Die Erdbevölkerung hat sich vom Beginn der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert bis heute von 600 Millionen auf sieben Milliarden Menschen vermehrt. Die fossilen Brennstoffe hatten jene Hälfte des Ackerlandes, die zuvor für den Hafermotor verwendet wurde, für die Ernährung der Menschen freigegeben und den ersten Bevölkerungsschub ermöglicht, aus dem heraus dann alles Weitere folgte.
In vielen westlichen Ländern allerdings gibt es zu wenige Menschen. Nicht grundsätzlich, sondern, weil der Rückgang der Bevölkerung, der aufgrund der niedrigen Geburtenraten zu erwarten ist, die fiskalischen Systeme, die alle von der Hand in den Mund leben, einer hohen Belastung aussetzt. Damit eine Bevölkerung nicht wächst und nicht schrumpft, muss die Fertilitätsrate etwa 2,08 sein, denn wenn man pro Generation hundert gebärfähige Frauen haben möchte, müssen 101 Mädchen geborenwerden, und wenn 101 Mädchen geborenwerden, erblicken 107 Jungen das Licht der Welt. So ist es nun mal mit der Biologie.
In den vierunddreißig entwickelten Ländern, die die OECD ausmachen, liegt die durchschnittliche Rate nur bei 1,74, in der EU liegt sie bei 1,58 und in Deutschland nur bei 1,38. Deutschland ist bei der Fertilitätsrate nicht das Schlusslicht. Das ist Südkorea (1,19), hinter Portugal (1,28), Griechenland (1,29) und Polen (1,30). Doch bei der Zahl der Neugeborenen pro 1000 Einwohnern liegt Deutschland mit einem Wert von 8,5 auf dem drittletzten Platz vor Japan (8,2) und Portugal (7,9). Aber wenn man die Kinder der Migranten herausrechnet, immerhin ein Drittel der Neugeborenen in Deutschland, liegt unser Land sogar auf dem letzten Platz.
Die Zahl der Alten ab 65 relativ zur Zahl der Jungen zwischen 15 und 64 schießt nach allen gängigen Prognosen überall in der westlichen Welt dramatisch nach oben, wobei die USA längerfristig eine relativ günstige und Japan die ungünstigste Entwicklung erwarten lässt.
In Deutschlandwird es gemäß der mittleren Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2030 doppelt so viele Alte relativ zu den Jungen geben wie im Jahr 2000. Für die umlagefinanzierten Sozialsysteme - die Rentenversicherung, die Krankenversicherung, aber auch den Staatsetat an sich - bedeutet dies, dass sich die prozentuale Beitrags- und Steuerbelastung der Jungen verdoppeln, dass sich das Versorgungsniveau der Alten relativ zu den Jungen halbieren oder dass irgendeine Zwischenlösung realisiert wird. So oder so wird es unangenehm für alle Beteiligten. Außerdem kommt uns die Arbeitsbevölkerung abhanden. Das wird der Wirtschaft ganz erheblich zusetzen.
Die naheliegende Lösung ist die Immigration. Diese Immigration wird einerseits durch den Wettbewerb um die besten Köpfe innerhalb des entwickelten Teils der Welt geschehen. Deutschland wird sich anstrengen müssen, dabei nicht das Nachsehen zuhaben. Das ist ein Nullsummenspiel, bei dem es hart zugeht und man aufpassen muss, dass man genug von den Richtigen bekommt.
Andererseits wird man eine Immigration aus den weniger entwickelten Teilen der Welt zulassen müssen, wo es zu viele Menschen gibt. Das wird freilich die Assimilationskraft der Gesellschaft vor hohe Herausforderungen stellen und nicht ohne Spannungen ablaufen. Ob das US-Modell, das darin besteht, die Ungleichheit der Welt im eigenen Land abzubilden, auf Dauer funktionieren kann, wird sich erst noch erweisen.
Eine Alternative ist der japanische Weg. Statt auf eine Zuwanderung zu setzen, will man dort die Automatisierung der Produktionsprozesse vorantreiben und setzt auf Roboter und intelligente Steuerungssysteme. Mehr und mehr sollen Automaten eingesetzt werden. Ob das reicht, wird man sehen. Auch das japanische Experiment ist noch nicht abgeschlossen.
Deutschland tut gut daran, sich auf einen Mittelweg zu begeben. Einerseits sollte es eine kluge Immigrationspolitik betreiben, indem es weltweit um gut ausgebildete Fachkräfte wirbt. Andererseits sollte es seine Spitzenposition im Industriebereich ausnutzen, um bei der Automatisierung der Produktionsprozesse weiterhin in der vordersten Front zu marschieren. Die Vernetzung der Logistik im Produktionsbereich und die Automatisierung des Straßenverkehrs sind Beispiele für gewaltige Produktivitätsreserven, die durch die Umlenkung der derzeit im Übermaß in den Kapitalexport fließenden Ersparnisse gehoben werden könnten.
Hans-Werner Sinn ist Chef des Münchener ifo Instituts und einer der einflussreichsten Ökonomen in Deutschland.