Aufdeckung stiller Reserven
Mit der Unternehmensteuerreform will die Bundesregierung Unternehmen stärker entlasten als private Haushalte. Der Ökonom Hans-Werner Sinn versteht nicht, warum gerade eine sozialdemokratische Regierung dies plant. Die Asymmetrie der Steuersätze stärke die Unternehmenskonzentration. |
Die Bundesregierung plant eine Steuerbefreiung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalbeteiligungen. Sie will damit die Unternehmensverflechtung in der deutschen Volkswirtschaft aufbrechen und erhofft sich einen zusätzlichen Wachstumsschub. "Stille Reserven der Deutschland AG werden für den Arbeitsmarkt mobilisiert", nennt dies der Kanzler.
"Übertrieben", wertet Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchener ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. "Den Zusammenhang zwischen einem Aufbrechen der Unternehmensstruktur, mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätzen gibt es doch gar nicht. Deutschlands Probleme am Arbeitsmarkt liegen in den Unflexibilitäten am Arbeitsmarkt und im Flächentarifvertrag, nicht aber auf dem Kapitalmarkt".
Sinn gesteht jedoch zu, dass sich die deutschen Unternehmen für die intensivere Konkurrenzlage in Europa und der Welt wappnen müssten, auch durch Umstrukturierungen. Da sei es legitim, diesen Prozess durch die Steuerbefreiung zu fördern. Einen großartigen Wachstumsschub dürfe man davon aber nicht erwarten, mahnt der Professor an der Münchener Universität.
Viel wichtiger als solche Hoffnungen sei, dass mit der geplanten Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen eine unsinnige Doppelbesteuerung des Kapitals vermieden werde, sagt Sinn im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Beim Verkauf von Unternehmensbeteiligungen würden in der Regel stille Reserven aufgedeckt. "Wertzuwächse gibt es vor allen Dingen deshalb, weil bei den Beteiligungsunternehmen Gewinne thesauriert wurden." Diese Gewinne unterliegen derzeit bei der Entstehung dem Körperschaftsteuersatz des Beteiligungsunternehmens, und sie werden beim Verkauf der Beteiligungen erneut beim Halter der Beteiligungen versteuert. "Das ist eine versteckte Doppelbelastung der einbehaltenen Gewinne, die die Kapitalkosten des Beteiligungsunternehmens erhöht"
Ziel der Unternehmensteuerreform sei doch, die Kapitalkosten zu senken, meint der Professor. Dann seien auch Veräußerungsgewinne von der Besteuerung freizustellen.
Gar nicht nachvollziehen kann der Ökonom die Position, mit der die Bundesregierung für die Steuerbefreiung wirbt. "Im Rahmen der Unternehmensteuerreform sollen Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen bei Kapitalgesellschaften freigestellt werden, weil Dividenden aus diesen Beteiligungen steuerfrei sind und die Veräußerung einer Beteiligung einer Totalausschüttung gleichkommt", heißt es im Finanzministerium.
"Die Veräußerung einer Beteiligung ist doch keine Totalausschüttung", echauffiert sich Sinn. Die Gewinne blieben ja nach wie vor in dem Beteiligungsunternehmen thesauriert. Zudem seien Dividenden aus Beteiligungen nicht steuerfrei, sondern würden bei des ausschüttenden Tochter belastet.
Die Bundesregierung habe diese "abwegige Begründung" gewählt, vermutet Sinn, um einen künstlichen Unterschied zu den Personengesellschaften herzustellen. Diese sollen von der Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen ausgenommen werden.
"Ich bin kein Gerechtigkeitsfanatiker", sagt Sinn, aber diese Ungleichbehandlung stört ihn dann doch. Wenn Personengesellschaften entscheidende Anteile an Kapitalgesellschaften halten, würden nach dem Plan der Bundesregierung die Kapitalkosten dieser Kapitalgesellschaft künstlich verteuert bleiben, während sie in anderen Kapitalgesellschaften sinken. "Das kann nicht effizient sein."
Dem Staat sind Maschinen wichtiger als Menschen
Ebenso kräftig fällt die Kritik des Münchener Finanzwissenschaftlers aus, wenn es um die geplante Asymmetrie zwischen Spitzensatz der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer geht. Der Spitzensatz der Körperschaftsteuer soll nach den Plänen der Bundesregierung auf 25 % sinken, bei der Einkommensteuer werden auf mittlere Frist 45% anvisiert.
