Wirtschaft: Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn zu den Folgen einer militärischen Intervention im Irak - Kritik an mangelnder Reformbereitschaft - Deutschland vor "sehr schwierigem Jahrzehnt"
Wie wirkt sich der Irak-Konflikt auf die Weltwirtschaft aus? Droht eine Rezession? Fragen an Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung.
VDI nachrichten: Herr Professor Sinn, stürzt die Weltwirtschaft in eine Rezession, wenn die USA im Irak militärisch eingreifen?
Sinn: Für die Konjunktur wäre ein Krieg äußerst ungünstig. Die Ölzufuhr würde zumindest vorübergehend beeinträchtigt, weil ja die Opec diesmal schon angekündigt hat, dass sie keinen Ausgleich schaffen wird. Auch sind die Lagerbestände bereits bedenklich niedrig. Höhere Preise wären die Folge. Auf nichts aber reagiert die Wirtschaft so empfindlich, wie auf steigende Ölpreise. Der Aufschwung würde eine weitere Pause einlegen. Für wie lange, das hinge vom Verlauf des Krieges ab.
VDI nachrichten: Welche wirtschaftlichen Folgen erwarten Sie für Deutschland im Falle eines Krieges?
Sinn: Deutschland ist in extremer Weise von Ölimporten abhängig. Das Realeinkommen sinkt, wenn unsere Ölrechnungen teurer werden. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte würden noch weiter zurückgehen.
VDI nachrichten: Was kostete uns ein Krieg?
Sinn: Das lässt sich noch nicht sagen. Beim Golfkrieg hat Deutschland einige Milliarden Dollar an die USA gezahlt. Der Bundeskanzler hat zwar erklärt, dass wir uns diesmal finanziell nicht beteiligen würden, aber das ist wohl nicht durchzuhalten. Die wahren Kosten liegen aber in der Rezessionsgefahr.
VDI nachrichten: Wie werden die Aktienmärkte auf eine militärische Auseinandersetzung reagieren?
Sinn: Die Finanzmärkte haben schon reagiert. Der Krieg ist schon eingepreist. Wenn er wirklich stattfindet, muss das keinen Kursrutsch auslösen. Die Kurse haben bereits ein Niveau erreicht, das vor einiger Zeit selbst Pessimisten nicht erwartet hätten.
VDI nachrichten: Erwarten Sie eine schnelle konjunkturelle Erholung in Deutschland, falls der Irak-Konflikt friedlich beigelegt wird?
Sinn: Die Konjunktur wird sich dann langsam aufrappeln. Die Wachstumskräfte dürften sich im Herbst und Winter verstärken. Für das nächste Jahr rechnen wir mit einer deutlich günstigeren Entwicklung als in diesem. Ein Wirtschaftswachstum von 2% halten wir immer noch für möglich.
VDI nachrichten: Was stimmt Sie so optimistisch? Die Stimmung in den Unternehmen und bei den Verbrauchern ist doch mies.
Sinn: Was mich optimistisch stimmt, ist die immer noch leidlich stabile Weltkonjunktur sowie die Erfahrung, dass Rezessionen zyklisch verlaufen und kurzfristiger Natur sind. Was wir jetzt in der Weltwirtschaft erleben, ist nur eine schwache konjunkturelle Delle. Je länger sie dauert, desto stärker werden die Kräfte, die uns da wieder rausholen. Irgendwann werden Ersatzinvestitionen fällig, die der Konjunktur Schwung verleihen. Sie können solche Investitionen aufschieben, aber eben nur eine Zeit lang. Das gilt für den Privatmann, der an ein neues Auto denkt genauso, wie für einen Unternehmer, der seinen Maschinenpark à jour halten muss.
Dessen ungeachtet wird Deutschland, wie schon in den letzten Jahren, deutlich langsamer wachsen als der Rest Europas. Unsere hausgemachten Probleme bleiben auch dann, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Sie haben mit der Konjunktur wenig zu tun und sind langfristiger, struktureller Natur.
VDI nachrichten: Am Sonntag wird gewählt. Wird die neue Regierung die anstehenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesundheitspolitik und bei der Rente entschieden anpacken?
Sinn: Ich bin da ein wenig zuversichtlicher als noch vor zwei Jahren. Ich glaube, auch die Politik erkennt langsam die Zeichen der Zeit. Bei der Rente hat sich ja schon was getan...
VDI nachrichten: ... aber als Ökonom dürften Ihnen die bisherigen Reformschritte kaum reichen.
Sinn: Das ist allerdings wahr. Die Reformen gehen nicht weit genug, sie bleiben meilenweit hinter dem zurück, was eigentlich notwendig wäre. Ich glaube nicht, dass unser Land schon wirklich bereit ist, schmerzliche Reformen - vor allem auf dem Arbeitsmarkt - zu akzeptieren. Dafür muss es uns noch deutlich schlechter gehen. Man muss die Krise mit bloßen Augen sehen, wenn man durch das Land fährt - wie damals, als Margaret Thatcher England reformierte. Vorher passiert nichts Einschneidendes.
VDI nachrichten: Vor uns die mageren Jahre?
Sinn: Wir haben ein, sehr schwieriges Jahrzehnt vor uns, in dem sich die Wachstumskräfte in andere europäische Länder verlagern. Die gemeinsame Währung hat dazu geführt, dass sich die Zinsen in Euroland angenähert haben. Auch Unternehmen in kleineren Ländern können sich heute so günstig finanzieren, wie früher nur die Deutschen. Oder denken Sie an die EU-Erweiterung, die günstige Standorte in Osteuropa schafft. Für Europa insgesamt bin ich zuversichtlich, aber Deutschland fällt weiter zurück. Irgendwann wird der Abstand so groß sein, dass auch der Letzte begreift, dass es so nicht weitergeht. P SCHWARZ