Was unterscheidet die aktuelle Finanzkrise von anderen?
Wir hatten die Asienkrise oder die Sparkassenkrise in Amerika, doch das waren lokal begrenzte Krisen. Heute erleben wir eine Finanzkrise, die die ganze Welt betrifft. Hinzu tritt nun eine Rezession in der Realwirtschaft, was die Schwierigkeiten ungemein vertieft. Die grosse Depression zu Anfang der Dreissiger Jahre verlief umgekehrt: Damals stürzte zunächst die Realwirtschaft ab, woraus sich danach eine Finanzkrise entwickelte.
Wer hat versagt? Die Politik, der Staat oder der Markt?
Schuldzuweisungen machen keinen Sinn. Millionen von Menschen haben sich falsch verhalten, insbesondere die amerikanischen Hausbesitzer, auch die Banker, ebenso die Aufsichtsbehörden. Das Regelsystem des Bankensektors war zu lasch und hat zuviel Spielraum für problematische Transaktionen offen gelassen. Die Marktwirtschaft benötigt strenge Regeln, um den Eigennutz der Menschen produktiv zu kanalisieren.
Der amerikanische Ökonom Paul Krugman hat kürzlich geschrieben, Ronald Reagan sei für die Krise verantwortlich, weil er seinerzeit die Eigenmittelvorschriften für Hausbesitzer gelockert habe.
Ein entscheidender Schritt wurde 2004 gemacht, lange nach Reagan, als die amerikanische Börsenaufsicht SEC die Regulierungen für die Investment-Banken beseitigte. Als ebenso fatal stellte sich die Wohnungspolitik der Clinton Administration heraus, der den New Deal von Roosevelt fortsetzen wollte: Er zwang die Banken, auch ärmeren Leuten Hypotheken zu verschaffen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten.
Was muss man den Banken vorwerfen?
Die Aktionäre haben ihre Bankvorstände zum Spielen angehalten, weil sie mit wenig Eigenkapital praktisch keine Haftung mehr hatten. Erträge strichen sie ein, Verluste, so wussten sie, würden die Gläubiger und der Staat zu verkraften haben. Diese Asymmetrie verführte sie dazu, von den Bankvorständen sehr riskante Geschäftsmodelle zu verlangen.
Dann tun die Staaten jetzt das Falsche: Statt sie zu stützen, sollte man die Banken fallen lassen, damit die Aktionäre sich das nächste Mal klüger verhalten.
Das wäre unverantwortbar. Die Gesellschaft zahlte einen sehr hohen Preis. Wer weiss, ob dann die Marktwirtschaft überhaupt zusammenbricht, weil politische Kräfte aufkommen, die ein anderes System anstreben? Das halte ich für eine zu gefährliche Strategie.
Wie kann man dann unterbinden, dass sich die Banken erneut unvernünftig verhalten?
Man muss sicherstellen, dass die Banken mit ihrem Eigenkapital für die Verluste herangezogen werden. Der Staat darf keinesfalls Geschenke verteilen. Wenn er einem Institut helfen will, dann soll er sich beteiligen. Das ist wichtig, um für die Zukunft die richtigen Anreize zu setzen.
Die Linke verkündet das Ende des Kapitalismus. Sind wir soweit?
Man muss von dieser Pauschalkritik wegkommen. Man kann die Fehler, welche die Krise begünstigt haben, benennen, man kann sie beheben.
Was macht Ihnen Sorgen?
Sorge macht mir, dass die faulen Wertpapiere noch längst nicht alle ausgewiesen sind. Da liegen noch sehr hohe stille Verluste im Bankensystem. Der IWF schätzt diese auf 4000 Milliarden Dollar, die Banken haben bisher nur wenig mehr als 1000 Milliarden abgeschrieben.
Die Staaten verschulden sich in hohem Masse. Wird uns das nicht in drei Jahren heimsuchen?
Ohne Zweifel. Die Gefahr besteht, dass sich die Finanzkrise nun auf die Staaten ausdehnt. Ein abschreckendes Beispiel ist Japan. Das Land hatte im Jahr 1990, als die Krise ausbrach, eine Schuldenquote von 60 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Dann legte die Regierung ein keynesianisches Programm nach dem andern auf, mit der Folge, dass die Quote heute gegen 180 Prozent strebt. Gleichwohl kam Japan nie aus der Krise heraus. Solche Programme sind wie Stimulantien, die kurzfristig wirken, aber langfristig lähmen.
