Cuius regio, eius religio

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Wiener Zeitung, 19.02.2008, S. 2

Religiös sind die Deutschen getrennt wie eh und je. 31 Prozent der Bevölkerung sind Katholiken, 31 Prozent Protestanten. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 ist bald ein halbes Jahrtausend her, doch noch immer richtet sich die Religion in erster Linie nach dem Wohnort. „Cuius regio, eius religio“ („Wessen Region, dessen Religion“), gilt nach wie vor.

Ungeachtet des Streits über den wahren Glauben konnten sich die Protestanten lange Zeit einbilden, insofern die bessere Religion zu haben, als sie wirtschaftlich erfolgreicher sind. Wie Max Weber das erklärte, ist wohlbekannt. Da die Protestanten glaubten, Gottes Segen liege auf den wirtschaftlich Erfolgreichen, strengten sie sich besonders an. In der Tat ist das Durchschnittseinkommen der deutschen Protestanten auch heute noch höher als jenes der Katholiken, und noch immer sind die protestantischen Regionen erfolgreicher als die katholischen.

Max Weber gewann seine Erkenntnisse aus empirischen Studien seines Schülers Martin Offenbacher in Baden. Dabei ergab sich die positive Korrelation zwischen Erfolg und Protestantismus eindeutig. Aber stimmt die Theorie? Steckt hinter dieser Korrelation tatsächlich die protestantische Ethik?

Sascha Becker und Ludger Wößmann haben dazu nun Zweifel angemeldet und sind Webers These nochmals in aller Gründlichkeit nachgegangen. Sie haben alte preußische Datensätze zu Wirtschaftstätigkeit, Analphabetentum und Wirtschaftskraft aus dem 19. Jahrhundert und aus früheren Zeiten gesichtet und mit den Methoden der modernen Ökonometrie im Hinblick auf relevante Korrelationen untersucht. Die Unterschiede zwischen Preußens katholischen und evangelischen Regionen gaben ihnen bei weitem genug empirisches Material, um zu statistisch hoch gesicherten Erkenntnissen zu gelangen. Herausgekommen ist eine neue Kausalität zwischen Religion und wirtschaftlichem Erfolg, die mit protestantischer Ethik nichts zu tun hat. Es ist schlicht die bessere Bildung der Protestanten, die die höheren wirtschaftlichen Erfolge erklärt.

Martin Luther wollte, dass die von ihm ins Deutsche übersetzte Bibel tatsächlich gelesen wurde, und dafür musste er das Analphabetentum bekämpfen. Er wies die zum Protestantismus übergetretenen Fürstentümer an, neben Kirchen auch Schulhäuser zu bauen. Mit ihrem wesentlich höheren Bildungsstand konnten sich die protestantischen Regionen rascher industrialisieren und einen höheren Wohlstand erreichen. Der wirtschaftliche Erfolg war also ausschließlich auf die bessere Bildung zurückzuführen und nicht etwa auf Unterschiede bei der Religionszugehörigkeit.

Für Katholiken mag diese Erkenntnis keine Neuigkeit sein. Wie sollte auch das überwiegend katholische Bayern beeindruckt sein, das bei den Pisa-Tests besonders gut abgeschnitten hat. Aber die Protestanten müssen sich jetzt wohl doch von einem für sie angenehmen Geschichtsbild verabschieden.

Hans-Werner Sinn ist Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in München.