"Offensichtlich findet dieser Staat Investitionen in Maschinen wichtiger als Investitionen in Menschen", sagt Sinn. Da gebe es einen massiven Nachbesserungsbedarf. Notwendig in Deutschland sei nicht nur, die Unternehmen steuerlich zu entlasten, sondern auch, den Menschen mehr von ihrem Einkommen zu lassen. "Wir müssen die Anreize stärken, legal statt schwarz zu arbeiten, mehr statt weniger zu arbeiten und stärker in das persönliche Wissen zu investieren, statt sich mit wenig zufrieden zu geben. Dazu muss der Spitzensteuersatz der persönlichen Einkommensteuer runter. "Es ginge dabei nicht nur um eine Entlastung der Reichen, kommt der Ökonom möglichen Vorbehalten entgegen. Mit einer Senkung des Spitzensteuersatzes sänken ja gerade auch die Sätze für mittlere Einkommen.
"Der durchschnittliche Arbeitnehmer schafft einen Wert von 60 DM pro zusätzlich gearbeiteter Stunde. Davon bekommt er 20 DM ausgezahlt. Den Rest, 40 DM, schöpft der Staat ab", verdeutlicht Sinn sein Argument. "Von diesen 40 DM werden derzeit allein 15 DM als Lohnsteuer abgeführt." Nach dem Vorschlag der Bundesregierung seien es immer noch 13,50 DM, nach dem Vorschlag der Bayern immerhin nur noch 11 DM. "Da muss die Bundesregierung mutiger sein. "
Sinn plädiert dafür, die Körperschaftsteuer nur auf 30% (statt 25%) zu senken. Mit der Gewerbesteuer würden die Unternehmensgewinne dann mit etwa 40% belastet. Im Gegenzug sollte der Spitzensatz bei der Einkommensteuer gleichfalls auf 40% fallen.
Dann könnte auch das Optionsmodell für Personengesellschaften entfallen, das Freiberufler und die ganz normalen Arbeitnehmer benachteilige. "Die sehen sich der Erträge ihres Humankapitals doch auch beraubt", wettert der Professor gegen fehlendes Verständnis für eine Gleichbehandlung von Unternehmen und Personen.
Die Asymmetrie der Steuersätze veranlasse die Kapitalgesellschaften, ihre Gewinne zu thesaurieren. Diese Entscheidung hänge nicht vom geplanten Halbeinkünfteverfahren oder der niedrigeren Steuerbelastung einbehaltener Gewinne im Vergleich zu der ausgeschütteter Gewinne ab, wie es vielfach vermutet wird. "Das ist ein Irrtum, der häufig begangen wird", sagt Sinn. Ausschlaggebend für die Wahl zwischen Thesaurierung und Ausschüttung sei vielmehr, wie groß die Steuerbelastung der einbehaltenen Gewinne im Vergleich zur Belastung der Zinseinkünfte des Anteilseigners sei. Und da kommt schon wieder der persönliche Einkommensteuersatz ins Spiel. Ist dieser höher als die Belastung einbehaltener Gewinne, wird thesauriert - im Umkehrfall nicht.
Die höhere Belastung der persönlichen Einkommen führe so zu einer Akkumulation des Kapitals in den Unternehmen, sagt Sinn. Real werde freilich gar nicht mehr investiert, die Unternehmen entwickelten sich allein zu Kapitalsammelstellen, der Konzentrationsprozess in der Wirtschaft beschleunige sich.
"Ich verstehe nicht, warum gerade eine sozialdemokratische Regierung einen solchen Vorschlag macht."
Die Bundesregierung zielt mit der Unternehmensteuerreform jedoch auf die Entflechtung und Umstrukturierung der Wirtschaft. Sinn begrüßt diese Ausrichtung grundsätzlich, hat aber seine Bedenken.
Jenseits der Maximierung des Kurswerts
Die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen öffne den deutschen Markt für Unternehmensanteile auch ausländischen Käufern.
"Das geht nicht immer zum Nutzen Deutschlands aus", verweist der Ökonom auf die Übernahme-Fusion von Mannesmann durch Vodafone. "Wenn sich auf Dauer angelsächsische Großkonzerne die Deutschland AG einverleiben, darf uns das nicht egal sein."
Sinn plädiert für einen Übemahmekodex, der zum Beispiel - wie in Großbritannien - ein verpflichtendes Barzahlungsangebot des Übernehmers an die Aktionäre vorsieht. Damit würde sich Deutschland nur internationalen Gepflogenheiten anpassen. "Wir müssen bei Übernahmen nicht liberaler als England sein, den Ausverkauf steuerlich erleichtern und sonst nichts tun", sagt Sinn.
Es sei eben nicht egal, von wo die in Deutschland ansässigen Unternehmen gesteuert würden, warnt er vor zu viel Blauäugigkeit. In anderen Ländern würde das klar erkannt. "Die Ballung wirtschaftlicher Macht hat auch Einfluss auf die Politik in Europa", sagt Sinn. "Wären die Deutschen reich, aber wirtschaftlich machtlos, dann wäre das für ihren politischen Einfluss auch nicht gut." Das freilich ist eine Frage "jenseits der Maximierung des aktuellen Kurswerts".