Martin Hellwig hat dem Präsidenten der Bundesbank, Jens Weidmann, in dieser Zeitung vorgeworfen, die Öffentlichkeit mit seinen Aussagen zu den Notkrediten der griechischen Notenbank in die Irre geführt zu haben. Weidmann hatte kritisiert, dass die Banken Ela-Kredite auch zu einer Staatsfinanzierung verwendet haben. Hellwig bestreitet das mit dem Hinweis, dass die Kredite lediglich den Abfluss von Kundeneinlagen kompensiert hätten. Diese Aussage ist falsch.
Ela-Kredite sind Notkredite aus frisch geschaffenem Geld, die die griechische Notenbank auf eigene Rechnung an die Geschäftsbanken ihres Hoheitsgebietes vergeben darf, wenn nicht zwei Drittel des EZB-Rates widersprechen. Sie dienen dazu, Liquiditätsengpässe solventer Geschäftsbanken zu überbrücken, nicht aber, um eigentlich insolventen Geschäftsbanken die Möglichkeit zu geben, notleidende Staaten zu stützen, denn das wäre die Aufgabe der Finanzpolitik. Dieser Grundsatz wurde von der EZB missachtet.
Als die Staatspapiere, die die griechischen Banken hielten, fällig wurden, und den Banken insofern neue Liquidität zugeflossen wäre, wurde den Banken gestattet, die Tilgungsbeträge nicht für die Rückzahlung der Ela-Kredite zu verwenden, sondern für den Erwerb neu emittierter Staatspapiere. Insofern wurde der griechische Staat sehr wohl durch die Ela-Kredite finanziert. Tatsächlich hat die EZB die am 3.7.2015 von der EFSF formell festgestellte Insolvenz des griechischen Staates seit Jahresbeginn verschleppt. Ohne die Ela-Notfallhilfen wäre der griechische Staat schon viel früher pleitegegangen, und die Verhandlungen wären schon vor Monaten zu einem Ende gekommen. Das Volumen der Ela-Kredite, die seit Jahresbeginn für den Kauf von Staatspapieren verwendet wurden, dürfte über zehn Milliarden Euro und damit weit über den 7,5 Milliarden Euro an fiskalischen Hilfskrediten gelegen haben, um deren Auszahlung es bei den Verhandlungen mit der Troika ging.
Hellwigs Denkfehler besteht darin, dass er aus dem empirischen Faktum, dass die Ela-Kredite die Depositenflucht ausglichen, schließt, der Staat sei nicht aus den Ela-Mitteln finanziert worden. In Wahrheit schließt sich beides nicht aus, weil die für den Kauf von Staatspapieren verwendeten Mittel über den Staat an die Staatsbediensteten und Rentner flossen, die sie dann in Form von Banknoten oder Auslandsüberweisungen von ihren Bankkonten abzogen. Hätte die EZB den Banken nicht erlaubt, Ela-Mittel für den Kauf von Staatspapieren zu verwenden, hätten die Empfänger der staatlichen Mittel sie auch nicht von ihren Konten abziehen können. Nicht Weidmann, sondern Hellwig führt die Öffentlichkeit in die Irre.
Uns selbst hat Hellwig im selben Artikel vorgeworfen, unrichtige Aussagen zur Haftung für die Ela-Kredite gemacht zu haben. Auch diese Behauptung weisen wir mit Nachdruck zurück. Es ist abermals Martin Hellwig selbst, der den Sachverhalt falsch darstellt.
Wir hatten darauf hingewiesen, dass die griechische Notenbank für die Ela-Kredite gegenüber dem Euro-System haften muss, aber nicht kann, weil die Haftungsmasse angesichts der fehlenden Nachschusspflicht des griechischen Staates zu klein ist. Während nämlich das Volumen der Ela-Kredite 89 Milliarden Euro beträgt, liegt die Haftungsmasse (bestehend aus der Summe aus dem griechischen Anteil an der Euro-Zentralbank-Geldmenge abzüglich der unverzinslichen Mindestreserven und zuzüglich des Eigenkapitals der griechischen Notenbank) nur bei 41 Milliarden Euro, wenn man davon ausgeht, dass auch die Pfänder - allzu häufig vom griechischen Staat besicherte Forderungstitel, mit denen sich die griechische Notenbank begnügte - ihren Wert verlieren. Die griechische Notenbank hat nach unserer Rechnung über die Summe hinaus, für die sie selbst geradestehen kann, 47 Milliarden Euro an Ela-Krediten vergeben.
