Hans-Werner Sinn im Interview.
Sie sind unter anderem Direktor des Ifo Institutes, Geschäftsführer des CES sowie Lehrstuhlinhaber für Nationalökonomik und Finanzwissenschaft. Was begeistert Sie jeweils an diesen vielfältigen Tätigkeiten?
Begeisterung wäre übertrieben, weil es doch in der Summe viel Arbeit ist. Aber einerseits macht mir die Lehre viel Spaß, und andererseits glaube ich, dass man in dieser schwierigen Zeit der Globalisierung als Volkswirt dazu berufen ist, sich öffentlich zu äußern, um der Politik Ratschläge zu geben. Man muss also den Elfenbeinturm auch mal verlassen.
Was hat Ihnen immer die Motivation gegeben durchzuhalten und neue Herausforderungen anzunehmen?
Was ich tue, wurde in der Regel von außen an mich herangetragen. Mein Lebenslauf war wenig planvoll. Ich hätte mir früher als Schüler meiner Dorfschuleniemals vorgestellt, das Abitur zu machen, dann als Oberschüler nie, dass ich studieren würde, als Student nie, dass ich promovieren würde und so weiter. Es waren immer andere, die mich dazu gebracht haben, in der Regel meine Lehrer.
Kannten Sie ihre Interessen bereits während des Studiums und haben Sie diese kontinuierlich verfolgt, oder gab es Wendepunkte?
Nachdem klar war, dass ich studieren würde, war die Wahl des VWL Studiums schon meine Entscheidung. Ich dachte, die Kombination aus Geld und Politik könne so falsch nicht sein. Wir wollten ja damals alle die Welt verändern!
Sie sind Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen, in die Politik zu gehen?
Nein, unmöglich. Dafür ist meine Leber nicht robust genug. Außerdem fehlt mir die Fähigkeit der konfliktfreien emotionalen Ansprache, die der Politiker beherrschen muss.
Im Rahmen Ihrer Forschungs- und Lehraufenthalte waren Sie in London, Princeton und Stanford. Welche Unterschiede sind Ihnen zu deutschen Universitäten aufgefallen?
Man erreicht in frühen Jahren mehr. Insbesondere kann man statt Assi zu sein, schon mit dreißig als Professor lehren - wenn auch nur als Assistent Professor. Das war für mich motivierend, denn die Honoratiorenuni hatte ich satt. Im Übrigen hatte sich der berühmte deutsche Wissenschaftsgeist, den die Amerikaner immer so bewundert haben, mit dem zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Amerika verflüchtigt. Er kommt jetzt allmählich wieder.
Die LMU wurde zur Eliteuniversität ernannt. Hat sie diesen Titel verdient?
Klar, insbesondere wegen der Volkswirte (Sinn schmunzelt). Aber Spaß beiseite: Wir haben tolle Naturwissenschaftler, die international Spitze sind, und die Geisteswissenschaftler können sich auch sehen lassen.
Was macht eine Eliteuniversität aus?
In allererster Linie kommt es auf Publikationen in international referierten Fachzeitschriften an. Aber auch die Lehre muss hohen Standards genügen. Die Uni muss offen sein für Wissenschaftler aus aller Welt.
Können die deutschen Universitäten an internationale Eliteuniversitäten anknüpfen?
An die amerikanischen noch nicht wirklich. Aber wir kommen; unsere Unis sind dabei, den Nachkriegsrückstand allmählich wieder aufzuholen. Im Vergleich mit den südeuropäischen Ländern stehen wir schon heute gut da. Die Holländer und Skandinavier machen uns freilich einiges vor. Die Briten sowieso.
Inwiefern ist die Einführung des Bachelor-Studiengangs notwendig, um Leistungen international vergleichbar zu machen?
Wenn man die Durchlässigkeit der europäischen Bildungssysteme will, muss man auch diese Abschlüsse wollen. Die volkswirtschaftliche Fakultät hat den Bachelor schon seit vielen Jahren. Wir waren die ersten in Deutschland unter den Wirtschaftswissenschaftlern, die umgestellt haben.
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen das Bachelors auf die Praxis?
