"Griechenland war im Grunde schon vor einem Jahr pleite," sagt Hans-Werner Sinn und hält nicht viel von weiteren Hilfen. Eine Pleite Griechenlands sei zwar mit Risiken verbunden - doch der jetzige Hilfskurs führe in eine "Teufelsspirale".
Jürgen Liminski: Heute wird es spannend in der Runde der Euro-Finanzminister, es muss darüber entschieden werden, wie man Griechenland weiter hilft. Bundesbankpräsident Weidmann hat dabei im Vorfeld schon klar gemacht, dass die Notenbanken die Rettung Griechenlands nicht weiter finanzieren wollen. Es sei Sache der Politik, weiteres Geld für Athen zu bewilligen.
Die Lage verschärft sich, denn vor wenigen Tagen noch hatte Finanzminister Schäuble gewarnt, und zwar mit diesen Worten:
O-Ton Wolfgang Schäuble: Ohne Auszahlung dieser nächsten Tranche besteht die akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands mit schwerwiegenden Folgen für die Stabilität der Euro-Zone insgesamt, aber auch mit schwerwiegenden Risiken für die globale Entwicklung insgesamt.
Liminski: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vergangene Woche im Bundestag. - War das nur eine Drohkulisse, um widerspenstige Abgeordnete auch in den eigenen Reihen zur Regierungsräson zu bringen, oder ist wirklich ein Domino-Effekt zu befürchten, wenn die EU nicht noch weiter den Griechen hilft? - Am Telefon begrüße ich zu dieser Thematik den Präsidenten des ifo Wirtschaftsforschungsinstituts, Professor Hans-Werner Sinn. Guten Morgen, Herr Sinn.
Hans-Werner Sinn: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Sinn, teilen Sie die Ängste von Finanzminister Schäuble?
Sinn: Nicht in diesem Umfang. Es ist natürlich klar, ein Staatsbankrott Griechenlands hätte Weiterungen, aber ob sie gleich so dramatisch werden, wie er gesagt hat, weiß ich nicht. Die Banken hatten ein Jahr Zeit, sich darauf einzustellen. Die Deutsche Bank zum Beispiel sagt, dass ein solcher Schuldenschnitt, wie er ja durch einen Staatsbankrott dann verursacht würde, verkraftbar wäre, und auch andere Analysten sagen das. Das ist ja alles berechnet worden. Es ist also nicht zu erwarten, dass sich das also in diesem Umfang gefährlich auswirkt.
Man muss dagegen setzen andere Gefahren, die Gefahr nämlich, dass wenn Griechenland immer weiter finanziert wird, dass dann halt ein Fass ohne Boden gefüllt wird und dass Staatsschulden für Griechenland entstehen, die dann auch zu einer echten Last dann mal später werden für das gesamte Euro-System. Also insofern ist die Frage oder die Aussage, Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende, wahrscheinlich hier angemessen.
Liminski: Auch die Bundeskanzlerin sagt, die griechische Krise bedrohe den Aufschwung in Deutschland. Ist der Domino-Effekt nicht doch eine reale Gefahr, wenn nicht unmittelbar für die Weltwirtschaft, so doch für den Euro und damit auch für die globalen Märkte?
Sinn: Ja, aber der Domino-Effekt geht nicht nur in diese Richtung. Es gibt ja einen ganz anderen Domino-Effekt, nämlich so: Wenn ein Land ein anderes rettet, wird es mit in den Strudel hineingezogen. Nun können wir Griechenland verkraften, auch wenn die Schulden noch etwas größer werden, die dann zu einem zukünftigen Zeitpunkt nicht mehr bedient werden, aber wenn dieses Beispiel Schule macht und wir müssen dann also auch noch andere Staaten wie Portugal zum Beispiel retten, oder gar am Horizont Spanien, und wer möchte an Italien denken, dann wird es ja auch für Deutschland gefährlich. Also man darf ja nicht immer nur davon ausgehen, dass es Domino-Effekte über die Bankenbilanzen gibt, sondern es gibt auch Domino-Effekte über die Staatsbilanzen, wenn die Staaten sich zur Rettung verpflichten. Das Ganze führt zu keinem guten Ende.
