Zum dritten Mal in Folge hat die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr den Titel des Export-Weltmeisters verteidigt. Zugleich klagen Arbeitgeber und Wissenschaftler fortwährend über die hohen Lohnkosten. Wie passt das zusammen? Drei Experten formulieren exklusiv in NEWS ihre Erklärung.
Prof. Hans-Werner Sinn ist Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung
Hohe Löhne treiben Kapital und Talente ins Ausland
DIE WELTMEISTERSCHAFT beim Güterexport und die Exportüberschüsse sind nicht nur das Ergebnis der überlegenen deutschen Ingenieurkunst, sondern in Teilen eine pathologische Überreaktion auf die hohen deutschen Lohnkosten.
■ Die hohen Lohnkosten treiben viel Kapital ins Ausland, und das bedeutet, dass echte Güter und Leistungen ins Ausland abfließen müssen. Der Exportüberschuss misst einerseits den Nettoabfluss an Gütern, andererseits jenen an Finanzkapital. Wenn zum Beispiel der deutsche Sparer auf dem Wege über das Bankensystem einer finnischen Firma einen Kredit gibt, so dass sie beim Gildemeister eine Maschine kaufen kann, dann entsteht dadurch zwar ein Exportüberschuss, doch besser wäre es, eine deutsche Firma würde den Kredit nehmen und die Maschine hier aufstellen. Dann gäbe es zwar keinen Exportüberschuss, doch die Arbeitsplätze entstünden in Deutschland.
■ Die hohen Lohnkosten treiben das Kapital und die Talente des Landes nicht nur ins Ausland, sondern auch von den arbeitsintensiven Binnensektoren in die kapitalintensiven Exportsektoren, die noch am ehesten mit den hohen Löhnen zurechtkommen. Hätten die Löhne als Folge der internationalen Niedriglohnkonkurrenz nachgegeben, dann hätte der Kahlschlag, der zum Beispiel in der Textilindustrie oder der Lederindustrie stattfand, nicht solche Ausmaße angenommen, und weniger Finanzkapital und weniger Talente wären gezwungen gewesen, sich den heutigen Exportsektoren zuzuwenden. Es gäbe mehr Jobs und ein höheres Sozialprodukt, doch weniger Exporte.
■ Die hohen Lohnkosten treiben das Kapital zudem von den kundenferneren, arbeitsintensiven Teilen der Produktionsketten in die kapitalintensiven Endstufen, weil dort die Löhne dank der hohen Automatisierung keine so große Rolle mehr spielen. Das führt freilich dazu, dass immer mehr Vorleistungen im Ausland eingekauft und nach ihrer Veredelung wieder exportiert werden. Mit der Zunahme der Wertschöpfung im Export werden huckepack immer mehr Waren durchs Land geschleust (Basar-Effekt). Fazit: Niedrigere Löhne wären mit weniger Exporten, größeren Binnensektoren, einem kleineren Exportüberschuss und einem höheren Sozialprodukt verbunden.
Dr. Harmut Seifert leitet das Wirtschaftsund Sozialwissenschaftliche Institut der Hans Böckler Stiftung.
Kritik am Weltmeister geht an Tatsachen vorbei
NIEMAND KÄME wohl auf die Idee, die deutsche Fußballnationalmannschaft auch nach mehrfachem Gewinn des Weltmeistertitels in Folge wegen mangelhafter Leistungen zu kritisieren. Wenn sich dagegen der mehrmalige Exportweltmeister anhören muss, die Löhne seien zu hoch, dann geht diese Kritik an den Tatsachen vorbei. Die auf immer neue Rekordmarken gekletterten Handelsbilanzüberschüsse spiegeln die verbesserte preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte wider. Als einziges der führenden Industrieländer konnte Deutschland Weltmarktanteile dazu gewinnen, da hier der zentrale Indikator für die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Lohnstückkosten, weniger stark als in anderen Ländern gestiegen ist. Was auf der einen Seite die Stärke der deutschen Wirtschaft ausmacht, kommt auf der anderen Seite wie ein Bumerang zurück: Stagnierende Reallöhne haben zwar den Export beflügelt, die Binnennachfrage aber gedrosselt. Um dieses Ungleichgewicht zu beheben und die Wirtschaft anzukurbeln, ist eine Lohnpolitik gefordert, die sich an der Produktivitätsrate sowie der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank orientiert. Dadurch bleibt ausgewogener Raum sowohl für einen konjunkturgerechten privaten Verbrauch, als auch für entsprechende unternehmerische Investitionen.
Anton F. Börner ist Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels.
Hohe Abgaben führen zu Abbau von Arbeitsplätzen
WIR SIND Exportweltmeister, weil wir so gut sind. Käufer auf internationalen Märkten legen Wert auf Qualität und geben uns den Auftrag, weil deutsche Unternehmen besser sind als andere. Dass in Deutschland sowenig Arbeitsplätze entstehen, hat damit wenig zu tun. Die Gründe dafür sind folgende:
■ Die hohen Abgaben führen zu einem Hochschrauben der Produktivität mit der Folge, dass so mit weniger Menschen gute Leistungen erzielt werden können.
■ Über Importe können Unternehmen Einzelteile für deutsche Produkte günstig einkaufen.
■ Viele Teilbetriebe sind mittlerweile in Niedriglohnstandorte ausgelagert. Wenn wir mehr Arbeitsplätze in Deutschland schaffen wollen, müssen wir den Standort modernisieren:
■ Wir brauchen ein einfaches Steuerrecht und eine Senkung des Steuersatzes. Zudem müsste es weniger Steuervergünstigungen und eine Verbreitung der Bemessungsgrundlage geben, um Steuerschlupflöcher zu stopfen.
■ Die Sozialversicherungsbeiträge müssten von den Löhnen abgekoppelt werden.
■ Eine Entbürokratisierung ist nötig.
■ Wir bräuchten auf betrieblicher Ebene mehr Freiheit, also Bündnisse für Arbeit ohne Zustimmung der Gewerkschaften.
Die Fragen stellten Tanja Könemann und Ingo Gschwilm