Der Bachelor liegt unter dem Diplom, soll dieses aber ersetzen, damit das Studium kürzer wird. Nur noch wenige sollen den Master machen können. Damit rücken die Volkswirte, die den Bachelor haben, in Zukunft in der Hierarchie etwas nach unten. Andererseits rücken diejenigen, die den Master machen, nach oben. Das halte ich für richtig, denn auf diese Weise werden die schwächeren Studenten nicht mehr mit dem totalen Absturz bedroht, nachdem sie jahrelang studiert haben. Auch ist manches akademisch interessante Wissen in der Praxis entbehrlich. Wir müssen aber aufpassen, dass wir keine allzu engen Spezialisierungen zulassen. Was einem aus manchen Ländern als Master of Economics entgegentritt hält den Vergleich mit dem deutschen Diplom-Volkswirt nicht stand.
Ab dem Sommersemester 2007 wird sich der Unialltag zusätzlich durch Studiengebühren verändern. Wie stehen Sie zu den Studiengebühren unter allokativen und Gerechtigkeitsgesichtspunkten?
Als ich studierte, musste man selbstverständlich Studiengebühren bezahlen. Dann wurden sie abgeschafft, weil der Staat im Geld zu schwimmen schien. Heute weiß jeder, dass das Geld nicht mehr da ist. Also kann die Uni nur gesunden, wenn sie von den Studenten mehr Geld kriegt. Studiengebühren erzeugen Wettbewerb zwischen den Unis, der eine Verbesserung der Lehre mit sich bringen wird. Man sollte allerdings denjenigen, die die Gebühren heute nicht zahlen können, großzügige Kredite geben, so dass sie sie später aus ihrem Lebenseinkommen bezahlen können, das ja wegen des Studiums hoch sein wird.
Durch die Einführung der Studiengebühren ist ein neuer Markt entstanden, auf dem Studenten mehr Recht auf eine bessere Lehre eingeräumt wird. Wird dies die Qualität der Sinn´schen Lehre beeinflussen?
Ich werde nicht betroffen sein, denn ich beziehe aus der Uni ohnehin kein Einkommen.
Sie haben keine Lehrstuhlvertretung und halten Ihre Vorlesungen selbst. Was reizt Sie daran?
Der Kontakt mit den jungen Leuten. Die ständige Herausforderung. Der Zwang, das eigene Wissen aufrecht zu erhalten und weiter zu entwickeln. Und vor allem, ein gewisser missionarischer Eifer. Wenn Deutschland ökonomisch wieder auf den grünen Zweig kommen will, braucht das Land gute Volkswirte.
Welchen Herausforderungen muss sich heute ein guter Volkswirt stellen?
Theorie und Praxis zusammenzuführen. Die Spannweite ist ja manchmal riesengroß, und viele sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Ein guter Volkswirt muss einerseits in Top-Zeitschriften publizieren, andererseits muss er in der Lage sein, mit seinen Themen auf den Stammtischen präsent zu sein. Jedenfalls kann er das Land ohne die Stammtische nicht verändern.
In Ihrem Buch „Bazarökonomie“ haben Sie Deutschland besonders als Exportweltmeister dargestellt. Wo liegen, Ihrer Meinung nach, die größten Herausforderungen für Deutschland in den nächsten 50 Jahren?
Wir müssen unsere industrielle Beschäftigungsbasis retten, die derzeit mit irrsinniger Geschwindigkeit abbröckelt, weil die internationale Niedriglohnkonkurrenz und die deutschen Hochlohnmechanismen von den Gewerkschaften bis zum Sozialstaat unverträglich sind. Wenn uns die Industrie verloren geht, dann wird es schwer fallen, Ersatz zu finden. Von Finanzdienstleistungen zu leben wie die Engländer, wird uns schwer fallen. Wir sprechen nicht so gut Englisch wie sie, und im Übrigen ist der Platz durch die City besetzt. Wir müssen aufhören, immer nur an High Tech zu denken, sondern Wege finden, die Wirtschaft im Ganzen zum Brummen zu bringen. Das geht nur mit einer fundamentalen Reform des Tarifrechts und des Sozialstaates.
Wohin wird sich die Forschung in der VWL entwickeln?