Martin Hellwig bezweifelt, dass wir den EU-Vertrag gelesen haben. Da stehe nämlich nicht, dass die griechische Notenbank gegenüber den anderen Notenbanken für Verluste einstehe, sondern nur, dass Überschüsse oder Verluste auf solche Gewinne nicht vergemeinschaftet werden. Die Zinsen auf die Ela-Kredite würden im Gegensatz zu normalen Refinanzierungskrediten nicht in den gemeinsamen Zinstopf des Euro-Systems fließen, sondern stünden als Geldschöpfungsgewinn allein der griechischen Notenbank zu. Wenn es zu einem Ausfall der Ela-Kreditforderungen komme, verlöre die griechische Notenbank zwar diesen Geldschöpfungsgewinn, aber der stehe eben nur ihr selbst und nicht den anderen Notenbanken anteilig zu. Insofern hätten die anderen Notenbanken auch keine Verluste. Zwar würden sich durch die Sondergeldschöpfung Target-Verbindlichkeiten und Verbindlichkeiten aus einer überproportionalen Banknotenausgabe aufbauen. Jedoch könnten daraus nur dann Verluste resultieren, wenn Griechenland aus dem Euro ausscheide.
Es wäre ein schwerer Konstruktionsfehler des Euro-Systems, wenn Griechenland, das ja über eine Art Selbstbedienungsrecht bei den Ela-Krediten verfügt, nicht einmal Zinsen für diese Kredite an den Rest des Euro-Systems zahlen müsste. Dann wären die bislang aufgelaufenen 89 Milliarden Euro, immerhin ein halbes griechisches Bruttoinlandsprodukt, nicht nur als Hilfskredit, sondern als selbst definierbares Geschenk interpretierbar. Es wäre zu raten, den Maastrichter Vertrag sofort zu kündigen und neu zu verhandeln, wenn Hellwig mit dieser Interpretation recht hätte.
Aber er hat nicht recht. Vielmehr hat der Rest des Euro-Systems bei den Ela-Krediten grundsätzlich die gleichen Zinsansprüche wie bei normalen Refinanzierungskrediten. Diese Ansprüche sind im Gegensatz zu den normalen Refinanzierungskrediten sogar unabhängig davon, ob die Geschäftsbanken die Ela-Kredite bedienen. Die griechische Notenbank haftet rechtlich voll und ganz selbst, weil sie diese Kredite grundsätzlich nach eigenem Entscheid und nach eigenen Besicherungskriterien ausgeben darf.
Tatsache ist, dass die nationale Notenbank für die Ela-Kredite von den Banken einen Aufschlag auf den Zins für normale Refinanzierungskredite verlangt - normalerweise von gut einem Prozentpunkt. Lediglich diesen Aufschlag darf sie behalten. Der normale Zins in Höhe des Hauptrefinanzierungssatzes steht demgegenüber auch bei den Ela-Krediten dem Euro-System als ganzem zu, und zwar unabhängig davon, ob die damit finanzierten Geschäftsbanken den Kredit bedienen. Diese seit langem realisierte Praxis bei der Verrechnung der Zinsen auf Ela-Kredite wurde rechtlich durch den "Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 25. November 2010 über die Verteilung der monetären Einkünfte der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist" (EZB/2010/23), zuletzt geändert durch Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 15. Dezember 2014 (EZB/2014/56), festgelegt und stellt die relevante Rechtsinterpretation der von Hellwig zitierten Passage des Maastrichter Vertrages dar. Leider hat Hellwig nur einen Interpretationsfehler von Willem Buiter übernommen, der bereits in der Literatur widerlegt wurde.*
Deshalb ist es sehr wohl ein Problem, wenn die griechische Notenbank mangels Masse nur teilweise haften kann. Und deshalb messen die aus den Ela-Krediten resultierenden Target-Salden im Gegensatz zu Hellwig bereits dann ein Risiko für die anderen Staaten, wenn Griechenlands Finanzsystem in den Konkurs geht. Hellwigs Aussage, mit den Target-Salden sei erst dann ein möglicher Verlust der Staatengemeinschaft verbunden, wenn Griechenland den Euro verlässt, wiederholt zwar ein häufig zu hörendes Vorurteil, sie ist aber falsch. Die Target-Salden messen Nettoüberweisungen ins Ausland, die aus einer überproportionalen lokalen Geldschöpfung resultieren, und sie messen zugleich den Gegenwartswert der daraus entstehenden Zinsansprüche des Restes des Euro-Systems gegenüber der nationalen Notenbank. Diese Zinsansprüche können nach der rechtlichen Konstruktion des Euro-Systems verloren gehen, wenn die Geldschöpfung mittels normaler Refinanzierungskredite stattfindet, und sie können mangels Haftungsmasse faktisch verlorengehen, wenn Ela-Kredite dahinterstehen. Das gilt unabhängig von der Frage, ob es zu einem Austritt aus der Währungsunion kommt.
* Hans-Werner Sinn, The Euro Trap, Oxford University Press 2014, p. 169-175.