Liminski: Wie hoch ist denn die Rechnung insgesamt für den deutschen Steuerzahler bis jetzt?
Sinn: Oh, das ist schwer zu sagen. Man kann nur ausrechnen, wie groß das sogenannte Exposer ist, also die äußerste Gesamtbelastung, wenn wirklich alles schiefgeht. Da haben die Staaten der Euro-Zone insgesamt ein Haftungsvolumen von knapp 1500 Milliarden Euro und für die Bundesrepublik Deutschland könnte im Fall der Fälle - das wäre aber für den Fall, dass die vier problematischen Länder nun gemeinsam ausfallen, Griechenland, Irland, Portugal, Spanien - mit einer Summe von bis zu 400 Milliarden rechnen. Wie gesagt, das ist ein Extremszenarium, ich möchte damit wirklich nicht sagen, dass das wahrscheinlich ist.
Liminski: Die Finanzminister der Euro-Zone werden wohl beschließen, oder jedenfalls die Staatschefs Ende des Monats, noch einmal zweistellige Milliarden-Beträge für Griechenland lockerzumachen. Nun sind das, könnte man sagen, nur Bürgschaften, kein reales Geld. Aber wenn es den Griechen hilft, wäre es doch eine Lösung. Oder sehen Sie das als A-fonds-perdu an?
Sinn: Also das Geld ist verloren. Die Griechen können ja jetzt schon nicht zurückzahlen. Griechenland war im Grunde schon vor einem Jahr pleite. Am 28. April letzten Jahres gingen die Zinsen für griechische Staatspapiere tagsüber auf 38 Prozent. Was danach kam, würde ich mal etwas salopp als Konkursverschleppung bezeichnen. Diese Art von Politik, immer mehr gutes Geld dem schlechten hinterherzuwerfen und das dann auch schlecht zu machen, führt in eine Teufelsspirale, die zum Schluss nicht mehr beherrschbar ist. Ich kann also insofern nur jeden warnen.
Vielleicht neigt die Politik so ein bisschen dazu. Natürlich sind das Risiken, wenn man jetzt also ein Ende mit Schrecken herbeiführt. Da ist es vielleicht etwas angenehmer, sich zu retten bis zur nächsten Wahl und das Problem dem Nachfolger im Amte zu überlassen. Nur es wird dann ja immer größer.
Liminski: Kommt man denn an einer Umschuldung wirtschaftlich noch vorbei? Die EZB wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, die Notenbanken zeigen sich jetzt reserviert, jedenfalls will Bundesbankpräsident Weidmann sich an einer zusätzlichen finanziellen Rettung nicht mehr beteiligen.
Sinn: Ja, also da bin ich jetzt sehr, sehr froh, dass Herr Weidmann heute Morgen diese Stellungnahmen in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hat, denn das bedeutet jetzt endlich mal einen Kurswechsel bei der Politik der Europäischen Zentralbank. Diese Europäische Zentralbank hat ja riesige Rettungspakete bereits geschnürt und hat die Länder, um die es hier geht, die vier vorhin genannten, in den letzten drei, vier Jahren, praktisch seit Mitte 2007, weitgehend finanziert. Da ist ja gar kein Geld mehr hingeflossen, obwohl diese Länder noch mehr importiert haben, als sie exportiert haben. Der gesamte Importüberhang wurde durch die Europäische Zentralbank im Umfang von 340 Milliarden Euro, in der Größenordnung über 300 Milliarden auf jeden Fall hier finanziert, und damit hat sie etwas getan, was in der Zeit vielleicht vertretbar war, in der akuten Krise, bevor die Parlamente sich damit beschäftigen konnten, aber das macht man jetzt schon im vierten Jahr. Inzwischen ist es doch eine wirkliche fiskalische Maßnahme geworden, um die sich die Staaten Europas kümmern müssen, denn im Grunde hat für eine solch ausufernde Finanzierung dieser Staaten die EZB ja gar nicht das Mandat.
Liminski: Die EZB hat in der Finanzkrise vor zwei Jahren Liquidität geschaffen und damit das System über Wasser gehalten. Dafür waren Sie ja auch, sind Sie ja auch. Nun wird immer mehr Geld in die PIGS-Länder gepumpt. Verschiebt sich dadurch nicht der Kreditmarkt zu Lasten der wirtschaftlich starken Länder, die ja auch Liquidität brauchen?