Das weiß ich nicht, denn Forschung ist Stochern im Nebel. Was weiß ich, wo man fündig wird. Aber ich kann nur jedem raten, sich nicht mehr auf die Suche nach zeit- und raumlos richtigen Wahrheiten zu machen. Das Feld ist ziemlich abgegrast. Hingegen bringt die wirkliche Wirtschaftsentwicklung immer wieder neue Überraschungen, die man auch theoretisch zu verstehen versuchen sollte. Da würde ich bei der Forschung ansetzen. Ich würde also versuchen, die deutsche historische Schule mit der angelsächsischen Neoklassik zu verbinden.
Was sind Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte?
Ich mache Vieles gleichzeitig, weil ich durch das ifo in viele verschiedene Themen eingebunden bin. Zuletzt habe ich mich mit dem Thema Armut in Deutschland beschäftigt. Ich glaube, dass man die nicht mit noch mehr Geld verringern kann. Dieses Geld, das der Staat unter der Bedingung der Nichtarbeit ausgibt, lockt viele geradezu in die Armut. Der Sozialstaat ist irrsinnig teuer, und im Grunde hat er selbst die Unterschicht erzeugt, deren Existenz nun allgemein beklagt wird.
Sie haben in den 60er und 70er Jahren in Münster VWL studiert. Wie würden Sie den Unterschied zwischen den damaligen und heutigen Studenten beschreiben?
Die Studenten damals wollten die Welt verändern und haben sich gefragt, was das richtigere System ist. Heute ist die Systemfrage im Wesentlichen entschieden. Kurzum: wir waren sehr viel politischer als die Studenten heute. Die sind mir, ehrlich gesagt, viel zu brav.
Wie sieht die Sinn´sche Woche aus?
Bis auf den Montag, wo ich meine Vorlesungen halte, ist der Rest flexibel. Ein- bis zweimal fliege ich irgendwo hin, meistens nach Berlin. Dann habe ich viele Gremiensitzungen, ungefähr dreißig im Jahr, weil das ifo in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft so viele Stakeholder hat. Es gibt einen Verwaltungsrat, den Betriebsrat, einen wissenschaftlichen Beirat, einen Nutzerbeirat, eine Freundesgesellschaft, verschiedene Kuratorien und so weiter. Wichtig sind mir die Kontakte mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern. So haben wir des Mittwochs immer ein Lunchtime-Seminar im ifo und außerdem hausinterne Konferenzen, wo die Papers vorgestellt werden, die nächstes Jahr auf externen Konferenzen präsentiert werden sollen. Ich gebe viele Interviews und mache auch ansonsten viel Pressearbeit. Den größten Teil meiner Zeit verbringe ich mit meinem Laptop, den ich überall hin mitnehme. Die Emails drohen mich zu erschlagen, wenn ich nicht jeden Tag mehrere Stunden daran arbeite. Wenn ich irgendwo Luft habe, meistens des Nachts und am Wochenende und in den Ferien, schreibe ich meine Aufsätze und Bücher.
Bleibt Ihnen hierbei Zeit für Privates und für Ihre Hobbies?
Hobbies habe ich, aber ich kann sie nicht ausüben. Die Kinder sind zum Glück groß, so dass die Minimierung des Privatlebens nur noch von meiner Frau toleriert werden muss - was aber nicht immer der Fall ist. Wenn ich den ifo-Job einmal hinter mich gebracht habe, dann werde ich wieder mehr schreiben, denn mein größtes Hobby ist die Wissenschaft. Ansonsten komme ich dann vielleicht auch noch zu meinem Garten und zum Fotografieren und Filmen, was früher einen gewissen Teil meiner Zeit absorbiert hat.
Was würden Sie einem Erstsemester der VWL raten?
Durchhalten. Nicht verzagen, wenn die Formeln einen zu erschlagen drohen. Es gibt eine VWL jenseits der Formeln, die dann auch wieder Spaß macht. Aber nur mit den Formeln und all der Theorie gelingt es einem, Ordnung in das diffuse Durcheinander der ökonomischen Prozesse zu bringen, die in der Wirklichkeit stattfinden. VWL kann begeistern, aber erst, wenn man die Propädeutika absolviert hat.
Herr Prof. Sinn, wie bedanken uns für dieses Interview!
Das Interview führten Michaela Kesina und Tatjana Nabokin