Die Länder Südeuropas können ihre Schulden nicht mehr bezahlen. Jetzt streiten sich die Kapitalanleger mit den Bürgern der noch gesunden Länder darüber, wer die Lasten übernimmt. Kürzlich hat sich der Chef-Volkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, in dieser Zeitung sehr optimistisch zur Zukunft des Euro geäußert und die Euro-Rettungspolitik gelobt (s. "Welt am Sonntag" vom 4. November 2012). Er verschwieg aber, dass diese Politik es den Anlegern erlaubt, sich aus dem Staube zu machen, indem sie ihren Anlageschrott an die Bürger der noch gesunden Länder verkaufen. Das ist weder gerecht, noch ist es mit einer marktwirtschaftlichen Zukunft des Euro-Systems kompatibel.
Ein kurzer Blick auf die eigentlichen Ursachen der Euro-Krise zeigt, wo das Problem ist. Mit der Einführung des Euro kamen die Südländer in den Genuss billiger Auslandskredite. Weil in riesigem Umfang Hauskredite aufgenommen und Verwaltungen vergrößert wurden, kam es zur Bildung von Kreditblasen mit überbordenden Lohn- und Preissteigerungen, die diese Länder ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubten. In der Folge entstanden riesige Leistungsbilanzdefizite, also die Überschüsse der Importe und Zinszahlungen für Auslandsschulden über die Exporte. Die Leistungsbilanzdefizite wurden eine Zeit lang von den Kapitalmärkten finanziert, doch als die amerikanische Finanzkrise im Jahr 2007 nach Europa überschwappte, kriegten die Kapitalanleger kalte Füße und zogen sich zurück.
In dieser Situation halfen sich die bedrängten Länder, indem sie ihre Notenbanken einschalteten und sich bei der EZB die Erlaubnis holten, als Ersatz neues Geld zu drucken. So wurden die griechischen und portugiesischen Leistungsbilanzdefizite nun schon fünf Jahre lang finanziert. Zusätzlich wurde in Irland, Spanien und Italien eine gewaltige Kapitalflucht mit Krediten aus der Druckerpresse kompensiert. So entstanden im Umfang von etwa 1000 Milliarden Euro Target-Salden, also Forderungen der EZB und der hinter ihr stehenden Notenbanken Deutschlands, Finnlands, Luxemburgs und der Niederlande. Diese Länder haben quasi ihre Druckerpressen nach Südeuropa verliehen, wozu allein die Bundesbank im Umfang von 700 Milliarden Euro beitrug.
Werden die Target-Forderungen nicht durch irgendein Wirtschaftswunder in Südeuropa beglichen, wird auch diese EZB-Blase platzen. Dann wird der letzte Dumme in der Kette der Risikoübernahmen zur Kasse gebeten, und das sind die Steuerzahler und Rentner der noch gesunden Länder. Sie werden für die Verluste ihrer Notenbanken einstehen müssen, denn deren Gewinne und Verluste landen im Staatshaushalt. Damit treten die normalen Bürger an die Stelle der privaten Banken und Kapitalanleger, die bisher die Gläubiger der Banken und Staaten der Krisenländer waren. Die Bürger helfen nicht nur, den Lebensstandard der Südländer abzusichern. Vor allem retten sie die Kapitalanleger aus aller Welt, die sich in Südeuropa verzockt haben.
Zuletzt wurden die Steuerzahler und Rentner der gesunden Länder sogar nolens volens zum Garanten der intergouvernementalen Rettungsschirme gemacht, die wiederum die EZB-Kredite ablösen sollen. Kein Wunder, dass die Investoren aus aller Welt, die von der Bundesregierung ultimativ Rettungsgelder angefordert hatten, jubeln und Loblieder auf den Euro singen.
Uns Bürger wird das teuer zu stehen kommen. Die Krisen-Kredite der EZB und der Rettungsschirme summieren sich schon heute auf knapp 1,4 Billionen Euro, und wenn der neue ESM mit der geplanten vierfachen Hebelung dazu kommt, dann werden irgendwann sogar Kredite im Umfang von 3,4 Billionen Euro vergeben sein. Jahr um Jahr werden die Bürger tiefer in die Haftung hineingezogen, und wenn sie eines Tages aufwachen und verstehen, dass sie und ihre Kinder nun zu Gläubigern der Südländer geworden sind und ihre Rente dort einfordern müssen, dann wird es zu spät sein. Sie werden um ihr Geld streiten, dabei den Hass der Schuldner auf sich ziehen und doch nicht viel erreichen. Im Endeffekt werden sie ihren Schuldnern das Geld zur Tilgung ihrer Schulden schenken müssen.
Die wirkliche Lösung der Krise kann nur darin liegen, dass die Länder Südeuropas von den hohen Löhnen und Preisen runterkommen, die sich vor der Krise gebildet haben, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Doch hier ist leider noch nichts passiert. Hier irrt Holger Schmieding gewaltig. Seit Beginn der Krise hat sich der Preisindex der selbst erzeugten Waren in den meisten Ländern nicht verringert, ja meistens stieg er sogar schneller als im Rest der Euro-Zone. Zwar sind die Lohnstückkosten gefallen, aber das liegt daran, dass in der Rezession die minder produktiven Firmen mit den hohen Lohnstückkosten dichtmachten und aus der Statistik verschwanden.
Die von Holger Schmieding angeführte Verbesserung der Leistungsbilanzsalden ist nicht auf strukturelle Verbesserungen zurückzuführen. Denn die Exporte fast aller Krisenländer stiegen nach der Lehman-Krise wegen der allgemeinen Erholung der Weltwirtschaft. Und die Importe sanken bloß, weil die heimische Wirtschaft zusammenbrach. Auch die Zinsverbilligung trug wesentlich zur Verbesserung der Leistungsbilanz bei. Sie ist aber nicht der Leistung der Volkswirtschaften, sondern den Rettungsschirmen zu verdanken.
Das Beispiel Irland zeigt, wie es hätte funktionieren können. Das Land geriet 2006 gewissermaßen zu früh in die Krise, als von überbordenden Rettungsschirmen noch gar keine Rede war, und half sich selbst. Die Löhne mussten fallen, die Preise folgten den Löhnen - und fielen um 15 Prozent. Diese regionale Deflation war zwar anstrengend, half Irland jedoch aus der Krise. Hier hat es tatsächlich eine echte Verbesserung der Leistungsbilanz gegeben. Nur die Iren zahlen ihre Auslandsschulden zurück.
Anstatt die irische Ochsentour nachzumachen, haben sich die anderen Krisenstaaten entschlossen, auf politischem Wege Hilfe zu organisieren. Über den EZB-Rat gaben sie sich gegenseitig die Erlaubnis, ihre Finanzprobleme mit der Druckerpresse zu lösen und zwangen die Bundesbank gegen deren erbitterten Widerstand, ihre faulen Staatsanleihen zu kaufen. Die totale Umverteilung von den Bürgern der noch gesunden Staaten der Euro-Zone zur internationalen Bankenwelt wird damit immer weiter vorangetrieben.
Die politischen Entscheidungsträger können ihre Hände indessen in Unschuld waschen, weil sie die Unabhängigkeit der Zentralbank und die Dauermitgliedschaft aller Euro-Länder für unantastbar erklären.
Das Beispiel Irland zeigt, wie es hätte funktionieren können: Das Land half sich selbst.Die Iren zahlen ihre Auslandsschulden zurück.
Der Autor ist Ökonom und leitet das Münchner ifo-Institut. Von ihm erschien gerade: "Die Target-Falle. Gefahren für unser Geld und unsere Kinder" (Hanser Verlag).