ÖLPREIS, EURO, ZINSEN. Im Sommer schien die Welt noch in Ordnung - Aufschwung, Preisstabilität, niedrige Zinsen. Heute gefährden steigende Ölpreise und fallende Euro-Kurse diese positive Perspektive. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, analysiert Ursache und Wirkung.
FINANZEN: Professor Sinn, "Ölschock" titeln die Gazetten. Müssen wir uns - wie in den 70ern und Anfang der 90er - um die Konjunktur Sorgen machen?
Hans-Werner Sinn: Im Moment glücklicherweise nicht. Derzeit boomt die Weltwirtschaft. Die Asienkrise ist überwunden. Dort geht es steil bergauf. In Amerika läuft die Konjunktur immer noch prima. Und in Europa beginnt der Aufschwung ja erst. Die Konjunktur läuft hier so gut wie in den ganzen 90er-Jahren nicht.
Keine Angst, dass der beginnende Aufschwung bei uns einfach abgewürgt wird?
Nein, der Effekt des Ölpreisanstiegs ist nicht stark genug, um in Europa auf absehbare Zeit Konjunkturprobleme zu verursachen. Wir haben nachgerechnet: Der Realeinkommensverlust beim Verbraucher deckt sich ungefähr mit dem zusätzlichen Nachfrageschub bei den Exporten dank der Euroabwertung. Das hebt sich also in etwa auf. Ich gehe weiter davon aus, dass Europas Wirtschaft 2000 und 2001 mit realen Raten von etwa drei Prozent wachsen wird. In Deutschland werden wir bei etwas unter drei Prozent liegen.
Die USA bekommen keinen Rückenwind von der Währung. Wie hoch ist das Risiko, dass dort aus dem "Soft landing" ein "Hard landing" wird?
Ich frage mich schon seit drei Jahren, wieso die USA keine Rezession bekommen. Es scheint, dass dort tatsächlich mehr stattfindet als ein normaler Konjunkturzyklus. Wachstumsdynamik hat das Land erfasst - dank New Economy und der Flexibilität des Arbeitsmarktes. Auch höhere Ölpreise dürften keine harte Landung erzwingen. Weil die staatliche Regulierung minimal ist, kann die Marktwirtschaft ihre Wachstumskräfte besser entfalten. Da können wir viel lernen.
In der Tat rufen bei uns schon wieder einige nach staatlichen Hilfen zur "sozialen Abfederung" der höheren Ölpreise. Was wäre sinnvoll?
Ich kann mir eine Aussetzung der Ökosteuer für den Heizölverbrauch vorstellen, denn da bringt sie wenig.
Viele geben der Ökosteuer ohnehin die Schuld an den hohen Ölpreisen. Zu Recht?
Ich bin davon überzeugt, dass auch die Ökosteuer an den derzeit hohen Ölpreisen schuld ist. Die Opec lässt es jetzt auf eine Machtprobe ankommen. Sie will zeigen, dass sie die Hochsteuerpolitik in Westeuropa nicht akzeptiert. Energiesteuern führen zu einem Sinken der Netto-Ölpreise und damit zu einer Teil-Enteignung der Besitzer von Ölquellen. Deswegen ist das Öl-Problem in erster Linie ein Verteilungsproblem zwischen den Industrieländern und den Opec-Staaten.
Das müssen Sie genauer erklären.
Man darf sich also nicht täuschen lassen: Die Opec hat nicht die Macht, die Energiesteuern dauerhaft auf die Benzinpreise abzuwälzen. Wenn sie die Preise heute erhöht, sitzt sie morgen auf umso mehr unverkauftem Öl. Und das will sie ja auch loswerden. Also sind die Preise morgen umso niedriger. Wenn als Industrieländer die Ökosteuer einführen, trägt die Opec die Last allein.
Und wenn sie nur ein Land einführt?
Dann erhöht sich der nationale Energiepreis, und der Weltmarktpreis sinkt. Das verlagert dann die Nachfrage hin zu anderen Ländern.
Wäre es deshalb nicht sinnvoll, die geplante Ökosteuer-Anhebung auszusetzen oder die Steuer ganz abzuschaffen?
Da sie nun einmal eingeführt ist, würde ich sie lassen. Sie ist aber schon sehr hoch. Wir haben beim Benzin eine Abgabenbelastung von 68 Prozent. Benzin wird prozentual stärker besteuert als die menschliche Arbeitskraft. Da noch etwas draufzusetzen, ist nicht klug. Ich würde stattdessen darauf drängeln, dass die anderen Länder in Europa auch eine Ökosteuer einführen. Dann wäre zumindest die Wettbewerbssituation in Europa ähnlich.
Das kann dauern. Wie wird sich der Ölpreis derweil entwickeln?
Der Winter steht vor der Tür, Europa und die USA müssen Öl einkaufen. Es würde mich deshalb nicht wundern, wenn die Preise weiter steigen. Aber: Das Opec-Verhalten lässt sich kurzfristig nicht exakt prognostizieren. Das ist nur auf längere Sicht möglich.
Wie sieht Ihre Langfrist-Prognose aus?
Wir müssen uns auf steigende Ölpreise einstellen. Je mehr Öl verbraucht wird, desto knapper wird es, und desto weiter wird der Preis steigen. Nach oben hin sind auf längere Sicht keine Grenzen gesetzt. Die aktuellen Ölpreise werden langfristig überboten werden.
Schon jetzt steigen - ölpreisbedingt - in Euroland die Importpreise. Bekommen wir bald ein Inflationsproblem?
