Der Präsident des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, zeigt sich gebremst optimistisch - und freut sich über die SPD!
WZ: Herr Professor Sinn, die Konjunktur-Prognosen überschlagen sich in diesen Tagen. Noch in diesem Jahr soll die Arbeitslosigkeit unter die Vier-Millionen-Marke sinken. Teilen Sie den Optimismus?
Sinn: Im September wird sie weit darunter liegen. Ob sie es im Jahresdurchschnitt tun wird, ist unklar. Möglich ist es aber. Das Wachstum schätzen wir auf knapp zwei Prozent.
WZ: Welchen Anteil haben die alte und die neue Bundesregierung daran?
Sinn: Einen geringen. Die Weltwirtschaft ist in einer Situation, die so günstig ist wie noch nie in der Nachkriegszeit. Davon profitieren wir durch den Export. Hinzu kommt die anziehende Nachfrage nach Investitionsgütern. Die Unternehmen in Deutschland wagen es wieder, ihre Produktionskapazitäten zu erweitern, und dazu kaufen sie Maschinen, Bauleistungen und vieles mehr.
WZ: Und die Politik kann davon nichts auf ihre Fahnen schreiben?
Sinn: Ich will nicht in Abrede stellen, dass die Streichung der Arbeitslosenhilfe durch die Regierung Schröder viele Menschen veranlasst hat, Jobs mit niedrigeren Löhnen anzunehmen. Entscheidend ist aber der Investitionsboom, den wir etwa alle zehn Jahre verzeichnen. Und der schlägt jetzt eben wieder durch.
WZ: Das klingt so einfach. Warum haben wir dann jahrelang darüber fabuliert, dass die Stagnation - anders als früher - einfach nicht enden will?
Sinn: Das müssen Sie sich selbst fragen. Dass nach der konjunkturellen Flaute wieder ein Boom kommt, das war und ist für Wirtschaftswissenschaftler eine Selbstverständlichkeit.
WZ: Im Nachhinein ist man immer schlauer.
Sinn: Sorry, die Ökonomen haben immer gesagt, dass nach der Flaute wieder ein Aufschwung kommt. Allein der Zeitpunkt, von dem an es wieder aufwärts geht, war nicht klar. Das ifo-Institut war das erste, das den Boom gegen Ende des Jahres 2005 ausgerufen hat. Unser Index war schon im Oktober 2005 auf einem Fünf-Jahres-Hoch. Man hat dem ifo-Institut bis weit in das Jahr 2006 hinein nicht geglaubt. Inzwischen hat sich gezeigt, dass der Index mit seinem Höhenflug absolut richtig lag.
WZ: Der Glaube fehlte, weil man die Strukturprobleme sah, die uns vor allem die Globalisierung beschert.
Sinn: Schon. Aber die meisten verstehen nicht, was die Konjunktur ist. Bei einer konjunkturellen Flaute haben die Leute Angst, dass sie dauerhaft anhält. Wenn ein Boom da ist, glauben sie, die Wirtschaft würde immer nur wachsen. Beides ist natürlich völlig falsch. Die Wirtschaft bewegt sich in Zyklen, es geht immer auf und ab.
WZ: Wie lange dürfen wir uns über den Aufschwung denn noch freuen?
Sinn: Bis zum Ende des Jahrzehnts könnte er dauern. Das entspräche dem Muster früherer Jahrzehnte.
WZ: Knacken wir die Drei-Millionen-Grenze bei der Arbeitslosigkeit?
Sinn: Beim Jahresdurchschnitt halte ich das für unwahrscheinlich. Wir hatten im letzten Boom 3,9 Millionen Arbeitslose. Wenn wir das unterbieten, wäre das schon sehr gut.
WZ: Was halten Sie von dem Vorschlag der SPD, flächendeckend Mindestlöhne einzuführen?
Sinn: Die haben wir doch längst! Denken Sie an die Lohnersatzleistungen wie das Arbeitslosengeld II. Unter diesen Sätzen arbeitet niemand. Deutschland zeigt durch seine Massenarbeitslosigkeit, wie verheerend solche De-facto-Mindestlöhne wirken. Wenn wir jetzt auch noch einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe der tatsächlichen Löhne der Geringverdiener einführen, wie das die SPD will, dann wird das die Arbeitslosigkeit dieser Personengruppe auf Dauer verfestigen.
WZ: Was schlagen Sie vor?
Sinn: Staatliche Lohnzuschüsse in Form einer negativen Einkommensteuer, wie sie die "Aktivierende Sozialhilfe" des ifo Instituts ist. In der Summe der niedrigen Löhne und der staatlichen Zusatzleistungen würde dann ein akzeptables Gesamteinkommen entstehen. Mindesteinkommen statt Mindestlohn ist die Devise.
WZ: In Sachen negativer Einkommensteuer haben Sie die SPD auf Ihrer Seite. Erstaunlich, oder?
Sinn: Ja, das hat mich ein bisschen erstaunt, aber auch erfreut. Nur passt die negative Einkommensteuer nicht zum Mindestlohn. Der Mindestlohn würde ja verhindern, dass Menschen Jobs mit niedrigeren Löhnen annehmen können. Wir wollen mit dem Modell der Aktivierenden Sozialhilfe die Menschen in die Lage versetzen, zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten, weil es nur zu niedrigeren Löhnen mehr Jobs gibt, und vor allem wollen wir den Lebensstandard durch das staatliche Zusatzeinkommen sichern. Das jetzige System treibt diejenigen, die es begünstigen will, in die Arbeitslosigkeit. Es erzeugt eine Unterschicht frustrierter Menschen, die für sich keinen Platz in der Gesellschaft mehr sehen.
WZ: Manche Menschen werden trotzdem keine Arbeit finden.
Sinn: Wer keine Arbeit in der privaten Wirtschaft findet, kann zu seiner Kommune gehen und dort zu einem Lohn in Höhe des heutigen Arbeitslosengeldes II arbeiten. Niemand, der arbeiten kann und will, wird weniger Einkommen haben als heute. Wer in der Privatwirtschaft unterkommt, wird sogar deutlich mehr bekommen als heute ein arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger.
WZ: Klingt ja fast schon sozial, Herr Sinn. Dabei gelten Sie doch als Neoliberaler . . .
Sinn: Ein Neoliberaler will den Staat nicht. Das ist bei mir ganz anders. Ich bin für einen starken Staat, der Einkommen von den Reichen zu den Armen umverteilt. Sonst wäre ich nicht für den aktivierenden Sozialstaat, der eine Menge Geld in die Hand nimmt. Da werden Etiketten verteilt von Leuten, die entweder nicht wissen, worüber sie reden, oder einer sachlichen Diskussion ausweichen wollen.
Hans-Werner Sinn
Vita: Hans-Werner Sinn wurde 1948 im westfälischen Brake geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Münster und ging nach seiner Habilitation nach München. Seit 1999 führt er als Präsident das Münchener ifo-Institut für Wirtschaftsforschung.
Ifo-Index: Der ifo-Geschäftsklimaindex ist ein vielbeachteter Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland. Monatlich werden rund 7000 Unternehmen unter anderem des verarbeitenden Gewerbes und des Einzelhandels gebeten, ihre Geschäftslage zu beurteilen und ihre Erwartungen für die nächsten sechs Monate mitzuteilen.
Das Interview führte Alexander Marinos