handelsblatt.com, 27. November 2017
Es war die Mahnung seiner "europäischen Freunde", die Martin Schulz nach eigenem Bekunden umgestimmt hat. Er wird nun doch über eine große Koalition mit Angela Merkel verhandeln.
Als noch die Jamaica-Koalition verhandelt wurde, sahen die Freunde von Martin Schulz ihre Felle davonschwimmen. Im Erfolgsfall hätte eine solche Koalition nämlich das Finanzministerium der FDP zugesprochen, einer Partei also, die die Abschaffung des fiskalischen Rettungsfonds ESM gefordert hatte, dem viele französische und spanische Banken ihr Überleben verdanken und von dem Frankreich noch viel mehr erwartet. Emmanuel Macron hatte gesagt, er sei tot, wenn FDP-Parteichef Christian Lindner an die Macht komme.
Es passt in das Bild, dass Christian Lindner, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, die Koalitionsverhandlungen abgebrochen hat, nachdem es ihm nicht gelungen war, wenigstens die von Macron geforderte Ausweitung des ESM zu einem europäischen Transfersystem zu verhindern. Lindners Rückzug eröffnet Macron nun eine neue Chance, auf dem Wege über eine Koalition zwischen Angela Merkel und dem ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz an das deutsche Geld heran zu kommen, zumal ja Schulz selbst als Finanzminister der gemeinsamen Regierung gehandelt wird.
Bekanntlich will Macron unter dem Schlagwort "Europa der zwei Geschwindigkeiten" die Eurozone zu mehr Staatlichkeit verdichten. Er verlangt dafür ein eigenes Euro-Budget mit einer Eurosteuer und Eurobonds. Mit dieser Strategie soll es gelingen, Frankreichs mediterranes Hinterland in die neue Transferunion einzubringen, während zugleich ein erheblicher Teil der nord- und osteuropäischen EU- Länder abgespalten wird, für die die Euromitgliedschaft auf absehbare Zeit nicht in Frage kommt. Das sind aber gerade jene Länder, mit denen Deutschland kulturell und und wirtschaftlich besonders eng verbunden ist. Unter einer neuen großen Koalition besteht die Gefahr, dass sich der deutsche Bundestag im Namen des europäischen Einigungsprojektes zur Akklamation einer solchen Spaltungsaktion bewegen lässt.
Gäbe es hingegen eine Minderheitsregierung der CDU/CSU unter Angela Merkel, wäre Macron der Zugang zu den deutschen Kassen verwehrt, denn dann müssten alle maßgeblichen Entscheidungen im Parlament diskutiert werden, wo es schwer sein würde, Mehrheiten zu finden. In der offenen Debatte würde sich sogar Martin Schulz schwertun, die süd-westeuropäische Transferunion vor seinen Wählern zu rechtfertigen.
Hätte es bereits in der Vergangenheit eine Minderheitsregierung bei der jetzigen Parlamentsstruktur gegeben, hätte Deutschland eine wesentlich bessere Verhandlungsposition bei den europäischen Nacht- und Nebelaktionen zur Krisenbewältigung gehabt, weil die Verhandlungspartner stets auf die schwierige Situation im Bundestag hätten Rücksicht nehmen müssen. Man denke nur an die Entscheidungen in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2010, als die Bundesregierung von französischer Seite zum Bruch des Maastrichter Vertrages gezwungen wurde, um die französischen Banken zu retten, die sich in Griechenland engagiert hatten. Sarkozy hatte damals mit dem Austritt aus der Währungsunion gedroht. Oder man denke an die Nacht vom 29. auf den 30. Juni 2012, als die Kanzlerin gedrängt wurde, einer Bankenunion sowie dem OMT-Programm der EZB ("whatever it takes") zuzustimmen, das die Staatspapiere der Euroländer durch das Kaufangebot der EZB zu Eurobonds machte. Der jeweils behauptete Weltuntergang hätte die Bundestagsdebatten abwarten müssen, bevor er mit deutschem Geld oder deutschen Bürgschaften hätte bekämpft werden können.
Auch manche der unüberlegten innenpolitischen Ad-hoc-Entscheidungen der Kanzlerin wären wohl kaum zustande gekommen. Die nach Fukushima getroffene Entscheidung zum Atomausstieg hätte es mit einer Minderheitsregierung genauso wenig gegeben wie die wider deutsches Recht getroffene Entscheidung, eine Million Migranten aus sicheren Drittländern einreisen zu lassen. Mit dem Atomausstieg hat sich Deutschland klimapolitisch ins Abseits bewegt, und mit der Aufnahme der Armutsflüchtlinge hat es seinen Sozialstaat belastet, den Austritt der Briten befördert und ganz Osteuropa gegen sich aufgebracht.
So gesehen haben die deutschen Bürger allen Grund, sich vor der Fortsetzung der großen Mauschelkoalition zu fürchten und statt dessen eher auf eine Minderheitsregierung zu hoffen. Vermutlich wäre eine Angela Merkel, die vom Bundestag an die Zügel genommen wird, die bessere Alternative in einer ansonsten alternativlosen Zeit.
Nachzulesen bei www.handelsblatt.com