Ifo-Chef Hans-Werner Sinn: Hartz IV-Empfänger sollten 500 Euro im Monat hinzuverdienen könnten
Hartz IV erzeugt eine soziale Unterschicht, weil die Menschen nicht gefordert werden, sagt Hans-Werner Sinn, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo. SZ-Mitarbeiter Dieter Gläsener sprach mit ihm bei einer Veranstaltung der Bank1Saar in Saarbrücken.
Herr Professor Sinn, der Rat der fünf Wirtschaftsweisen hat in seinem jetzt vorgestellten Jahresgutachten vorgeschlagen, den Regelsatz des Arbeitslosengelds II um 30 Prozent zu kürzen, und gleichzeitig ALG II-Beziehern mehr Möglichkeiten zum Hinzuverdienst zu schaffen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Sinn: Ja. Wir bezahlen Menschen dafür, dass sie zu Hause bleiben und erzeugen so eine soziale Unterschicht. Hartz-IV- Empfänger sollten 500 Euro im Monat hinzuverdienen dürfen, während der Regelsatz dann gekürzt werden könnte. Es ist besser, das Mitmachen statt das Wegbleiben zu bezahlen. Wenn man das Wegbleiben bezahlt, entstehen so hohe Lohnansprüche, dass es nicht genug Jobs gibt. Bezahlt man das Mitmachen, dann fallen die Lohnansprüche für einfache Arbeit, es gibt mehr Jobs, und in der Summe kommen dennoch auf ihrem heutigen Niveau gesichert. Damit die Jobs nicht nur im außertariflichen Bereich entstehen, müssen freilich die Betriebe mehr Tarifautonomie bekommen.
Fordern Sie also die Abschaffung von Flächentarifverträgen?
Sinn: Das nicht. Die sollte es weiter geben, aber mehr als Lohnleitlinie. Die Belegschaft eines Unternehmens sollte stets in der Lage sein, vom Flächentarifvertrag abzuweichen, wenn sie das mit großer Mehrheit will.
Nun haben wir ja in Deutschland nicht nur zwischen Arbeitnehmern Einkommensunterschiede, sondern auch zwischen der wirtschaftlichen Situation einzelner Bundesländer. Das Saarland steht nicht besonders gut da. Was wären diesbezüglich Ihre Empfehlungen?
Sinn: Wahrscheinlich haben wir zu viele Bundesländer, ein Zusammenschluss mit Rheinland-Pfalz wäre ja denkbar. Das Saarland hat sehr viel Schulden pro Einwohner, und seit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist klar, dass das Land auf seinen Schulden hängen bleiben wird. Weder der Bund noch die anderen Länder werden einspringen. De facto wird über den Länderfinanzausgleich die unterschiedliche Finanzkraft zwischen "armen" und "reichen" Ländern zu 99 Prozent ausgeglichen. Dass man im Saarland trotzdem so hohe Schulden hat, kommt von einer verschwenderischen Haushaltspolitik in früheren Jahren. Da man das Geld nur einmal ausgeben kann, führt jetzt am Sparen kein Weg vorbei.
Stichwort Gesundheitsreform - die haben die fünf Weisen harsch kritisiert. Wie ist Ihre Einschätzung?
Sinn: Ich halte den jetzt gewählten Weg für den falschen. Es gibt keine tiefere Rechtfertigung dafür, dass die Krankenkassenbeiträge als Preis für eine für alle gleiche Versicherungsleistung nach dem Einkommen gestaffelt ist. Arme Leute zahlen für andere Dienstleistungen ja auch nicht weniger als reiche. Ich bin dafür, dass der Staat den Reichen nimmt und den Armen gibt. Er sollte das aber nicht über den Krankenversicherungstarif tun. Die progressive Einkommensteuer und Sozialtransfers wie zum Beispiel Hartz IV sind dafür zuständig. Jeder sollte also den gleichen Beitrag für eine Grundversorgung zahlen, ergänzt höchstens um eine Unterstützung aus Steuermitteln für geringer Verdienende. Wer mehr will, sollte sich bei Privat-Versicherern mehr kaufen. Die Konkurrenz wird die Versicherung billiger machen als heute.