DIE ZEIT: Herr Sinn, Frau Wagenknecht, die Stimmung dreht, die Wirtschaft stabilisiert sich. Ist die Krise überwunden, der Kapitalismus gerettet?
Sahra Wagenknecht: Das ist Schönfärberei. Alle seriösen Institute gehen davon aus, dass wir nächstes Jahr über fünf Millionen Arbeitslose haben werden. Die Krise ist noch lange nicht vorbei, im Gegenteil: Es wird noch weiter runtergehen.
Hans-Werner Sinn: Auch ich bin skeptisch, aber ich schätze, dass es nicht ganz fünf Millionen Arbeitslose sein werden. Die Investitionen und die Exporte sind schon eingebrochen. Mit der Arbeitslosigkeit wird der Konsum folgen, 2010 wird ein schwieriges Jahr.
ZEIT: Was muss geschehen?
Sinn: Wir müssen vor allem die Banken stabilisieren, die mit viel zu wenig Eigenkapital arbeiten. Außerdem brauchen wir im Winter vermutlich ein drittes Konjunkturpaket in Form von Steuererleichterungen oder Infrastrukturausgaben.
Wagenknecht: Konjunkturprogramme sind nötig. Aber wir müssen auch bei den tieferen Ursachen der Krise ansetzen. Dazu gehört die jahrelange Umverteilung der Einkommen von unten nach oben. Darum lag der Konsum im Aufschwung am Boden, und darum leidet das exportorientierte Deutschland nun überproportional unter dem Einbruch der Weltmärkte. Wir müssen den Binnenkonsum stärken und das Lohndumping beenden.
ZEIT: Das Problem ist nicht der Finanzmarkt?
Wagenknecht: Natürlich wurde der mangelhaft reguliert. Aber er wurde auch mit immer neuen Geldströmen alimentiert. Und das hat mit der Einkommensverteilung zu tun. Weil oben immer mehr und unten immer weniger verdient wurde, war es unattraktiv, in die Realwirtschaft zu investieren. Wo sollte denn steigende Nachfrage herkommen? Also war es lukrativer, zu spekulieren. Der Finanzmarkt war der Weg, Renditen zu erwirtschaften, die mit realen Investitionen nicht drin waren.
Sinn: Die Marxsche Unterkonsumptionsthese – ein Mangel an Konsum – passt wirklich nicht zu dieser Krise. Im Gegenteil, der Ausgangspunkt sind die USA, wo zu viel konsumiert wurde. Die durchschnittliche Sparquote der Amerikaner fiel während der letzten zwei Jahrzehnte auf null. Viele Menschen konsumierten sogar mehr als ihr verfügbares Einkommen und lebten auf Pump. Ermöglicht hat das der Immobilienboom, der wiederum entstand, weil Banken und Hausbesitzer spekulieren konnten, ohne das volle Risiko dafür zu tragen – und weil die amerikanische Wohnungspolitik Banken verpflichtete, selbst Arbeits- und Mittellosen Kredit zu geben. Solche Kredite wurden verbrieft und am Ende einer abenteuerlichen Kaskade zum Beispiel deutschen Landesbanken angedreht.
ZEIT: Steckt der Fehler im System?
Sinn: Es ist ein systemischer Fehler im Finanzbereich, nicht ein Fehler des kapitalistischen Systems. Ein Problem waren die unzureichenden Eigenkapitalvorschriften, die die Manager an der Wallstreet zu Glücksrittern gemacht haben. Marktwirtschaft ist ja kein System, wo jeder tun und lassen kann, was er will. Es braucht einen starken Ordnungsrahmen, den ein starker Staat setzen muss. Das ist Neoliberalismus im Gegensatz zum Paleoliberalismus.
Wagenknecht: Ach ja? Vor der Krise war bei den Neoliberalen nie die Rede vom starken Staat. Sondern, dass Märkte sich selber regulieren.
Sinn: Ich weiß nicht, was Sie als neoliberal bezeichnen…
ZEIT: Können wir uns darauf einigen, dass viele Ökonomen und Politiker vor der Krise eher freien Märkten vertraut haben als dem Staat?
