Sie haben vor der Hebelung des Euro-Rettungsschirms gewarnt. Kommt jetzt der große Knall?
Zunächst einmal nicht, aber das Haftungsrisiko steigt, und gelöst ist nichts. Der Hebel vergrößert das Risiko, dass die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, endgültig verloren sind. Der Hebel soll der Kreditabsicherung dienen. Für den deutschen Steuerzahler bedeutet er aber nur, dass das Risiko für den Haftungsfall steigt.
Was droht dem Steuerzahler?
Zunächst garantiert Deutschland für 253 Milliarden Euro. Die sind mit dem Hebel praktisch schon weg. Dabei wird es aber nicht bleiben. Wenn die Mittel nicht reichen, müssen sie wieder aufgestockt werden. Wer A sagt, muss auch B sagen. Genau da liegt das Problem: Mit dem Rettungsfonds wird unterstellt, dass es sich um eine temporäre Liquiditätskrise handelt, bei der nur die Märkte beruhigt werden müssen. Das ist aber falsch: Die Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer sind gewaltig. Selbst nach dem Schuldenschnitt für Griechenland liegen diese Defizite noch bei 120 Milliarden Euro im Jahr. Um so viel wächst die Außenschuld der Krisenländer jedes Jahr. Da schon die jetzige Schuld kaum noch zurückgezahlt werden kann, werden die neuen Schulden erst recht nicht bedient werden. Griechenland hat sich übernommen. Es wird daher immer wahrscheinlicher, dass die zusätzlichen Gelder für immer verloren sind.
Sie warnen seit Monaten davor, „noch mehr gutes Geld schlechtem Geld hinterherzuwerfen“. Hätte Europa den Geldhahn zudrehen müssen?
Für Griechenland lautet die Antwort leider ja. Das Land ist seit Herbst 2007 pleite und wird ausschließlich durch die Druckerpresse der Europäischen Zentralbank und über die Rettungssysteme finanziert. Es ist ein Unding, dass wir das griechische Außenhandelsdefizit nun schon im fünften Jahr vollkommen finanzieren, egal ob das mit oder ohne Erfüllung von Auflagen geschieht. Es gibt für Griechenland keine Möglichkeit, im Euroraum wettbewerbsfähig zu werden. Je eher die Politik das einsieht, desto besser ist es für alle Beteiligten.
Ein abruptes Zudrehen des Geldhahns hätte aber eine gefährliche Kettenreaktion ausgelöst.
Natürlich kann man den Geldhahn nicht einfach zudrehen. Man muss Griechenland beim Ausstieg helfen. Für die anderen Länder muss man den Geldhahn langsam, aber beständig zudrehen. Wenn wir ihn nicht zudrehen, bleiben die Länder so überteuert wie heute, und nichts wird sich in puncto Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Dann füllen wir ein Fass ohne Boden.
Die Aktienmärkte feiern den EU-Beschluss.
Kein Wunder. Die Märkte sind überglücklich, dass jetzt Rentner und Steuerzahler in Europa die Staatspapiere übernehmen, die ihnen selbst zu heikel wurden. Jetzt haben wir den Schrott am Hals und können später versuchen, unsere Forderungen gegenüber den peripheren Ländern einzutreiben. Dieser Vorgang wird nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Reicht der Schuldenschnitt, damit Athen wieder auf die Beine kommt?
Der Schuldenschnitt entlastet Athen um 100 Milliarden Euro. Das ist natürlich eine gewaltige Hilfe. Er behebt aber die Ursache der Überschuldung Griechenlands nicht. Das Land ist nicht wettbewerbsfähig. Die Griechen müssen ihren Lebensstandard auch weiterhin durch Schulden finanzieren. Dieses Spiel geht also von vorne los.
Wie groß ist die Gefahr, dass weitere Länder in Schieflage nach einem Schuldenschnitt rufen?
