Focus Money online, 18. April 2017
Die lockere Geldpolitik der EZB ist nicht nur schlecht für die Sparer. Hans-Werner Sinn erklärt im Interview mit FOCUS Online warum der Euro noch platzen könnte und welche Gefahr von Italien und Frankreich ausgeht.
FOCUS Online: Die EZB setzt weiterhin auf ihre ultralockere Geldpolitik. Wird das die Wirtschaft im Euroraum tatsächlich wieder in Schwung bringen?
Sinn: Die lockere Geldpolitik hat dazu geführt, dass vor allem die südeuropäischen Länder sich im Eurosystem Überziehungskredite besorgt haben, um dafür Güter im Ausland zu kaufen und ihre Schulden bei privaten Investoren zu tilgen. Die Bundesbank musste inzwischen für über 800 Milliarden Euro Zahlungsvorgänge kreditieren, was durch die sogenannten Target-Salden in ihrer Bilanz gemessen wird. Der Löwenanteil dieser Kredite floss nach Italien und Spanien. Viel ging aber auch nach Griechenland und Portugal. Diese Länder leben auf Pump bei der Bundesbank. Die Bundesbank-Kredite verhinderten den Kollaps Südeuropas, aber sie führten auch zu Missbrauch, weil sie Reformen entbehrlich machten.
FOCUS Online: Haben die Krisenländer denn die Zeit für Reformen genutzt?
Sinn: Nein. Genau das Gegenteil ist der Fall, es gibt keine Fortschritte, sondern nur Rückschritte. Die einzigen Reformen wurden gemacht, als das Geld noch knapp war. Als jedoch die Geldpolitik immer lockerer wurde, haben die südeuropäischen Länder ihre Reformvorhaben wieder aufgegeben.
FOCUS Online: Welche Folgen hat die EZB Geldpolitik für die deutschen Anleger?
Sinn: Sie haben wirtschaftliche Leistungen oder auch Finanzanlagen an Ausländer verkauft und schwimmen nun in Geld, von dem sie nicht mehr wissen, wie sie es anlegen sollen. Das viele neue Geld, das die EZB in Umlauf bringt, sammelt sich vor allem in Deutschland. Dieses Geld ist zwar individuell werthaltig, weil es eine Forderung gegen die Bundesbank ist, doch die Deckung bei der Bundesbank besteht im Wesentlichen in den erwähnten 800 – Milliarden an Target-Forderungen, die die Bundesbank gegen das Eurosystem hat. Da diese Forderungen niemals fällig gestellt werden können und derzeit nicht einmal mehr verzinst werden, sind sie ziemlich wertlos. Auf jeden Fall verlieren sie an Wert, wenn der Euro platzen sollte. So oder so sind die Geldbestände der Deutschen ungedeckte Forderungen gegen die Bundesbank und damit Forderungen gegen sich selbst, weil ihnen selbst diese Bank ja gehört.
FOCUS Online: Wie schätzen Sie die Inflationsgefahr ein?
Sinn: Aktuell haben wir nur eine geringe Inflation. Die Inflation könnte sich aber beschleunigen, da es in der deutschen Wirtschaft, insbesondere am Bau, bereits Überhitzungserscheinungen gibt. Deutschland ist im Euroraum unterbewertet, weil der Euro Südeuropa vor 2008 in eine inflationäre Kreditblase getrieben hatte. Und auch der Euro ist sehr stark unterbewertet. Nach meiner Berechnung ist das Preisniveau in Deutschland um ein Drittel zu niedrig. Um wieder zu einem Gleichgewicht zu kommen, müssen die Preise in Deutschland steigen oder in Südeuropa fallen, oder der Euro muss aufwerten. Was passieren wird, ist schwer zu prognostizieren. Die EZB möchte Deutschland inflationieren, um Südeuropa wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das würde aber zu Lasten der Sparer gehen, deren Spargelder entwertet werden.
FOCUS Online: Besteht noch die Gefahr, dass der Euro wegen der Griechenland-Krise oder der klammen italienischen Banken platzt?
Sinn: Ja, wenn man diese Länder im Euro hält, wird der Druck im Kessel immer größer. Die Konsequenz kann sein, dass der Euro am Ende platzt, weil wegen der Massenarbeitslosigkeit radikale politische Parteien an die Macht kommen. Die Gefahr eines Scheiterns des Euro wäre viel kleiner, wenn der zeitweise Austritt von Ländern erlaubt würde, die mit dem Euro nicht zurechtkommen. Sie könnten dann zu einem späteren Zeitpunkt nach einer Abwertung ihrer Währungen wieder zurückkommen.
