Die Griechen, der Euro und Inflationsgefahr – ein Gespräch mit dem ifo-Chef Hans Werner Sinn
Der Euro schwächelt. Der Krisenherd der Entzündung ist in Griechenland zu finden. Für den Präsidenten des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Professor Hans Werner Sinn, ist das kein Drama. Im Gegenteil, man könne sogar "paradoxerweise im Schwächeln des Euro auch Gutes sehen", sagt er im Gespräch mit der Volksstimme. "Denn wenn der Euro etwas billiger ist, können wir unsere Exporte besser verkaufen im Ausland."
Auch mit Blick auf Griechenland zeigt sich Sinn zuversichtlich. Generell machten die "Ereignisse um Griechenland schon Sorgen, aber man wird es abfangen und die Gefahren, die da am Horizont zu sehen sind, beherrschen". Er glaube nicht, "dass der Euro zerbricht, davon kann nicht die Rede sein".
Die internationalen Verhandlungen um Finanzhilfen für Athen sieht der Ökonom gelassen. Deutschland hätte sicher die Kraft, Griechenland allein zu retten. Aber das "ist ja nicht unsere Aufgabe, da müssen die anderen dann auch mitwirken, wenn man Griechenland retten will". Das Retten selbst sei allerdings schwierig, "erst mal müssen die Griechen sich selber retten". So schreibe es auch der Maastrichter Vertrag vor.
"Konkret wird man nicht darum herumkommen, Griechenland zu stützen, denn sonst droht ein Dominoeffekt." Ohne Hilfe würden die Anleger, die griechische Staatsanleihen kaufen sollen, sich zurückziehen, Griechenland würde in die Insolvenz gehen, und dann käme das nächste Land an die Reihe. Nach Ansicht von Sinn "könnte das Irland sein, das heute auch sehr hohe Zinsaufschläge im Vergleich zu Deutschland zahlen muss. Das könnte auch Portugal oder Spanien sein, wo diese Margen ebenfalls zunehmen, und im Endeffekt steht auch Italien vor der Tür". Das wiederum hieße, "dass der Euro auseinanderbricht. Und damit eben das nicht passiert, werden wir zähneknirschend den Griechen helfen müssen".
Sinn plädiert dafür, den Griechen "strikte Auflagen" zu machen und ihnen "praktisch einen Finanzkommissar zur Seite zu stellen, der ein Vetorecht bei der Ausgabenplanung im Budget hat". Es sei klar, dass dies die Lage verschärfen und zu sozialen Unruhen führen könnte. Aber das sei "so oder so ein Problem". Die Griechen hätten sich "an ein schönes Leben gewöhnt. Das Geld kam aus dem Ausland, sie hatten einen riesigen Kapitalimport oder ein Leistungsbilanzdefizit von 13, 14 Prozent des Sozialproduktes, haben also auf Kosten von anderen Leuten und auf Pump gelebt. Die Erwartung ist jetzt, dass der Lebensstandard immer so weiter steigt, aber das geht nicht".
An das Schreckgespenst der kommenden Inflation, das immer wieder in der Krise beschworen wird, glaubt der ifo-Chef nicht. Zwar werde stets argumentiert, es sei mehr Geld im Umlauf als Güter produziert werden konnten. Aber Sinn ist kategorisch: "Es wird keine Inflation geben. Ich halte diese Überlegungen für gedanklich falsch, weil sie von einem falschen theoretischen Zusammenhang ausgehen. Ob mehr Geld Inflation bedeutet oder nicht, hängt davon ab, warum mehr Geld da ist. In der Krise war es ja so, dass wegen des Zusammenbruchs des Interbankenmarktes Geldnachfrage und Geldhorten dramatisch zugenommen haben. Die Sparer lieferten das Geld bei den Sparbanken ab und die haben sich nicht getraut, das weiterzuliefern an andere Banken, die die Kredite an die Unternehmen vergeben. Das hat dann die Zentralbank versucht zu kompensieren, indem sie selber diese Kredite vergeben hat. Dadurch ist eine Teilkompensation dieses stockenden Kreditflusses passiert, aber keine Überkompensation. Denn sonst hätte es ja keine Rezession gegeben, sondern eine überschäumende Konjunktur".
Deflation statt Inflation
Sinn rät in diesem Zusammenhang, "den Blick einmal nach Japan zu richten. Japan hatte auch eine Bankenkrise, ausgelöst durch eine Immobilienkrise Anfang der 90er Jahre. Die Banken haben sehr viel Eigenkapital verloren, es gab eine Kreditklemme. Die Realwirtschaft litt darunter, Japan hat dann die Zinsen auf null gesetzt, es half alles nichts. Japan ist seit 15 Jahren in der Deflation, der Preisindex des japanischen Bruttoinlandsprodukts ist heute so hoch wie 1984. Das ist eine reale Gefahr auch für Europa".
Um diese Gefahr abzublocken, müsste man das Bankensystem in Europa, in Deutschland insbesondere, "sehr schnell flottmachen mit staatlichem Geld, was eigentlich nicht passiert. Und da sehe ich das Problem. Also wir müssen Deflationsgefahren abwehren, von Inflationsgefahren kann überhaupt keine Rede sein, das wäre viel zu schön, um wahr zu sein".
Das Geld, das angeblich in den Markt gepumpt worden sei, sei in der Realwirtschaft nicht angekommen. Es werde "einfach gehortet". Jetzt müsse man "den Banken konkret mehr Eigenkapital verschaffen", denn das Eigenkapital der Banken schwinde und "die Banken suchen jetzt krampfhaft Möglichkeiten, damit zurechtzukommen. Sie reduzieren ihr Geschäftsvolumen, verringern damit also die Kredite und Ausleihungen an die Privatwirtschaft, was die Realwirtschaft dann wieder runterzieht. Und das ist ein Stagnationsszenarium, was uns für die nächste Zeit, für die nächsten Jahre als Gefahr droht".
In puncto Realwirtschaft empfiehlt der ifo-Chef, "die Binnennachfrage zu stärken. Aber die Binnennachfrage muss gestärkt werden nicht beim Konsum, sondern bei den Investitionen. Da hapert es, Deutschland hat die kleinste Investitionsgüternachfrage relativ zu seinem Sozialprodukt unter allen OECD-Ländern. Wir müssen einfach mehr tun, um den Standort zu verbessern, dass die Firmen ihr Geld nicht ins Ausland tragen und die Sparer über das Bankensystem dasselbe tun, sondern dass im Inland investiert wird". Statt Werkzeugmaschinen in die Welt zu verkaufen auf Kredit, der mit den Mitteln der deutschen Sparer gewährt werde, könne man "das gleiche Spiel ja in Deutschland machen. Hier muss der Kapitalstock ausgeweitet werden, hier müssen die Kredite verwendet werden und dann kriegen wir unser Geld auch wieder, dann gibt es eine vernünftige Rendite und es entstehen Arbeitsplätze in Deutschland. Diese Außenorientierung, den Löwenanteil der Ersparnisse einer Volkswirtschaft ins Ausland zu schaffen, wie das in Deutschland in den letzten Jahren der Fall war, war einfach falsch". Hier könne man durchaus mit Steuern steuern. Durch Abschreibungsvergünstigungen könne man "dafür sorgen, dass die Realinvestition im Inland sich lohnt. Steuersenkungen allein helfen nicht, denn damit senkt man ja auch die Belastung der Erträge, die deutsche Investoren im Ausland verdienen, wir haben ja das Wohnsitzlandprinzip der Besteuerung, also das hilft gar nicht. Was hilft, sind Abschreibungsvergünstigungen".