Anmerkungen zum Streit um die ¸¸Basarökonomie" / 1,26 Millionen Stellen verloren
Deutschland spezialisiert sich auf die kundennahen Endstufen der Industrieproduktion und verlagert die arbeitsintensiven Vorproduktstufen in andere Länder. Das Land, das schon heute zwei Drittel der großen Industriemessen der Welt beherbergt, entwickelt sich weiter auf seinem Weg in Richtung Basarökonomie. Pro Produkteinheit fällt der deutsche Wertschöpfungsanteil am deutschen Export außerordentlich rasch. Während im Durchschnitt 38 Prozent der deutschen Exporte aus Importen bestehen, entfallen vom jedem zusätzlichen Euro realen Exports bereits 55 Cent auf solche Importe. Das heißt nicht, dass die exportinduzierte Wertschöpfung als solche sinkt. Es heißt nur, dass sich Exportvolumen und Wertschöpfung entkoppeln. Für ein Prozent Zunahme der Wertschöpfung im Export steigt das Exportvolumen in Deutschland um 1,36 Prozent.
Die Deutschen spezialisieren sich immer mehr auf Basar-Tätigkeiten und verdienen dort gutes Geld. Zugleich schleusen die Basare pro Wertschöpfungseinheit immer größere Gütermengen durch das Land. Kein Wunder, dass Deutschland hinter den Vereinigten Staaten zum Vizeweltmeister beim Export geworden ist.
Viele meinen, die Spezialisierung auf Basar-Tätigkeiten müsse zur Verringerung der Wertschöpfung im Export führen. Aber das ist nicht so. Vielmehr liegt es geradezu in der Natur der internationalen Spezialisierung, dass die Wertschöpfung im Export überdurchschnittlich steigt; die Spezialisierung auf Basar-Tätigkeiten ist hier keine Ausnahme. Auch das von der Süddeutschen Zeitung (SZ vom 2.5.) zitierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) irrt, wenn es eine Spezialisierung auf Basar-Tätigkeiten mit einer Abnahme der Wertschöpfung im Export gleichsetzt.
Die eigentliche Frage ist, wie diese Spezialisierung und der mit ihr einhergehende Boom bei der exportinduzierten Wertschöpfung zu bewerten ist. Sie kann mit dem bloßen Hinweis auf die Zunahme der exportinduzierten Wertschöpfung nicht beantwortet werden. Das geht schon deshalb nicht, weil jede Spezialisierung mit einer Abnahme der relativen Wertschöpfung in anderen Sektoren einhergeht, die von den Importen verdrängt werden. Man kann sich auch zu viel spezialisieren.
Um ein Werturteil fällen zu können, muss man den Arbeitsmarkt anschauen, denn dieser Markt muss die Last der Sektorwanderungen tragen. Leider gibt es hier für Optimismus keinen Anlass. Von 1995 bis 2004 sind im produzierenden Gewerbe ohne den Bau insgesamt 1,26 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, wenn man in Vollzeitäquivalenten rechnet. Gleichzeitig sind im ganzen Rest der Wirtschaft keine neue Stellen entstanden. Sogar dort ging die Beschäftigung etwas zurück, so dass über alle Sektoren netto ein Verlust von 1,29 Millionen vollzeitäquivalenten Stellen zu beklagen ist.
Zeichen der Schwäche
Die Erklärung für die Koinzidenz von wachsender Arbeitslosigkeit und Exportboom liegt in den hohen und starren Löhnen, unter denen Deutschland immer noch leidet. Sie machen die arbeitsintensiven Vorproduktstufen zu schnell kaputt und behindern auch andere arbeitsintensive Sektoren wie zum Beispiel die Textilindustrie, die einfachen Dienstleistungen, den Tourismus oder den Bau. In den arbeitsintensiven Sektoren wird sehr viele Arbeit und sehr viel Kapital freigesetzt. Die freigesetzten Produktionsfaktoren drängen in die kapitalintensiven Exportsektoren, die noch am ehesten mit den hohen Löhnen zurecht kommen. Diese Sektoren entwickeln sich deswegen besonders rasch. Aber sie können wegen ihrer hohen Kapitalintensität nur das Kapital voll beschäftigen. Der größte Teil der arbeitslos gewordenen Menschen wird dort nicht mit aufgenommen, sondern wandert in den Sozialstaat. Das Wachstum erlahmt, während der Export brummt. Das Land leidet unter einem pathologischen Exportboom.
Da die Kapitalrenditen durch die hohen Löhne gering gehalten werden, wird übrigens kaum noch investiert, und der Überschuss der Ersparnisse über die Investitionen fließt als Kapital ins Ausland. Dass viele gerade den Exportboom und den Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz, der diesen Kapitalabfluss misst, als Zeichen der Stärke des Standortes interpretieren, kann man nur mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen.
Prof. Dr. Hans Werner Sinn ist Präsident des Ifo-Instituts München