MÜNCHEN – Das Transatlantische Handels- und Investitionsschutzabkommen (TTIP), über das die EU und die USA derzeit intensiv verhandeln, schlägt hohe Wellen. Im Vordergrund der öffentlichen Debatte steht die Angst vor einem unzureichenden Verbraucherschutz, die sich am Thema der Chlorhühnchen festmacht. In Amerika werden geschlachtete Hühnchen mit Chlorwasser gewaschen, in Europa werden sie zu Lebzeiten mit Antibiotika vollgepumpt. Dass ersteres die schlechtere Alternative sei, versuchen die Interessenverbände den deutschen Verbrauchern mit einer geradezu lächerlichen Kampagne weiszumachen.
In Wahrheit ist der Verbraucherschutz in den USA um Klassen besser und strikter als in der EU, wo nach dem Cassis-de-Dijon-Urteil des EuGH der für alle Länder gültige Mindeststandard vom Land mit dem jeweils schlechtesten Standard festgelegt wird. Die Food and Drug Administration der USA ist eine mächtige Behörde, die höchste Produktstandards durchsetzt. Die europäischen Verbraucher würden von niedrigeren Preisen und einer besseren Produktqualität profitieren, wenn sie in den USA einkaufen dürften.
Dass ein Abkommen zwischen den USA und den EU-Ländern geschlossen wird, ist sinnvoll, weil die Versuche, über die Welthandelsorganisation WTO zu einem weltweiten Abkommen zu gelangen, kläglich gescheitert sind. Doha war ein Flop, und was in Bali als Erfolg verkauft wurde, war nicht mehr als ein Abkommen zur Beschleunigung der Zollerhebung. Nach Lage der Dinge kommt man nur mit bilateralen Abkommen weiter. Die EU hat bereits ein bislang noch geheimes Abkommen mit Kanada verhandelt (CETA), das nun die Basis für das neue TTIP-Abkommen mit den USA werden soll.
Solche Abkommen sind im Grundsatz nützlich, denn Handelserleichterungen erlauben es den beteiligten Ländern, sich auf das zu spezialisieren, was sie besonders gut können. Wie Ralph Ossa in einem NBER Working Paper aufzeigt, wäre der deutsche Lebensstandard um die Hälfte kleiner, hätte Deutschland keinen Zugang zu internationalen Märkten. Und Gabriel Felbermayr vom ifo Institut hat prognostiziert, dass der deutsche Lebensstandard durch die Handelserleichterungen des TTIP um 3% bis 5% wachsen könnte.
Allerdings bergen Handelsabkommen auch Gefahren. Da ist zunächst das Problem der Handelsumlenkung, das schon 1951 von Jacob Viner analysiert wurde. Wenn eine Zollsenkung zwischen zwei Ländern dazu führt, dass die Verbraucher Drittländer meiden, obwohl die Waren dort eigentlich billiger sind, kann es zu einer Wohlfahrtsminderung kommen, weil der Vorteil der Verbraucher kleiner als die Verminderung der Zolleinnahmen der Staaten ist.
Deswegen sind Öffnungsklauseln erforderlich, die anderen Ländern die Möglichkeit geben, zu gleichen Bedingungen teilzunehmen. Das gilt insbesondere für China und Russland. Vorstellungen, eine ökonomische NATO zur Ausgrenzung der verbleibenden ex-kommunistischen Machtblöcke zu bilden, sind aus ökonomischer und politischer Sicht strikt abzulehnen. Es wäre sogar gut, den beiden Ländern bereits im Verhandlungsprozess ein Mitspracherecht einzuräumen.
Ein weiteres Problem betrifft den Investitionsschutz. Es ist in Ordnung, wenn die EU die Verantwortung übernimmt, wenn ihre eigenen gesetzgeberischen Maßnahmen im Bereich des Gesundheits- oder Umweltschutzes faktisch den Charakter von Handelshemmnissen annehmen. Ein Beispiel sind die EU-Richtlinien zur Deckelung des CO2-Ausstoß für Autos, die in Wahrheit eine verkappte Industriepolitik zum Schutz französischer und italienischer Kleinwagen sind. Der Investitionsschutz wird einem solchen Missbrauch Grenzen setzen.
Indes wäre es äußerst problematisch, wenn die EU ausländischen Investoren Schutz gegenüber einem Konkurs europäischer Staaten gewähren würde, denn dann würde TTIP zu einem Mittel zur Kollektivierung der Haftung innerhalb der EU. Darauf hat Norbert Häring vom Handelsblatt vor Kurzem hingewiesen. Wenn ausländische Finanzinvestoren auf den gemeinschaftlichen Schutz der EU-Länder rechnen könnten und sich deshalb mit niedrigen Zinsen an überschuldete Staaten zufrieden geben würden, wäre die Selbstkorrektur der Kapitalmärkte außer Kraft gesetzt, denn die niedrigen Zinsen böten diesen Staaten Anreize, sich noch weiter zu verschulden. Das wäre der nächste Akt im europäischen Schuldendrama. Die möglichen Handelsgewinne können gar nicht so groß sein, als dass sie die daraus entstehenden Nachteile kompensieren können. TTIP darf nicht zu Eurobonds durch die Hintertür führen.
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