Über die Folgen der EU-Freizügigkeitsrichtlinie sprach die OSZ mit Dr. Dr.hc Hans-Werner Sinn, dem Präsidenten des renommierten ifo Instituts.
Mit der EU-Freizügigkeitsrichtlinie wird, so Hans-Werner Sinn, der Zuzug derjenigen EU-Bürger, die hier arbeiten wollen, begrenzt und zugleich der Zuzug möglicher Kostgänger des Staates erleichtert.
"Nach der neuen Freizügigkeitsrichtlinie der EU, die bis zum 1. Mai europaweit umgesetzt werden musste, darf ein EU-Bürger, ob aus Ost- oder Westeuropa, sich zunächst bis zu fünf Jahre in Deutschland aufhalten, wenn er sich selbst versorgen kann. Sind die fünf Jahre um, erhält er automatisch ein Daueraufenthaltsrecht, und zwar auch dann, wenn er zu diesem Zeitpunkt völlig mittellos ist. Der Staat muss ihm dauerhaft Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II zahlen, wie einem Deutschen auch. Wem die Rente zu Hause nicht reicht, der kann zu uns kommen. Fünf Jahre muss er sich selbst versorgen, dann finanziert ihn der deutsche Staat bis zum Ende seiner Tage. Ich frage mich, woher der deutsche Staat das Geld nehmen will, um solche Leistungen zu bezahlen," erläutert Sinn die für den Steuerzahler teuren Konsequenzen der EU-Freizügigkeitsrichtlinie.
Andere Länder lösen das Problem auf ihre Weise. So empfiehlt Sinn: "Wir sollten wie die Briten oder die Iren zuwandernde Arbeitnehmer nur verzögert in das deutsche Sozialsystem integrieren. Nicht-Arbeitnehmer sollten, wenn sie aus EU-Staaten kommen, hier keine Sozialleistungen erhalten. Vielmehr sollten sie sich dauerhaft an ihr Heimatland wenden müssen. Das setzt natürlich eine Änderung der Freizügigkeitsrichtlinie der EU voraus. Auch der EU-Verfassungsentwurfs, der zum Glück noch nicht durchgekommen ist, müsste in entscheidenden Punkten verändert werden."
Hans-Werner Sinn ist dabei gar nicht der Meinung, dass Nichtarbeit hier zu hoch bezahlt werde. "Wer anspruchsberechtigt ist, wird in einem privaten Job mindestens so viel verlangen, wie der Staat für's Nichtstun zahlt. Das Problem ist nicht, dass Nichtarbeit besser bezahlt wird als Arbeit, sondern, dass die Bezahlung der Nichtarbeit Mindestlohnansprüche aufbaut, die so hoch sind, dass die Wirtschaft nicht genug Stellen zur Verfügung stellt. Es wäre besser, statt des Wegbleibens das Mitmachen zu bezahlen. Dann gäbe es niedrigere Löhne für einfache Arbeit und mehr Stellen. Zugleich entstünde kein soziales Problem, weil die Arbeitenden ihren Lohn und zusätzlich ein Sozialeinkommen vom Staat bekommen. Wir bezahlen heute Millionen von Menschen zu hundert Prozent, während der Nichtarbeit. Es ist viel besser, Millionen von Menschen zu bezuschussen, während sie arbeiten. Das kommt den Staat im Zweifel sogar billiger," empfiehlt der Präsident der Wirtschaftsforscher.
Wie lange der schon seit 35 Jahren andauernde Trend steigender Arbeitslosenzahlen finanzierbar ist, kann dahin stehen. Fest steht für Sinn: "Entweder wird der Trend durch mutige Reformen des Sozialstaates im Sinne einer aktivierenden Sozialpolitik gebrochen, oder die Bundesrepublik wird dann aufgehört haben zu existieren. Vor fünfunddreißig Jahren gab es praktisch keine Arbeitslosigkeit. Rechnet man die versteckte Arbeitslosigkeit und die Frührentner hinzu, liegt die faktische Arbeitslosigkeit in Deutschland heute in der Gegend von 15 Prozent. Was passieren kann, wenn sie 30 Prozent beträgt, haben wir 1933 bereits erfahren. Gerade weil die Gefahren riesig sind, müssen wir heute handeln."
Norbert Fuhs