Nein, die Kerninflationsrate ohne Öl ist niedrig. Gerade jetzt ist ein Ölpreisanstieg ohne große Probleme zu verkraften. Im Übrigen geht es dabei um einen Anstieg der relativen Preise. Dass ein Gut, das im Laufe der Zeit immer knapper wird, relativ zu anderen Gütern teurer wird, ist keine Inflation.
Dann müsste sich auch die Europäische Notenbank (EZB) keine Sorgen machen?
Wegen des Ölpreisanstieges nicht. Für sich genommen rechtfertigt er keine Zinserhöhung.
Wie sieht es mit der Kombination Ölpreisanstieg und Euro-Kursverfall aus?
Klar, auf den Euro-Kursverfall muss sie reagieren. Und das hat sie ja auch schon getan, versteckt, ohne die Zinserhöhung explizit auf die Euro-Schwäche zurückzuführen ...
... Und ohne Erfolg. Wie weit wird der Euro noch fallen?
Aktuell liegt er bei 86 Cent. Das entspricht zufällig genau der Kaufkraftparität, wenn ein typischer US-Warenkorb herangezogen wird. Bei einem typischen deutschen Warenkorb liegt die Kaufkraftparität des Euro bei 1,18 Dollar. Die Warenkörbe sind so unterschiedlich, weil die Waren, die in einem Land billiger sind, dort stärker nachgefragt werden. Irgendwo zwischen den beiden Kaufkraftparitäten liegt der wirkliche Wert des Euro. Mittelfristig wird der Euro aber nicht nur deshalb wieder steigen.
Was spricht noch für den Euro?
Die USA sind Nettoschuldner. Das heißt, die Depots internationaler Kapitalanleger sind mit US-Papieren vollgestopft. Weil zudem die US-Leistungsbilanz negativ ist, müssen die jedes Jahr neue Dollar-Papiere kaufen. Irgendwann haben sie genug. Dann muss die Dollar-Anlage attraktiver werden. Durch höhere Zinsen, was jetzt nicht mehr absehbar ist, oder einen niedrigeren Dollarkurs. Denn dann bekämen Investoren wieder die Chance auf Kursgewinne.
Steigende Euro-Kurse haben Sie allerdings schon vor einem Jahr prognostiziert.
Ja, sicher, aber langfristig, auf Sicht von drei, fünf Jahren. Was innerhalb eines Jahres am Devisenmarkt passiert, kann niemand seriös vorhersagen.
Was bewegt den Wechselkurs kurzfristig?
Vor allem die Erwartungen. Und Erwartungen sind instabil. Wenn Investoren glauben, der Kurs geht hoch, geht er hoch. Wenn sie glauben, der Kurs geht runter, geht er runter. Das hat keine reale, ökonomische Basis.
Warum geben Banken dann so viel Geld für Ökonomen aus, deren Aufgabe es ist, Wechselkursprognosen zu erstellen?
Tun Sie das denn?
Natürlich.
Vielleicht, damit sie den ifo-Geschäftsklima-Indikator * prognostizieren. Der hat jeden Monat einen Einfluss auf den Eurokurs. Morgens um neun bekommen die Kunden den Wert. Sie schauen dann, ob er rauf oder runter geht und handeln danach. Und weil alle danach handeln, reagiert der Kurs auch genau so, wie es das ifo-Klima vermuten ließ. Wer den ifo-Indikator prognostizieren kann, kann kurzfristig auch den Wechselkurs vorhersagen.
Wie fällt der nächste ifo-Index aus?
Kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist strikte Politik des Hauses, keine Prognose für das Prognose-Instrument Geschäftsklima zu machen.
Am 28. September findet das Euro-Referendum in Dänemark statt. Ein wichtiges Datum für den kurzfristigen Euro-Trend?
Ja, natürlich. Bei einen Ja wird der europäische Währungsraum größer, der Druck auf die Beitrittskandidaten Großbritannien und Schweden wird erhöht, der Euro als internationale Transaktionswährung gestärkt - der Eurokurs steigt. Ein Nein dagegen würde wohl neue Tiefstände bedeuten.
Was kann die EZB dann noch tun?
Sie wird ihre Politik der Zinssteigerung fortsetzen. Sie sollte das ohnehin tun. Denn die Randstaaten in Europa - Irland, Spanien, Portugal - erleben einen Konjunkturboom und benötigen dringend höhere Zinsen, um ihre Konjunktur in den Griff zu bekommen.
Können Zinserhöhungen den Abwärts-Trend des Euro tatsächlich umkehren?
Natürlich. Nur - aktuell sind die Zinsen in den USA eben noch immer höher als in Europa. Deshalb steigt auch der Euro-Kurs nicht.
Wären Interventionen eine Option?
Um den Kurs zu beeinflussen, ist extrem viel Kapital nötig. Das schafft die EZB nicht. Es ist viel einfacher, die Zinsen zu ändern. Damit hat die Notenbank, ohne viel zu tun, einen sehr großen Einfluss auf den Außenwert des Euro.
Wie weit werden die Zinsen steigen?
Sechs Prozent in zwei Jahren würden mich beim Kurzfrist-Zins nicht wundern. Und beim Langfrist-Zins kann ich mir auch sieben oder acht Prozent vorstellen.
VITA: Professor Hans-Werner Sinn ist seit 1984 Ordinarius für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität München. Seine wichtigsten Forschungsgebiete sind Finanzwissenschaft, Außenhandel und Rohstoff-Märkte. Seit dem 1. Februar 1999 leitet der 52-jährige Ökonom als Präsident das ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München |
Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von FINANZEN.
Anmerkung der ifo Internet-Redaktion:
* Die kommenden Veröffentlichungstermine, jeweils um 10.30 Uhr, und die aktuellen Werte des ifo Geschäftsklima-Index finden Sie hier.