Thalia Magazin: Herr Professor Sinn, wenn Sie das Wort zu einem wirtschaftspolitischen Thema ergreifen, horcht Deutschland auf Seit einigen Jahren beziehen Sie auch in Fragen des Klimawandels und der Energie deutlich Stellung. Warum treiben Sie als Wirtschaftsexperten diese Themen derart um?
Professor Sinn: Ich bin Volkswirt und zudem Präsident des ifo Instituts. Meine Aufgabe ist es, zu öffentlichen Politikfragen Stellung zu nehmen und das Interesse des Volkes unparteiisch und mit wissenschaftlichen Argumenten zu vertreten. Dafür werde ich bezahlt. Mich erfüllt diese Arbeit.
Thalia Magazin: Wie sehr ist die Wirtschaft gefordert, sich mit klimatischen Fragen auseinanderzusetzen und weshalb?
Professor Sinn: Wir alle sind gefordert, als Konsumenten und Produzenten gleichermaßen. Wir Menschen berücksichtigen die Schäden, die wir anderen zufügen, indem wir ihre Lebensbe-dingungen verschlechtern, nur unzureichend. Das begründet kollektive Aktionen, also Wirt-schaftspolitik, zur Korrektur von Marktfehlern.
Thalia Magazin: In welchem Spannungsverhältnis sehen Sie Ökonomie und Ökologie zueinander - sind es zwei, die am selben Tau ziehen, nur eben nicht an derselben Seite? Wäre es denkbar, dass beide einmal auf derselben Seite stehen?
Professor Sinn: Ich sehe überhaupt kein Spannungsverhältnis, denn wer Ökonomie so versteht, dass es hier um Vorteile der Wirtschaft und geldmäßige Dinge geht, hat das Fach überhaupt nicht verstanden. Die Volkswirtschaftslehre hat sich schon seit den bahnbrechenden Arbeiten von Arthur Cecil Pigou, die Anfang der 1920er Jahre geschrieben wurden, mit dem Thema des Umweltschutzes beschäftigt. Ich selbst unterrichte die Umweltökonomie auch schon zehn Jahre länger, als es die Grünen gibt. Ökologische Aspekte sind integraler Bestandteil volkswirtschaftlichen Denkens, denn Natur und Bodenschätze sind die wichtigsten Vermögenswerte, über die eine Volkswirtschaft verfügt.
Thalia Magazin: Es gibt nicht viele Wissenschaftler, denen es so wichtig ist wie Ihnen, die Menschen von ihren Thesen zu überzeugen. Sie gehen an die Öffentlichkeit diskutieren und pola-risieren. Hat Ihr Einsatz damit zu tun, dass Sie an die Klugheit und Macht des Volks und die Funkti-onstüchtigkeit unserer Demokratie glauben?
Professor Sinn: Nicht alle sind Präsidenten von Leibniz-Instituten, die ja diese Aufgabe explizit bekommen haben. Insofern ist eine gewisse Arbeitsteilung richtig. Die einen müssen sich stärker der Übermittlung des akademischen Wissens widmen, die anderen stärker der Grundlagenforschung. Für Ersteres gibt es die wissenschaftlichen Weihen, für Letzteres viel Prügel von Leuten, die die Wissenschaft im Elfenbeinturm einsperren wollen. Das muss man hinnehmen. Ich war lange im Elfenbeinturm, und habe mich 1989 breitschlagen lassen, die Position des ifo-Präsidenten zu übernehmen. Jetzt habe ich den Job, und mache ihn auch.
Thalia Magazin: Bereits vor dem Atomunfall in Japan hatten Sie die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gefordert. Jüngst erneuerten Sie diese Aussage. Weshalb?
Professor Sinn: Da wir den Emissionshandel in der EU haben, der die gesamte Stromerzeugung erfasst, ist das EEG überflüssig. Keine einzige Tonne CO2, wird dadurch eingespart, denn der grüne Strom, den wir wegen des EEG in Deutschland erzeugen, verdrängt nicht nur fossilen Strom, sondern auch Emissionszertifikate. Was wir nicht emittieren, wird halt anderswo emittiert. Die Gesamtmenge an CO2, die in der EU produziert wird, wird nicht in Deutschland, sondern in Brüssel festgelegt. Das EEG macht den Strom bei uns teurer und verbilligt ihn in den anderen EU-Ländern. Die Hersteller und Betreiber von Windkraftanlagen werden reich, aber der Rest der deutschen Gesellschaft verliert mehr, als die Hersteller gewinnen. Daran hat sich durch die Abschaltung der Atomkraftwerke nichts geändert.
Thalia Magazin: Besteht nicht die Gefahr, dass die Wirtschaft in Energie- und Umweltangelegenheiten einen Weg wählt, der nur ihr hilft aber nicht der gesamten Gesellschaft?
Professor Sinn: Wenn man sie frei entscheiden lässt, schon, denn freiwillig verringert sie die Umweltschäden nicht. Aber wir lassen sie ja nicht frei entscheiden, sondern deckeln den CO2-Ausstoß durch den Emissionshandel. Da dieses Handelssystem besteht, ist es am besten, wenn die Politik die Wirtschaft nach der Abschaltung der Atomkraftwerke ansonsten weitgehend frei agieren lässt. Sie findet dann den für die Verbraucher billigsten Stromersatz, ohne dass damit das Umweltziel beeinträchtigt wird. Mit dem Ausstieg glauben manche, sie könnten jetzt die Planwirtschaft einführen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die die Kosten des Atomausstiegs nur noch vergrößert, ohne dass dadurch der CO2 -Ausstoß verringert werden kann.
