Hans-Werner Sinn ändert seine Meinung zum Euro – zumindest ein bisschen.
Er ist nicht gerade dafür bekannt, beim Thema Euro versöhnliche Töne anzuschlagen. Dennoch sagte Hans-Werner Sinn, Emeritus der Volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU und früherer ifo-Chef, bei seiner traditionellen Weihnachtsvorlesung am Dienstag kein Horrorszenario für den Währungsraum voraus: „Der große Knall wird nicht kommen“, sagte er. Das heißt jedoch nicht, dass er Europa nicht vor großen Herausforderungen sieht. Im Gegenteil. Sinn forderte sogar eine Neugründung Europas. Denn so wie jetzt könne es nicht weitergehen.
Um den Handlungsbedarf zu veranschaulichen, zeigte Sinn auf, dass die verarbeitende Industrie in den Euro-Krisenländern wie Italien, Spanien oder Griechenland seit Jahren kaum Wachstum verzeichnen. Sie müssten ihre Löhne und Preise drastisch senken, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Ohne Abwertung der Währung ist das eine schmerzvolle Aufgabe, die nur Irland erfolgreich gemeistert habe, bis dort das Rettungspaket kam. „Wenn Geld fließt, gibt es keine Reform“, sagte Sinn.
Was also tun? Viele Ökonomen und Politiker fordern eine Fiskalunion, also eine gemeinsame Ausgaben- und Steuerpolitik für die Euro-Zone. Sinn kann diesem Reformvorschlag wenig abgewinnen: „Das wäre ein Spaltungsprojekt, kein Einigungsprojekt.“ Denn wenn sich die Euroländer auf eine Vertiefung ihrer Beziehungen einigten, schlösse das andere wichtige EU-Länder aus – etwa die skandinavischen Länder oder Polen. Und nicht zuletzt Großbritannien. Diese Länder würden einer solchen Fiskalunion nie beitreten. Mit einer dicken roten Linie zeichnete Sinn eine Grenze um die Euro-Staaten, um zu illustrieren, dass sich dann ein kultureller Graben mitten durch Europa zöge.
Auch deswegen warb Sinn heftig dafür, die Briten möglichst nah an der Europäischen Union zu halten. Eine Möglichkeit wäre eine „attraktive assoziierte Partnerschaft“. Das sei im Interesse Deutschlands. Denn Großbritannien trage derzeit genauso viel zum europäischen Bruttoinlandsprodukt bei wie die zwanzig kleinsten Länder.
Zudem sei Großbritannien für Deutschland das drittwichtigste Exportland. Wäre der freie Handel blockiert, träfe das die deutsche Wirtschaft hart. „Freihandel ist immer ein Gewinn für die Länder. Aber nicht für alle darin lebenden Menschen. Man braucht den Sozialstaat, um die Verlierer zu kompensieren“, sagte Sinn mit Blick auf die Freihandelskritiker.
Bei den Reformen drängt er auf Tempo. Deutschland müsste viel daran liegen, Reformen zu verhandeln, solange die Briten noch mit am Tisch sitzen. Denn ohne sie hätten die Freihandelsbefürworter im Ministerrat keine Sperrminorität mehr.
Sinns Vorschläge gehen weit über den Euro hinaus. Er fordert eine „Neugründung“ der Europäischen Union. Im Zentrum stehe eine „Sicherheitspartnerschaft“, also eine gemeinsame Armee – „und zwar inklusive Osteuropas“. Weiter forderte er unter anderem, die Staatspapierkäufe zu stoppen, eine Konkursordnung für Staaten zu schaffen und eine atmende Währungsunion zu etablieren – das hieße, zeitweise oder dauerhafte Austritte aus dem Euro zuzulassen.
Er ging auch auf die Forderung des früheren britischen Premiers David Cameron ein. Der wollte, dass für ererbte Sozialansprüche wie etwa die Sozialhilfe das Heimatlandprinzip gelten soll. Damit müsste jeweils das Geburtsland für die Kosten aufkommen. Ob seine Vorschläge Gehör finden werden, wagte er jedoch nicht vorherzusagen.
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