhöhen.

Der erziehende Elternteil spart damit in der Erziehungsphase je Kind derzeit bis zu 41 600 Euro Beitragszahlung. Wenn Konsens besteht, daß das nicht ausreicht, dann sollte man insbesondere für Personen, die mehrere Kinder erziehen, die Kindererziehungszeiten verlängern. Gerade in diesen Fällen ist es für den erziehenden Elternteil sehr schwierig, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

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