Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts, München, zur deutschen Konjunktur und zur EZB
In den vergangenen Wochen hat ein Konjunkturinstitut nach dem anderen die Erwartungen für das Wirtschaftswachstum in Deutschland nach unten korrigiert. So auch das ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn äussert sich im Gespräch mit Finanz und Wirtschaft zum Kurs der deutschen Bundesregierung, zu den konjunkturellen Aussichten sowie zum Zinssenkungsspielraum der Europäischen Zentralbank (EZB).
Herr Sinn, was sollte die deutsche Bundesregierung tun, damit die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt. Die Steuerreform hat ja bisher wenig gebracht?
Die Steuerreform hat einen Einkommenseffekt, der positiv ist: Die Einkommen der Haushalte steigen. Zudem hat sie möglicherweise eine stimulierende Wirkung auf die Investitionen, die allerdings noch dadurch gedämpft wird, dass die Kapitalkosten steigen. Der grosse Vorteil der Steuerreform liegt vor allem darin, dass unrentable Investitionen verhindert werden und weniger darin, dass die Investitionstätigkeit anzieht.
Was halten Sie davon, Teile der Steuerreform vorzuziehen, damit Unternehmen und Bürgern mehr Geld für Investitionen und Konsum zur Verfügung steht?
Das wäre schon wirksam. In diesem Zusammenhang muss aber auch über die Gegenfinanzierung nachgedacht werden. Wir schätzen die Nettoneuverschuldung für 2001 bereits auf 2%, Damit bewegt sich Deutschland schon knapp unter der Maastricht-Grenze von 3%. Die Steuerreform krankt vor allem daran, dass die Haushaltseinkommen immer noch zu stark besteuert werden. In Deutschland sind durchschnittlich zwei Drittel der Wertschöpfung einer zusätzlichen Arbeitsstunde an den Staat abzuführen. Das ist zu viel. Dort liegt das Problem.
Diskutiert wird jetzt auch wieder über die härteren Abschreibungsregeln für Unternehmen. Sollte die Regierung diesen Teil der Reform rückgängig machen?
Die Steuersätze müssen runter, die Bemessungsgrundlagen verbreitert werden, dazu gehören auch die neuen Abschreibungssätze. Die sollte man nicht in Frage stellen. Das träfe die Kernidee der Steuerreform.
Führt der strikte Sparkurs des Finanzministers nicht dazu, dass die Konjunktur noch weiter gedrosselt wird?
Ich gehe davon aus, dass der Finanzminister die Staatsausgaben nicht deshalb kürzt, weil weniger Einnahmen da sind. Das Defizit, das sich automatisch durch die konjunkturelle Abschwächung ergibt, sollte er hinnehmen.
Wie geht es mit der deutschen Konjunktur weiter? Nach der letzten Prognose Ihres Instituts wird die Wirtschaft in diesem Jahr real nur noch 1,2% wachsen. Können Sie eine Rezession ausschliessen ?
Wir befinden uns am Rande einer Stagnation. Eine Rezession im Sinne einer Verminderung des Sozialprodukts schliessen wir aber aus.
Deutlich beschleunigt hat sich die Inflation. Eine längerfristige Gefahr?
Nein, das sind grösstenteils einmalige Effekte, insbesondere wegen dem schwachen Euro und dem hohen Ölpreis. Das wird sich nicht wiederholen.
Gefahren drohen aber von der Lohnfront. Führende Gewerkschafter fordern eine schärfere Gangart bei den nächsten Tarifverhandlungen. Sie setzen darauf mit deutlicheren Lohnerhöhungen die Kaufkraft zu erhöhen und so die Konjunktur zu beleben. Ein sinnvoller Weg?
Nein. Die Löhne sind ein Kostenfaktor, daher verhindern kräftige Lohnerhöhungen tendenziell die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Natürlich wird die Konsum-Nachfrage mit den Löhnen finanziert. Die Investitionen der Unternehmen sind auch Nachfrage. Reallohnerhöhungen gehen zu Lasten der Gewinne, es stehen also weniger Mittel für Investitionen zur Verfügung. Ob die Nachfrage dann per Saldo steigt oder fällt, ist nicht klar.
Was sagt Ihnen Ihre langjährige Erfahrung?
Empirisch muss man sogar befürchten, dass die Investitionsneigung stärker in Mitleidenschaft gezogen wird, als der Konsum anzieht. Von daher sind deutlich steigende Löhne als Konjunkturstimulator ein nicht sehr ernst zu nehmender Vorschlag.
Sitzt die EZB - auf Grund der beschleunigten Inflation - bereits in der Klemme oder sehen Sie noch zinspolitischen Spielraum nach unten?
Beides. Sie sitzt in der Klemme, weil die Konjunktur in anderen Euro-Ländern insgesamt ganz gut läuft. Die meisten Länder haben noch nicht die Sorgen von Deutschland. Andererseits ist Deutschland das grösste europäische Land. Wenn hier die Konjunktur kränkelt, dann sollte die EZB dies schon ernster nehmen als es dem deutschen Stimmengewicht im europäischen Zentralbankrat entsprechen würde.
Also sollten die Zinsen weiter gesenkt werden?
Für Deutschland wäre es in jedem Fall gut, wenn die EZB die Zinsen noch um 50 Basispunkte senkt. Das ist auch vertretbar. Probleme mit der Preisstabilität sehe ich nicht.
Wird der Kanzler sein Wort halten können und die Zahl der Arbeitslosen bis 2002 nachhaltig auf unter 3,5 Millionen drücken?
Ich glaube nicht. Die saisonale Arbeitslosigkeit im September/Oktober könnte zwar kurzfristig auf diesen Wert heruntergehen. Die jahresdurchschnittliche Arbeitslosigkeit wird aber um etwa 200 000 höher liegen.
Hans-Werner Sinn, 1948 in Brake/ Westfalen geboren, beendete sein Studium der Volkswirtschaft 1972 an der Wilhelms-Universität in Münster. 1978 promovierte er an der Universität Mannheim, wo er 1983 auch seine Habilitation abschloss. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten im In- und Ausland leitet Sinn seit 1999 das Münchner ifo Institut für Wirtschaftsforschung. Gleichzeitig ist er Ordinarius des Lehrstuhls für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sinn ist auch Vorstand des Center for Economic Studies in München und gehört dem Aufsichtsrat der Münchner Hypovereinsbank an. Er ist Mitglied zahlreicher internationaler wissenschaftlicher Institutionen.
Interview: Dieter W. Heumann.