Sinn: Ich habe schon vor Jahren in vielen Schriften härtere Regeln gefordert und vor der Unterkapitalisierung und dem Glücksrittertum der Banken gewarnt. Mich irritiert, dass viele diese Dinge überwiegend ideologisch einordnen und nicht einsehen wollen, dass man zugleich für eine Deregulierung des Arbeitsmarktes und eine schärfere Regulierung der Banken sein kann.
ZEIT: Gut, aber reicht es zur Bewältigung der Krise jetzt aus, die Banken zu reregulieren?
Wagenknecht: Nein. Das wäre zwar nötig, und es ist peinlich, wie wenig bisher passiert ist. Aber das Grundproblem ist ein uralter Zielkonflikt: Kapitalistische Unternehmen wollen so billig wie möglich produzieren und so viel wie möglich verkaufen. Beides zusammen geht volkswirtschaftlich nicht.
Sinn: Warum nicht?
Wagenknecht: Billig produzieren heißt Löhne runter, Sozialabgaben runter, Steuern runter…
Sinn: Darunter leidet doch nicht der Absatz. Die Reichen können mehr kaufen, die Armen weniger. Aber die Nachfrage fehlt deshalb nicht.
Wagenknecht: Die Reichen kaufen so viele Jachten, dass sie den Einbruch der Nachfrage anderswo kompensieren? Ich bitte Sie.
Sinn: Vor allem kaufen sie mehr Investitionsgüter. Lohnzurückhaltung verringert den Konsum temporär, aber sie regt höhere Investitionen an und dadurch mehr Wachstum, das später mehr Konsum ermöglicht. Das ist Marx.
Wagenknecht: Das ist eher Says Gesetz: Das Angebot schafft sich seine Nachfrage. Angeblich.
Sinn: Das ist das Marxsche Wachstumsmodell. Im zweiten Band des Kapitals zeigt er: Je kleiner die Lohnquote ist, desto höher ist das wirtschaftliche Wachstum. Mit Zahlenbeispielen!
Wagenknecht: Marx analysiert den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung begann und die Investitionsdynamik weitgehend selbsttragend war. Seit dem Zweiten Weltkrieg lebt die Wirtschaft von der Konsumnachfrage.
Sinn: Nein, auch in der Nachkriegszeit hatten wir niedrige Löhne und Riesengewinne. Die Nachfrage nach Investitionsgütern ersetzte den Konsum und ermöglichte hohes Wachstum. Dann kam eine lange Phase, in der es umgekehrt war und das Wachstum zurückging. Darunter leiden wir immer noch.
Wagenknecht: Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Ihre Theorie nicht stimmt. Die Unternehmen haben Gewinne gemacht wie nie und trotzdem nicht investiert. Weil die Nachfrage fehlt!
Sinn: Die Nachfrage kommt aus der ganzen Welt. Nein, Wachstum ist seit jeher aus massiver Kapitalakkumulation entstanden. Einhergehend mit einer Vermögenskonzentration, die auch mir Sorgen bereitet. Dennoch: Der Kapitalismus hat den Lebensstandard der Massen so dramatisch verbessert, wie es der Sozialismus nie geschafft hat.
Wagenknecht: Die sozialistischen Systeme von gestern sind ja nicht die Alternative. Da versuchte man, jede Schraube zentral zu planen. Aber heute droht uns weltweit jahrelange Stagnation aufgrund des Kapitalismus. Die Renditejagd zerstört Wachstum, statt es zu stimulieren.
ZEIT: Der Kapitalismus zerstört im Augenblick tatsächlich Vermögen und Arbeitsplätze. Professor Sinn, reicht es da, nur die Banken zu sanieren?
Sinn: Die Banken sind die Hauptsache. Auch brauchen wir Konjunkturpolitik. Darüber hinaus sehe ich noch Reformbedarf, um die Erfolge der Agenda 2010 zu vertiefen.