Ich halte den Schuldenschnitt grundsätzlich für richtig. Es ist ein wichtiges Signal für andere Länder und ihre Gläubiger. Sie merken jetzt, dass man nicht überziehen kann, und das wird sie in Zukunft zur Vorsicht mahnen. Allerdings werden sie ja nun durch den Luxemburger Fonds versichert. Das macht diesen Effekt wieder kaputt.
Hätten Sie sich eine stärkere Beteiligung der Banken gewünscht?
Die Frage ist doch, warum sich der Steuerzahler überhaupt an einem Schuldenschnitt beteiligen muss. Der Marktwert von griechischen Papieren liegt nur mehr bei einem Drittel. Wenn die privaten Gläubiger jetzt auf 50 Prozent verzichten, kommen sie immer noch gut davon.
Können die Banken die Belastung stemmen?
Ohne Probleme. Ein erheblicher Teil der griechischen Staatsanleihen wurde ja ohnehin von der Europäischen Zentralbank gekauft.
Die Warnungen vor einer neuen Bankenkrise sind übertrieben?
Nein, sie sind berechtigt. Die Banken sind unterkapitalisiert. Bei der letzten Finanzkrise haben sie zudem viel Eigenkapital verloren. Bisher konnten sie über diese Verluste hinwegtäuschen. Es ist absolut nötig, die Banken zu rekapitalisieren. Griechenland ist da allerdings eher das kleinere Problem.
Sie sprechen von Spanien und Italien.
Die Situation in Spanien hat sich wieder beruhigt. Italien leidet dagegen unter einem massiven Kapitalabfluss.
Italien ist also der nächste Wackelkandidat?
Mit dem neuen Rettungsschirm gewinnt Italien erst einmal Luft, denn wir sichern die Investoren ja ab.
Wie lange?
Das ist schwer abzuschätzen.
Der Billionenpakt ist also keine Dauerlösung?
Nein. Er mag ein paar Jahre halten, und dann wird man eine Aufstockung verlangen, weil das Geld verbraucht ist. Italien ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Wir haben eine Zahlungsbilanzkrise mit riesigen Ungleichgewichten im Euroraum. Die Rettungsbeträge versuchen, ein Fass mit einem riesigen Loch zu füllen, aber sie verhindern, dass die betroffenen Länder Anstrengungen unternehmen, das Loch zu schließen.
Das Loch schließen heißt: Wir gestehen ein, der Euro ist gescheitert?
Das ist ohnehin klar. Um das Loch zu schließen, müssten die Krisenstaaten eine drastische Kürzung der Löhne und Preise akzeptieren. Wenn man zu teuer geworden ist, muss man billiger werden, damit das Außenhandelsdefizit verschwindet. In Griechenland ist das Ungleichgewicht aber so groß, dass es mit dem Euro auch eine solche Lösung nicht mehr gibt. Griechenland kann im Euroraum nicht wirtschaftlich überleben.
Athen muss also wieder die Drachme einführen.
Natürlich muss Athen dies selbst entscheiden. Es muss aber möglich sein, temporär aus der Euro-Zone auszutreten und später wieder zurückzukehren. Ich befürchte jedoch, dass wir bei Griechenland und möglichen anderen Ländern solange warten, bis unsere Taschen leer sind, und dass diese Länder dann aus dem Euro austreten werden.
Politiker fordern eine EU-Wirtschaftsregierung. Wäre dies eine Chance für die Euro-Rettung?
Eine solche Wirtschaftsregierung ist eine Institution, die den Empfängerländern die Möglichkeit gibt, über die Öffnung des deutschen Portemonnaies mitzubestimmen.
Chinesische Investoren sollen die Euro-Zone unterstützen. Diktiert künftig Peking die Bedingungen für die Euro-Rettung?
China kauft sich günstig in Europa ein. Es bekommt damit ein Einfallstor für seine Waren und macht die EU politisch abhängig. Während die Chinesen Sicherheiten für ihr Geld verlangen, müssen wir die Kredite ohne Sicherheit geben. Auf das chinesische Geld sollten wir lieber nicht bauen.
Interview: Steffen Habit