Was macht sie zuversichtlich, dass die Staaten nicht übertreiben?
Gar nichts macht mich zuversichtlich. Ich befürchte, dass sich die Staaten übernehmen. Mit der Folge, dass ein erhebliches Bonitäts-Problem für die Staaten entsteht.
Verhalten sich also jene Staaten klug, die möglichst wenig machen – wie etwa die Schweiz?
Für ein kleines Land wie die Schweiz, das im Besonderen vom Ausland abhängig ist, lohnt sich die Trittbrett-Fahrer-Strategie. Ein grosses Land dagegen kann das nicht wagen.
Das macht die Schweiz nicht sehr sympathisch. Haben Sie Verständnis für diese Trittbrettfahrer-Strategie?
Natürlich. Ich würde das nicht moralisieren, sondern beschreibe es nur. Ein kleines Land, das Konjunkturpolitik macht, muss davon ausgehen, dass der Löwenanteil der konjunkturellen Effekte im Rest der Welt verpufft.
Welche Fehler müssen Politiker jetzt vermeiden?
Bei den Banken sehe ich zu viel Durchwursteln. Da sind radikalere Massnahmen vonnöten, die nur die Politiker durchsetzen können. Wir geraten in eine Kreditklemme, wenn wir das Problem der Banken nicht lösen. Wir haben bereits eine Kreditklemme bei den Großunternehmen. Hier muss der Staat notfalls Eigenkapital einschiessen.
Sie haben vor wenigen Jahren einen Bestseller geschrieben: „Ist Deutschland noch zu retten?“ Hat sich die Lage gebessert oder verschlechtert?
Die Situation hat sich entschärft. Die Agenda 2010 von Schröder und Clement hat einen Niedriglohn-Sektor geschaffen, wie wir einen solchen hierzulande nicht gekannt hatten. Das war ein Erfolg. Deutschland ist heute besser aufgestellt als in der letzten Krise.
42 Prozent der deutschen Wähler leben indirekt oder direkt vom Staat, schrieben Sie damals. Beutet bald eine subventionierte Mehrheit eine zahlende Minderheit aus?
Diese Vokabel würde ich nicht benutzen, doch ein Problem besteht hier schon. Der grösste Anteil sind ja Rentner. Bei der letzten Bundestagswahl lebte sogar schon eine Mehrheit jener, die tatsächlich zur Wahl gingen, vom Staat.
Seit der Europa-Wahl ist es denkbar, dass es im Herbst bei den deutschen Bundestagswahlen zu einer neuen Koalition zwischen FDP und CDU kommt. Macht das einen Unterschied zu heute, da eine Grosse Koalition zwischen CDU und SPD in Berlin herrscht?
Die Grosse Koalition hat mich enttäuscht. Die grossen Aufgaben, die sie hätte schultern müssen, wurden nicht angepackt. Das ist deshalb nicht geschehen, weil die SPD unter Druck von links geriet. Diese Angst vor der Linken würde aber auch eine bürgerliche Koalition beschäftigen und sie davon abhalten, allzu radikale, marktwirtschaftliche Reformen voranzutreiben.
Die Schweizer halten die Deutschen für staatsgläubiger: Woran liegt das?
Was den Ruf betrifft, mag das stimmen. Wer aber die Fakten betrachtet, stellt fest: Es trifft gar nicht mehr zu. Die Schweiz unterscheidet sich hinsichtlich Staatsquote und Steuerlast nicht mehr so stark von Deutschland. Die Schweiz ist nach links gerückt.
Viele deutsche Steuerzahler sehen das jedoch nicht so: Noch strömen viele reiche Deutsche in die Schweiz.