Wagenknecht: Erfolge? Immer mehr Menschen verarmen, selbst wenn sie arbeiten. Die Vermögenseinkommen sind im Aufschwung explodiert, der Rest der Bevölkerung hatte nichts davon.
Sinn: Mit der Agenda sind allein in Westdeutschland eine Million neue Jobs entstanden. Statt auf Lohnersatz setzt der Staat heute auf Lohnzuschüsse, er fördert nicht das Wegbleiben, sondern das Mitmachen. Deshalb kommen auch Geringverdiener über die Armutsschwelle. Die Armutsgefahr ist stark zurückgegangen.
Wagenknecht: Immer mehr Menschen können sich nicht mal Aldi leisten und gehen zu Tafeln und Suppenküchen. Es ist doch absurd zu sagen, wir hätten weniger Armut!
Sinn: Ich rede von Armutsgefährdung nach Definition der Statistiker. Wir hatten ein Problem, das will ich nicht in Abrede stellen. Aber wir haben Fortschritte gemacht und dürfen sie nicht gefährden, indem wir die Agenda zurückdrehen. Im Übrigen sollten wir mehr tun für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Es stimmt ja, dass die Vermögen in den Händen weniger konzentriert sind. Das muss man ändern. Durch Programme zur Vermögensbildung, etwa durch Belegschaftsaktien.
Wagenknecht: Das geht doch nur, wenn man von seinem Lohn etwas beiseitelegen kann. Seit Jahren sinken aber die Löhne, auch weil die Politik es wollte. Das müssen wir umkehren, wir brauchen Mindestlöhne, deutlich steigende Tariflöhne und starke Gewerkschaften – und neue Eigentumsverhältnisse bei den Großkonzernen sowie im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Chance dazu ist da, denn die Konzerne wollen Geld vom Staat. Dafür sollte er Anteile erwerben und dann dafür sorgen, dass neue Anreize gesetzt werden. Dass Manager belohnt werden, wenn sie Löhne erhöhen und Jobs schaffen – und nicht, wenn sie das Gegenteil tun.
ZEIT: Sie wollen die Konzerne verstaatlichen?
Wagenknecht: Nicht voll, wichtig ist mindestens eine Sperrminorität für Belegschaftseigentum. Auch in staatlichen Unternehmen kann gezockt werden, wie man bei den Landesbanken gesehen hat. Deshalb gehören zu neuen Eigentumsverhältnissen auch neue Regeln. Weg von der bedingungslosen Renditemaximierung, die zu dramatischen Fehlentwicklungen geführt hat.
Sinn: Moment, die Rendite hat eine wichtige Lenkungsfunktion! Sie ist nötig, um das Kapital in seine beste Verwendung zu führen. Die DDR hat bis zu den sechziger Jahren probiert, ohne den Zins auszukommen. Aber dann hat sie gemerkt, dass Kapital verschwendet wird, wenn es keinen Zins gibt. 1964 hat sie den Zins unter dem Begriff Produktionsfondsabgabe eingeführt. Grundsätzlich ist es die Stärke des kapitalistischen Systems, dass Finanzmärkte das Kapital dorthin steuern, wo es den größten Ertrag bringt.
Wagenknecht: Das wollen Sie doch nicht im Ernst für die letzten Jahre behaupten!
Sinn: Es gab im Finanzsystem tatsächlich gravierende Fehler. Es war möglich, Wetten zulasten des Steuerzahlers abzuschließen und daraus Renditen zu erzielen. Das ist natürlich falsch und hat die Funktion des Kapitalmarktes verzerrt. Deshalb muss man die Regeln korrigieren.
ZEIT: Nur die Regeln korrigieren? Oder als Staat die Banken übernehmen?
Sinn: Der Staat muss helfen, eine Kreditklemme zu vermeiden. Sonst schrumpfen sich die Banken gesund, indem sie die Wirtschaft kaputt schrumpfen. Helfen kann er, indem er den Banken Geld schenkt oder indem er es ihnen im Austausch für Aktien gibt. Letzteres ist besser. Aber es geht nur um eine temporäre Beteiligung.
ZEIT: Was ist mit Opel und Arcandor?