Thalia Magazin: Inwiefern kommt der Wirtschaft eine moralische Verantwortung für das Weltklima zu?
Professor Sinn: Die moralische Verantwortung für das Weltklima liegt bei der Umweltpolitik. Die einzelne Firma hat die moralische Verantwortung, ihre Kosten zu minimieren, damit sie die Produktion mit möglichst wenig Schäden für den Rest der Gesellschaft durchführt. Damit sie das kann, müssen freilich dort, wo Marktpreise für Inputfaktoren fehlen, die tatsächlichen Kosten auf die Firma umgelegt werden. Der Emissionshandel tut genau dies. Er ist im Prinzip ein Stück vernünftige Umweltpolitik.
Thalia Magazin: Wir wissen, dass Sie nichts von Deutschlands radikalem Weg der Abkehr von der Atomkraft halten. Aber glauben Sie, dass er trotzdem irgendwie gangbar ist?
Professor Sinn: Ich bin dagegen, weil die Atomkraft der einzige realistische Weg ist, die Menschheit vom Joch der fossilen Brennstoffe zu befreien und sie vor den damit einhergehenden Gefahren der Erderwärmung zu schützen. Ein einzelnes Land wie wir kann zwar ohne eigene Atomkraft zurechtkommen. Um uns herum stehen weiter über hundert Atomkraftwerke in anderen Ländern. Die werden uns schon versorgen und verhindern, dass das Licht ausgeht. Nur, wenn alle ihre Atomkraftwerke abschalten würden, dann hätten wir ein Problem, denn weder der Windstrom noch der Sonnenstrom sind leistungsfähig genug, um die fossilen Brennstoffe zu ersetzen. Wind- und Sonnenstrom decken in Deutschland nicht einmal 2 Prozent des Endenergieverbrauchs ab, obwohl die Naturlandschaften schon weitgehend verschandelt sind und ein Großteil der Scheunendächer bereits mit Solarzellen bestückt ist. Wer glaubt, die 84 Prozent, die derzeit aus fossilen Quellen gespeist sind, ließen sich ohne einen Kahlschlag bei der deutschen Industrie und eine erhebliche Verringerung des Lebensstandards durch einen Ausbau dieser Quellen ersetzen, den kann ich nicht ernst nehmen. Deutschland folgt wieder einmal einer Ideologie, wie schon häufig in seiner Geschichte, und wird erneut eine bittere Lektion erhalten. Ich frage mich, warum so viele Deutsche an den Fakten vorbeisehen und stattdessen lieber irgendwelchen Träumen anhängen.
Thalia Magazin: Was haben Sie eigentlich gegen Solar- und Windenergie und gegen Gaskraftwerke?
Professor Sinn: Die Frage enthält eine Unterstellung, die ich zurückweisen muss. Wegen des Emissionshandels, der den fossilen Strom verteuert, haben diese Kraftwerksformen ihre faire Chance. Wenn sie billiger sind, werden sie sich bei uns durchsetzen, und wenn nicht, dann eben nicht. Dann werden eben andere Kraftwerke errichtet, und die grünen Technologien kommen in anderen EU-Ländern zum Zuge, wo die klimatischen Bedingungen besser sind. Ich habe nichts gegen Solar-, Wind- oder Gaskraftwerke, doch viel gegen Ideologen, die nun mit planwirtschaftlichen Methoden an das Umweltproblem herangehen wollen.
Thalia Magazin: Welche Folgen wird der Atomausstieg für unseren Alltag haben?
Professor Sinn: Keinen, denn es ist ja nur ein Ausstieg aus der Produktion, nicht aus dem Konsum von Atomstrom. Dass der Atomstrom von außen geliefert wird, kann die Bundesrepublik gar nicht verhindern, wenn sie die EU-Verträge nicht brechen wird. Die Tschechen und Franzosen freuen sich schon auf die guten Geschäfte.
Thalia Magazin: Ist für Sie das letzte Wort in Sachen Atomausstieg in Deutschland gesprochen oder glauben Sie, dass es womöglich zu einer erneuten Umkehr kommen könnte?
Professor Sinn: Die übernächste Politikergeneration wird neu entscheiden.
Thalia Magazin: Die Welt ächzt noch immer unter den Folgen der Schuldenkrise. Halten Sie es für legitim, Klimaziele — und damit auch bereits konkret beschlossene klimafreundliche Entscheidungen — angesichts der mit ihnen es überspitzt zu formulieren: Darf man „nur des Geldes wegen" die Umwelt noch eine Weile länger zerstören?
Professor Sinn: Nein das darf man nicht. Umweltpolitik muss man ungeachtet der Konjunkturlage betreiben, nur muss man aufhören, bloße Symbolpolitik zu machen. Die Frage ist wirklich nicht, ob man für oder gegen Umweltpolitik ist, sondern, wie eine sinnvolle Umweltpolitik aussieht. Die Politik macht es sich einfach, wenn sie ihren Kritikern das Umweltinteresse abspricht. Dann braucht sie sich der Diskussion um die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen gar nicht erst zu stellen. Wir kennen diesen Trick aus vielen Bereichen: Bist du nicht für meine Europapolitik, bist du gegen Europa. Bist du nicht für den Sozialismus, bist du für Krieg. Ich glaube, immer weniger Deutsche werden in Zukunft bereit sein, sich noch länger mit diesen hirnlosen Plattitüden zufriedenzugeben.
Interview: Jo Stein