Hans-Werner Sinn hält die derzeitigen Preissteigerungen in Euroland für gesund und warnt, die Geldpolitik stärker an diesem Kriterium auszurichten.
Focus: Die Inflationsrate in der Eurozone liegt mit zwei Prozent auf dem höchsten Stand seit Einführung der gemeinsamen Währung. Ein Grund zur Sorge?
Sinn: Überhaupt nicht. Zwei Prozent sind nur der Durchschnitt. Irland hat eine Teuerungsrate von 4,6 Prozent, Frankreich dagegen nur 1,5. Wir brauchen ein gewisses Maß an Inflation, damit den reicheren EU-Ländern keine Deflation droht. die dürfen wir unter keinen Umständen haben.
Was wäre daran so gefährlich?
Kreditfinanzierte Unternehmen könnten in Konkurs gehen, weil ihre Schulden immer teurer werden.
Wegen der steigende Inflationsraten könnte die Europäische Zentralbank (EZB) in den nächsten Monaten die Leitzinsen erhöhen. Riskiert sie so, den Konjunkturmotor abzuwürgen?
Nein, das derzeitige Zinsniveau ist ungesund niedrig. Gerade in Deutschland entwickelt sich der Aufschwung so stark, dass Zinssteigerungen notwendig sind. Außerdem verknappt die Zinserhöhung die Geldmenge - das ist dringend notwendig. Letztes Jahr ist sie beunruhigend hoch gestiegen. Statt der geplanten 4,5 wuchs die Geldmenge in der Eurozone um sechs Prozent. Dabei stieg das europäische Sozialprodukt nur um 3,5 Prozent.
Trotz gemeinsamer Währung bestehen immer noch große Preisunterschiede in der EU. Entspricht das Ihren Erwartungen?
Vollkommen. Erst einmal müssen sich die Löhne in den ärmeren Ländern wie Portugal, Spanien oder Irland unserem Niveau annähern. Dann erst ziehen die Preise der lokalen Güter nach.
Der Algarve-Urlaub wird also in Zukunft teurer?
Dieser Prozess dauert eine Weile. Und der Tourismus gehört zu den "nicht handelbaren Gütern". Deren Preise steigen als Letzte.
Die Bundesbank kritisiert die Ankündigung des EZB-Präsidenten Wim Duisenberg, künftig Inflationsprognosen zu veröffentlichen. Was halten Sie von dieser Idee?
Ich halte das nicht für richtig. Die EZB orientiert sich in erster Linie an der Geldmenge und nicht an der Inflation. Und das ist gut so. Denn das wäre, als ob ich im Auto das Lenkrad erst dann herumreiße, wenn ich bereits im Graben liege. Mit dieser Politik erntete die amerikanische Notenbank immer höhere Inflationsraten als wir. Wenn die EZB ihre Inflationsprognosen erst veröffentlicht, erwarten alle, dass sie sich auch daran orientiert.
Das Interview führte Kristina Hennigs.