Sinn: Da gehört der Staat nicht hin. Die Verbraucher müssen entscheiden, ob sie einen Opel kaufen wollen. Man sollte die Konjunktur stützen, aber nicht einzelne Unternehmen.
ZEIT: Frau Wagenknecht, geht die Hilfe für Opel in Ordnung?
Wagenknecht: Es kann doch nicht sein, dass die Beschäftigten Managementfehler ausbaden müssen. Der Staat sollte sicher nicht auf Dauer Überkapazitäten erhalten. Aber: Die riesigen Überkapazitäten im Automobilbereich zeigen auch, dass die Renditeorientierung keineswegs zu einer optimalen Ressourcenverteilung führt. In jedem Fall kann man die Bereinigung der Überkapazitäten jetzt nicht einfach dem Markt überlassen.
ZEIT: Nach Ihrem Modell wäre Opel in Belegschaftshand, und Manager müssten Jobs schaffen. Wie sollen da Überkapazitäten verschwinden?
Wagenknecht: Man müsste dann gemeinsam versuchen, die Produktion auf andere Güter umzustellen. Hinzu kommt: Große Unternehmen in privater Hand sind heute ein Machtfaktor, das ist ein Problem. Die Agenda 2010 ist ja nicht entstanden, weil ein paar Ökonomen falsche Ratschläge gaben, sondern durch Erpressung aus der Wirtschaft. Die Konzerne haben gesagt: Löhne runter, sonst gehen wir woandershin! So wie Nokia.
Sinn: Sie gehen dahin, wo sie die höchsten Renditen erzielen. Was schlecht ist für die hiesigen Arbeiter, aber gut für diejenigen, wo sie hingehen.
Wagenknecht: Auch nicht unbedingt.
Sinn: Aber natürlich, das Kapital, das von Deutschland nach Osteuropa und China gewandert ist, hat die weltweite Ungleichheit der Löhne reduziert.
Wagenknecht: Ja, nach unten, die Löhne sinken.
Sinn: Bei uns kommen sie unter Druck, in den Schwellenländern steigen sie.
Wagenknecht: Der Lebensstandard in den Industrieländern verschlechtert sich, und in anderen Ländern ist die Subsistenzwirtschaft zerstört worden, von der viele Menschen lebten. Die Welt wurde ungleicher, die Armut ist gewachsen.
Sinn: Im Gegenteil: Der Anteil der Weltbevölkerung, der von weniger als einem Dollar am Tag leben muss, ist zwischen 1980 und 2000 von 44 auf 13 Prozent gefallen. Und dieser Rückgang der Armut ist das Ergebnis der Profitsucht der Kapitalisten, die dahin gehen, wo die Löhne am niedrigsten sind, die dort Arbeitsplätze schaffen und so das Lohnniveau in die Höhe treiben. Sie können doch nicht leugnen, dass Indien und China – und damit 40 Prozent der Weltbevölkerung! – dabei sind, über die Armutsschwelle zu kommen.
Wagenknecht: China ist ein spezieller Fall. Dort gibt es einen staatlich kontrollierten Kapitalismus, das neoliberale Modell ist das nicht.
ZEIT: Ist es ein Modell, das Ihnen sympathisch ist?
Wagenknecht: Na ja, es ist auch sehr brutal. China hat, weil es sehr arm ist, gemacht, was Sie vorschlagen, Herr Sinn: Es hat den Binnenkonsum kleingehalten, stattdessen überproportional Kapital akkumuliert und auf den Export gesetzt. Das ist eine rationale Strategie für ein armes, kaum industrialisiertes Land. Aber keine für Deutschland.
Sinn: Es ist nicht das westliche Modell, aber es war Kapitalismus, der Chinas Lebensstandard gehoben hat!
ZEIT: Noch mal zur Krise. Sie beide betonen, dass der Fehler im System steckt. Es ist nicht die Gier Einzelner. Ganz ähnlich argumentierte Marx – sind sich da Wagenknecht, Marx und Sinn einig?
Sinn: Ja, das ist eigentlich ziemlich marxistisch.