Man fühlt sich vielleicht auch sicherer für die Zukunft. In Deutschland wurde das Bankgeheimnis kassiert. Viele vermögende Deutsche ahnen, dass hohe Lasten auf sie zu kommen. Die Staatsverschuldung nimmt zu, und der Staat versucht zunehmend, auf die hier vorhandenen Vermögen zuzugreifen. Da fühlt man sich in der Schweiz sicherer. Sollte die Linke im Herbst in einer Bundesregierung vertreten sein, käme es zu einer Massenauswanderung aus Deutschland.
Hat es marktwirtschaftliches Denken in Deutschland schwerer als anderswo?
Ja, wir haben in Deutschland eine intellektuelle Elite, die von Goethe bis Heisenberg reicht und die Natur- und die Geisteswissenschaften umfasst. Marktwirtschaft kommt als Disziplin gar nicht vor. Journalisten, Politologen, Soziologen: Über Ökonomie wissen sie meist wenig Bescheid. Auch in der Öffentlichkeit ist wenig Verständnis da, bestenfalls für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge, da man ja selbst in einer Firma arbeitet. Was die Grundregeln der Wirtschaft jedoch sind, dafür fehlt vielfach das Gespür.
Deutschland ist eines der erfolgreichsten Industrieländer der Welt – und das seit bald zweihundert Jahren. Warum dieses doch sehr ambivalente Verhältnis zum Markt?
Wir haben ja immer einen starken Staat gehabt. Das staatsorientierte Denken ist gut etabliert – während in Holland oder England, wo der Freihandel eine grosse Bedeutung hatte, ein anderes, liberales Denken sich ausbildete. Wir haben nicht zufällig den Sozialismus erfunden und die Welt mit dieser Ideologie beglückt. Der Deutsche neigt zu Ideologien. Gerne verschreibt er sich bestimmten Denkrichtungen: Protestantismus, Sozialismus, und heute die grüne Ideologie. Wir glauben stets, dass die Welt am deutschen Wesen genesen soll, doch von Generation zu Generation definieren wir das anders. Mehr Pragmatik würde diesem Land gut tun.
Haben Sie den Titel Ihres neuen Buches „Kasinokapitalismus“ selber gewählt oder hat dies der Verlag aus Marketing-Überlegungen getan? Er wirkt wie ein Zugeständnis an den anti-kapitalistischen Zeitgeist.
Nein, der Titel stammt von mir. Ich denke, er beschreibt recht genau, wie die Finanzkrise entstanden ist: Dass man grosse Risiken einging, ohne dafür zu bezahlen. Dass man damit spielte. Die Banken waren wie die Betreiber des Kasinos. Kasinokapitalismus ist für mich kein moralisierender Begriff, sondern er beschreibt den Kern des Vorgangs sehr präzis. Man muss dieses Kasino schliessen.
In der Schweiz gaben die Angriffe von Finanzminister Peer Steinbrück zu Reden. Haben Sie Verständnis für die Kritik des Sozialdemokraten?
Die Schweiz ist keine Steueroase – aber man muss alles unternehmen, um Steueroasen zu beseitigen. Die Schweiz ist ein solides Land, das jeden Verdacht, eine Steueroase zu sein, vermeiden sollte. Es ist ein Kernland Europas, das sich immer mehr an die EU annähert, was zu begrüssen ist. Eine solche Annäherung sollte man nicht stören, indem man wenig sensible Vokabeln benutzt.
Warum ist eine Annäherung zu begrüssen? Tut es der EU nicht gut, wenn ein Land nicht Mitglied ist?
Was den Wettbewerb der Regulierungen betrifft, bin ich skeptisch. Dieser Wettbewerb hat mit dem Wettbewerb der Firmen in einer Marktwirtschaft nicht viel Ähnlichkeit, und ich glaube nicht, dass er funktioniert. Bei der Regulierung der Banken haben wir einen Laschheitswettbewerb beobachtet.
Europa ist doch reich geworden, weil hier immer ein Wettbewerb unter den Staaten stattfand. Das unterscheidet uns vom Römischen Reich oder von China.
Der Übergang vom staatlichen Wettbewerb zum Krieg ist fliessend – was ja auch zu gewaltigen Zerstörungen geführt hat. Die Marktwirtschaft hätte sich als überlegenes System auf jeden Fall durchgesetzt – auch ohne den Wettbewerb der Staaten.
Das Interview führte Markus Somm