FOCUS Online: Für wie gefährlich halten Sie die Wirtschaftslage in Italien und Frankreich?
Sinn: Sie ist sehr gefährlich. Die Industrieproduktion liegt in beiden Ländern noch deutlich unter dem Niveau vor dem Ausbruch der Finanzkrise. In Frankreich liegt die Produktion im verarbeitenden Gewerbe noch immer um 13 Prozent unter dem Vorkrisenniveau des Jahres 2007, und in Italien liegt sie gar um 19 Prozent darunter. Und es tut sich dort nichts. In Frankreich gibt es seit sieben Jahren kein Wachstum in der Industrieproduktion. Ein Viertel der italienischen Firmen ist in dieser Krise untergegangen, und noch immer gibt es kein Licht am Ende des Tunnels. Es gibt eine Massenarbeitslosigkeit von gut zehn Prozent in diesen Ländern, die der Bevölkerung immer mehr auf die Nerven geht. Das hat Marie Le Pen so stark gemacht und Matteo Renzi das Amt gekostet.
FOCUS Online: Wo sehen Sie die größten Risiken von Trumps „America first“-Politik?
Sinn: Mich besorgt die geplante Importsteuer, die er einführen will. Damit sollen die Konsumgüterverkäufe ausländischen Unternehmen besteuert werden, ähnlich wie es über die Mehrwertsteuer in Europa geschieht. Das ist zwar verständlich und widerspricht nicht dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT. Es hätte aber negative Folgen für Exporte von Konsumgütern nach Amerika, also zum Beispiel Autos. Anderseits planen die Amerikaner, bei Investitionen in den USA die Steuer wieder aufzuheben, indem sie eine steuerliche Sofortabschreibung einführen.
FOCUS Online: Müssen sich also deutsche Maschinen- und Autobauer auf schlechtere Geschäfte mit den USA einstellen?
Sinn: Erstere nicht. Wenn die Reform so kommt wie geplant, werden die Verkäufe von Investitionsgütern steuerlich nicht belastet. Nur die Verkäufe von Konsumgütern sind betroffen. Da sie in den USA teurer werden, wird die Nachfrage nach Euros auf den Devisenmärkten fallen. Das wird für die Konsumgüterproduzenten einen Teil der Nachteile kompensieren und den Maschinenbauern, die ja keine Steuern zu befürchten haben, sogar ein Mehr an Absatz bescheren.
FOCUS Online: Welche wirtschaftlichen Folgen haben die zunehmenden Flüchtlingsströme nach Europa?
Sinn: Die Flüchtlinge kosten eine ganze Menge Geld. Zudem entstehen dadurch Parallelgesellschaften, die einzelne Länder destabilisieren könnten. Die Flüchtlingspolitik stellt, wie mehrere Verfassungsrichter klargestellt haben, eine eklatante Verletzung des deutschen Asyrechts da, und sie lockt immer mehr Scheinasylanten an. Europa sollte es so machen wie in Australien. Die Flüchtlinge müssen zurückgebracht werden – notfalls auf exterritoriales Gebiet. Der Antrag, ob ein Flüchtling asylberechtigt ist, ist dann vor Ort zu klären. Sonst mischen sich unter die echten Asylsuchenden immer mehr Wirtschaftsflüchtlinge.
FOCUS Online: Können denn die Flüchtlinge unserem Arbeitsmarkt helfen?
Sinn: Dem Arbeitsmarkt muss niemand helfen. In der Marktwirtschaft gibt es keinen Mangel an Arbeitskräften. Ist dieser zeitweise vorhanden, sind die Löhne zu niedrig. Bei höheren Löhnen verzichten die Arbeitgeber entweder auf die Einstellung, oder es stellen sich mehr Leute zur Verfügung. Es gibt nur einen Mangel an Arbeitsplätzen, weil es in Deutschland den offenen Mindestlohn und einen impliziten Mindestlohn durch die Lohnersatzleistungen des Sozialstaates gibt. Nach unten kann der Lohn sich nicht anpassen, wenn es ein Ungleichgewicht gibt. Die Flüchtlinge stehen in Konkurrenz zu Arbeitskräften, die momentan im Niedriglohn-Sektor beschäftigt sind. Oft sind das Alt-Immigranten. Deren Löhne werden von den neuen Immigranten gedrückt.
Das Interview führte Thomas Müncher.
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