Wagenknecht: Klar, ich würde nie die Gier Einzelner verantwortlich machen. Würde man Ackermann auswechseln, änderte sich nichts. Deshalb müssen wir ja das System fundamental verändern.
Sinn: Die Geschichte ist davon geprägt, dass man die Spielregeln der Märkte schrittweise verbessert hat. Bevor es die Märkte gab, herrschten Anarchie, Raub und Krieg. Die Marktwirtschaft ist eine Friedensordnung, weil sie bedeutet, dass man nicht mehr reich werden kann, indem man jemandem etwas wegnimmt, sondern indem man fleißig ist.
Wagenknecht: Sie meinen doch wohl nicht im Ernst, dass das heute so ist?
Sinn: Doch, für mich ist die Finanzkrise nur eine kleine Ausnahme im marktwirtschaftlichen System. Nehmen Sie die Wikinger. Die plünderten, um reich zu werden, Ihre Nachfahren, die Dänen, sind stattdessen fleißig, weil sie heute in einer Marktwirtschaft leben, in der man durch Fleiß und Sparsamkeit reich werden kann.
Wagenknecht: Sie meinen Frau Schickedanz…
ZEIT: …die Hauptaktionärin von Arcandor.
Wagenknecht: …war fleißiger als ihre Verkäuferinnen und ist deshalb Milliardärin geworden?
Sinn: Sie war eine gute Unternehmerin.
Wagenknecht: Das sieht man ja jetzt an der Insolvenz. Ich bin sehr für eine Gesellschaft, in der man durch eigene Arbeit reich wird. Heute sind aber die reich, die von ihrem Vermögen leben.
Sinn: Richtig, aber sie haben das Vermögen nicht geraubt.
Wagenknecht: Na ja, was heißt Raub? Sie haben sich die Früchte der Arbeit anderer angeeignet. Ist das nicht auch Diebstahl? Nehmen wir die Familie Quandt und BMW. Die hat im Jahr 350 Millionen Euro an Dividenden eingestrichen. Ihr Vermögen wurde immer größer. Und sie hat es genutzt, um bei BMW Leiharbeit, Lohndumping und Entlassungen durchzusetzen.
Sinn: Die Familie Quandt ist bei BMW eingestiegen, als die Firma am Boden lag, hat ihr Vermögen riskiert und eine sehr langfristige Strategie verfolgt. Auch Kapital ist ein wichtiger Produktionsfaktor.
Wagenknecht: Aber Kapital produziert doch nichts, Maschinen produzieren.
Sinn: Maschinen sind Kapital.
Wagenknecht: Aber auch die Maschinen haben doch nicht die Milliardäre hergestellt.
Sinn: Ja, aber jemand muss sie auch kaufen und dahin stellen, und dieser jemand muss bereit sein, zu sparen, denn nur aus Ersparnis heraus können Investitionen entstehen.
Wagenknecht: Wenn jemand mehrere Milliarden hat, kann man doch nicht mehr von Sparen reden. Da nutzt jemand sein Vermögen, um von der Arbeit anderer zu leben.
ZEIT: Was ist Ihre Konsequenz daraus?
Wagenknecht: Kurzfristig: Man sollte eine Millionärsteuer einführen. Ab einer Million Euro Privatvermögen werden jährlich 5 oder 10 Prozent fällig. Bei 5 Prozent käme man auf etwa 80 Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr. Damit ließen sich Konjunkturprogramme finanzieren, und es könnten im Bildungs- und Gesundheitssystem neue Stellen geschaffen werden – ohne Rekordverschuldung.
Sinn: Man muss die Vermögensverteilung verbessern, ja, aber nicht über Umverteilung. Mit Ihrem Weg würden Sie die Millionäre mitsamt ihrem Kapital nur verscheuchen, und es würde keiner mehr sparen. Der Standort ginge binnen weniger Jahre kaputt. Das wäre der Weg in den Untergang.
DAS GESPRÄCH FÜHRTEN KOLJA RUDZIO UND CHRISTIAN TENBROCK