Der Ökonom Hans-Werner Sinn wird geehrt und teilt aus.
Umrahmt von den prächtigen Gemälden der deutschen Kaiser im Frankfurter Römer, ist der Ökonom Hans-Werner Sinn, der frühere Leiter des Ifo-Instituts, am Freitag mit der List-Medaille ausgezeichnet worden. Die Ehrung wird vom Bundesverband deutscher Volks- und Betriebswirte verliehen und erinnert an Friedrich List (1789 bis 1846), einen der Begründer der Nationalökonomie in Deutschland. Verbandspräsident Peter Herrmann hob hervor, Sinn habe dazu beigetragen, "dass Ökonomie in Deutschland nicht nur von Ökonomen diskutiert wird". F.A.Z.-Herausgeber Holger Steltzner nannte Sinn in seiner Laudatio einen "herausragenden Wissenschaftler, einen Kommunikator, einen klugen Kopf, der wirtschaftspolitische Debatten anstößt und sie mit so viel Hingabe führt wie kein anderer Ökonom im Land".
Eugen Wendler, Fachmann für den Medaillen-Namensgeber List, berichtete vom Einsatz dieses Ökonomen im 19. Jahrhundert gegen die zahlreichen Zollgrenzen in Deutschland. Sowie von Lists Versuch, lange vor der EU eine stärkere Zusammenarbeit in Europa anzustoßen - mit dem er in England so abblitzte, dass er fortan nur noch eine "Kontinentalallianz" zwischen Deutschland und Frankreich propagierte. Scherzhaft äußerte List damals, wenn er vom Herrgott den Auftrag erhielte, die Welt umzugießen, so würde er verordnen, dass französische Männer deutsche Frauen und deutsche Männer französische Frauen heiraten müssten. Wenn er dann 30 000 Franzosen nach Hannover, Bremen und Hamburg und 30 000 deutsche Frauen nach Paris umsiedeln würde, dann gäbe es in 50 bis 100 Jahren "beste Voraussetzungen für eine solche Kontinentalallianz".
Sinn, der sagte, dies sei wahrscheinlich die wichtigste Ehrung, die er in seinem Leben bekommen habe, nutzte seine Ansprache für markige Anmerkungen zu Brexit, Trump und Jamaika. Eine seiner wohl provokantesten Thesen: "Die deutsche Kanzlerin muss sich vorwerfen lassen, dass sie mit ihren Fehlentscheidungen zum Brexit beigetragen hat - das ist die bittere Wahrheit." Die Argumentation geht so: Der wichtigste Grund, warum die Briten bei der Abstimmung über den Austritt aus der Europäischen Union für den Brexit gestimmt hätten, sei die Haltung der anderen EU-Staaten zur Migration gewesen. Dieses Thema sei von den Leuten, die gerade aus der Wahlkabine kamen, mit Abstand am häufigsten genannt worden. Merkel aber sei mit ihren Entscheidungen in der Flüchtlingskrise dabei womöglich "das Zünglein an der Waage" gewesen. Sinn kritisierte auch, dass Merkel, anders als Helmut Schmidt bei früheren Austrittsdiskussionen unter Margaret Thatcher, nicht nach London gefahren sei, um mit einer flammenden Rede im Unterhaus für die EU zu werben.
Der Ökonom sprach sich dafür aus, den Briten bei den Austrittsverhandlungen den freien Marktzugang trotz allem zu erhalten. Migration und Freihandel seien Substitute, nicht Komplementäre: "Wenn ich meine linke Hand verletzt habe, brauche ich die rechte besonders - und es wäre nicht klug, diese auch noch festzubinden." Sinn schlug vor, Deutschland solle sich für neue Regeln hinsichtlich der Migration in die Sozialsysteme einsetzen - danach könne man die Briten ja noch mal abstimmen lassen.
Lob gab es von dem Ökonomen hingegen für die Bemühungen um eine Europäische Verteidigungsunion, den zweiten Versuch nach 1954: "Es war doch eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, dass die nationalen Armeen verschwinden müssen."
Sinn sagte zur möglichen Jamaika-Koalition in Berlin, er erhoffe sich von ihr eine bessere Europa- und Euro-Politik als von der alten Regierung. Die Krise sei noch nicht beendet: Die gute Entwicklung in Europa sei "ein Strohfeuer". Er prophezeite, um 2030, wenn der Sozialstaat durch die Demographie ohnehin herausgefordert sei, werde die Haftung aus der Euro-Staatsschuldenkrise zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringen.
Trumps Steuerreform könnte durchaus auch Auswirkungen auf Europa haben, meinte Sinn. Wenn sie zu einem höheren Defizit in Amerika führe, könnte das die Kapitalmarktzinsen dort zusätzlich hochtreiben. Das könnte auf Europa Druck ausüben, die Leitzinsen auch anzuheben. Wenn die Europäische Zentralbank das aber aus Rücksicht auf Südeuropa ablehne, werde der Euro erheblich unter Abwertungsdruck geraten.