Man könnte "Schrott" sagen

Hans-Werner Sinn sieht die Europäische Zentralbank auf dem Weg zur Bad Bank.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt, 06.11.2014, S. 48

Mutiert die EZB mit ihrem ABS-Kaufprogramm zu einer "Bad Bank"?, wie es von ]ürgen Stark, dem ehemaligen Chefvolkswirt der EZB, gemutmaßt wurde? Oder hat Marcel Fratzscher recht, wenn er die Kritiker der EZB wegen des Gebrauchs solcher Vokabeln der "unverantwortlichen Panikmache" bezichtigt?

Marcel Fratzscher argumentiert, es gebe kein Risiko, denn die EZB kaufe nur die sichersten Tranchen der ABS-Papiere. Die Ausfallwahrscheinlichkeit sei vernachlässigbar. Also geht es doch nicht um Warren Buffetts "Massenvernichtungswaffen", wie viele meinen?

Vielleicht doch. Natürlich könnte man die Sicherheit herstellen, indem man besonders hohe Standards verordnet. Aber gerade das wird die EZB nicht tun. Wie ihr Präsident Draghi anlässtich einer Pressekonferenz am 2. Oktober klarlegte, wird sie im Falle Griechenlands und Zyperns auch Papiere unterhalb des Ratings BBB (bzw. CQS3) erwerben - und das ist nun . einmal kein Investment-Grade mehr. Man könnte auch Schrott dazu sagen. Insofern ist "Bad Bank" gerechtfertigt.

Das Problem liegt freilich nicht nur in den Ausfallen an sich, sondern in den politischen Folgewirkungen. Damit die erworbenen ABS-Papiere nicht ausfallen und die Schuldner ihre Zahlungsverpflichtungen erfüllen können, wird die EZB bei Fälligkeit stets für Ersatzkredite sorgen müssen. Der Steuerzahler, der als stiller Eigentümer der nationalen Notenbanken für die kollektiven Abschreibungsverluste haftet, hängt also permanent an der Angel.

Tatsächlich dient das neue Kaufprogramm bereits der Anschlussfinanzierung, denn schon vorher hatten die Zentralbanken der Krisenländer den lokalen. Geschäftsbanken riesige Sonderkredite aus den nationalen Druckerpressen zukommen lassen, die durch die Target-Salden gemessen werden. In der Spitze waren es für Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien und Zypern 1002 Milliarden Euro. Die Rettungskredite, die über die offiziellen Rettungssysteme EFSF, EFSM, ESM etc. liefen, waren ein Klacks dagegen.

Das wichtigste Instrument, mit dem die EZB die Selbsthilfe aus den nationalen Druckerpressen ermöglichte, war die Absenkung der Sicherheitsstandards für Pfänder, die die Banken für diese Kredite hinterlegen mussten. Die EZB hatte zunächst mit Pfändern der höchsten Bonitätsstufe angefangen, doch als deren Vorrat zur Neige ging, erlaubte sie den Banken, immer schlechtere Pfänder aus ihren Bilanzen herauszukratzen. Zum Schluss durften die nationalen Notenbanken Staatspapiere in Zahlung nehmen, die nicht einmal mehr mit BBB- bewertet wurden. Außerdem hat die EZB die Standards für ABS-Pfänder, die die Banken aus ihren Kreditforderungen zusammengeschnürt hatten, im Laufe der Zeit bis hart an die Schrottgrenze gesenkt.

Um den Wert der Pfänder zu sichern, hat sich die EZB entschlossen, sie zu kaufen. Anfangs kaufte sie für 223 Milliarden Euro Staatspapiere (SMP) und nun die ABS-Papiere. Erst gibt man den kleinen Finger, dann wird die ganze Hand benötigt. Die ABS-Käufe werden dazu führen, dass die Banken nun eifrig neue ABS-Papiere konstruieren, denen sie immer mehr toxische Kreditforderungen beimengen, um ihre Bilanzen zu säubern. Außerdem werden die Käufe zu einer Höherbewertung . auch der nicht verkauften Bank-Aktiva führen, was den Banken rechnerisch neues Eigenkapital zuschwemmt.

Diese Politik stellt nicht nur eine verbotene fiskalische Bankenrettung dar, sie bedeutet vor allem auch eine massive regionale Investitionslenkung, die Europa nicht gut bekommen wird. In den ersten zehn Jahren nach der Ankündigung des Euros ist bereits sehr viel Sparkapital vom Norden der Euro-Zone in den Süden geflossen und wurde dort unproduktiven Verwendungen zugeführt. Kein Wunder, dass Euro-Land langsamer wuchs als jede andere Großregion der Erde.

Statt für dringend benötigte Investitionsprojekte im Norden eingesetzt zu werden, wurde das Geld in Südeuropa von Staatsbediensteten aufgegessen und von Immobilienhaien in Geisterstädten versenkt. Seit die Kapitalmärkte ihren Fehler erkannten und ihre Portfolio-Entscheidungen korrigierten, versuchen EZB und Politik fast wie in einer Zentralverwaltungswirtschaft, das Sparkapital über Öffentliche Kanäle oder mit öffentlichem Begleitschutz (OMT) weiterhin an Orte zu lenken, wo es eigentlich nicht mehr hinwill.

Das wird nun mit den ABS-Käufen weiter perfektioniert. Noch mehr Sparkapital wird in inferiore, aber politisch opportune Verwendungen gelenkt, und Europa wird ein weiteres Jahrzehnt verlieren.