Sinn: Ja, das ist richtig, aber es ist natürlich ein etwas differenziertes Bild. Also im Prinzip profitiert ja Deutschland von der Krise insofern, als das Geld jetzt sich nicht heraustraut. Die Banken und die Versicherungen, die in der Zeit bis zur Finanzkrise sehr viele deutsche Ersparnisse in Riesenumfang von über 1.000 Milliarden ins Ausland getragen haben in den letzten acht Jahren, die trauen sich nicht mehr raus, bieten das Geld zu Hause an, die Zinsen sind extrem niedrig, es wird wieder gebaut, es wird investiert, das kommt Deutschland zugute. Aber das ist eine natürliche Korrektur einer Fehlentwicklung, die wir hatten in der Vergangenheit, wo exzessiv Kapital in die Südländer floss, weil eben unter dem Schutze des Euro schon kleinste Zinsdifferenzen zu Deutschland ausreichen, das Kapital da hinzulocken. Das Kapital hat im Grunde die wirklichen Risiken total unterschätzt. Jetzt weiß man, dass die Anlagen in diesen Ländern riskant sind, das Kapital ist wieder in Deutschland.
Wenn man jetzt Rettungspakete in allzu großem Umfang durchführt, dann verschenkt man ja die deutsche Bonität den Südländern und setzt die dortigen Investoren in die Lage, sich auf dem Kapitalmarkt das Geld wieder zu besorgen, das jetzt sich doch aus Risikogründen verweigert hat, und das bedeutet automatisch, dass die Zinsen in Deutschland wieder steigen und das Investitionsklima in Deutschland sich verschlechtert. Also ich bin nicht gegen Rettung, nur das Übermaß und die exzessiven Volumina, um die es jetzt geht, die sprengen doch meine Vorstellungskraft und ich glaube auch nicht, dass das gut ist für Deutschland.
Liminski: Welche Alternativen sehen Sie denn für Griechenland? Immer weitere Sparprogramme erinnern doch fatal an Brüning.
Sinn: Also Griechenland hat zwei Probleme. Erstens ist es ja überschuldet, kann seine Schulden nicht zurückzahlen, dann muss man ihm die Schulden erlassen. Was heißt "muss man ihm"? - Es bleibt ja nichts anderes übrig. Entweder schenkt der Steuerzahler das Geld, oder die Eigentümer der Staatspapiere verzichten, weil Griechenland nicht zurückzahlen kann.
Das Zweite Problem - und das ist ja viel, viel wichtiger - ist, dass Griechenland nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Griechenland hat sich durch den lockeren Kreditfluss in der Zeit des Euro etwas künstlich hochkatapultiert zu hohen Löhnen und Preisen, hat sich einen Lebensstandard gegönnt, der gar nicht der Leistungsfähigkeit der Exportindustrie entsprach, und jetzt hängt man da fest mit den überhöhten Löhnen und Preisen und ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Das ist das wahre Problem. Man hat also permanent bei diesen hohen Löhnen und Preisen ein Außenhandelsproblem. Das muss gelöst werden! Also es geht im Grunde nur zu lösen, indem die Griechen billiger werden. Wenn sie billiger werden, kommen die Touristen wieder nach Griechenland, statt in die Türkei zu fahren, und umgekehrt wird den Griechen auch das deutsche Auto dann relativ zu teuer, sodass sie das nicht mehr kaufen. Das verwässert alles die Ausnahmesituation. Und hier gibt es zwei Möglichkeiten: sie können also praktisch im Euro-Raum bleiben und abwerten, das gibt ein Hauen und Stechen. Das wäre die Brüningsche Situation. Deutschland hat ja von _29 bis _33 auch um 23 Prozent die Preise gesenkt, das war problematisch.
Liminski: Herr Sinn, wir müssen Schluss machen, die Nachrichten drängen. - Wankelmut statt Mut in der Griechenland-Krise, das war der Präsident des ifo Wirtschaftsforschungsinstituts, Hans-Werner Sinn, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Sinn.
Sinn: Gerne.