Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über die Gefahren des wirtschaftlichen Nationalismus
Wirtschaftliche Freiheit wird in der EU großgeschrieben - in Sonntagsreden. Im Alltag grassiert der ökonomische Egoismus der Mitgliedsländer. Es werden „nationale Champions" gefördert, ausländische Unternehmen beim Kauf heimischer Firmen behindert. Ist der staatliche Interventionismus in der EU Segen oder Fluch? Fragen an Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.
VDI nachrichten: Herr Professor Sinn, welche EU-Länder sind am erfindungsreichsten bei dem Versuch, ihre Wirtschaft vor unliebsamer ausländischer Konkurrenz zu schützen?
Sinn: Das machen im Grunde alle. Doch man hat insbesondere Frankreich im Auge. Frankreich macht seit jeher solch eine interventionistische Politik zum Vorteil der eigenen Unternehmen. Die französische Vorstellung ist, dass man nationale Champions schaffen muss, damit dem eigenen Land daraus gewisse Vorteile entstehen.
VDI nachrichten: Was sind das für Vorteile?
Sinn: Es gibt allerlei Gründe, warum man nationale Champions kreiert und begünstigt. Man kann sich Marktanteile sichern und lässt dann anderen nur noch den Rest. Man kann sicherstellen, dass die höher qualifizierten Stellen im eigenen Land bleiben, dass auch Sponsoringgelder für die allgemeine Öffentlichkeit abspringen. Und nicht zuletzt spekuliert man darauf, dass in Krisenzeiten in den Firmenzentralen weniger Arbeitsstellen gekürzt werden als im Ausland.
VDI nachrichten: Die Franzosen haben wohl mehrheitlich keine Einwände gegen den wirtschaftlichen Nationalismus, wie Sie ihn beschreiben...
Sinn: Nein, man ist damit zufrieden. Die Politik ist populär und wird für gut gehalten. Doch sie ist gut, weil sie für die anderen schlecht ist, denn hier werden ja Standortentscheidungen zu Lasten anderer Länder nach Frankreich gelenkt. Ich glaube aber, dass es keine sinnvolle Politik ist, wenn alle Länder im gleichen Maße versuchen, nationale Champions zu kreieren. Denn das heißt, dass man auf Größe setzt, auf Unternehmensfusionen, marktbeherrschende Stellungen und so weiter. Mit Größe ist meist aber auch eine interne Ineffizienz verbunden. Es bilden sich Wasserköpfe in der Verwaltung. Man hat es nicht nötig, Kosteneffizienz zu suchen.
VDI nachrichten; Wie sieht die Lage in Deutschland aus?
Sinn: Deutschland hat ein ganz anderes Model verfolgt, das Modell der kleinteiligen mittelständischen Wirtschaft. Das ist unsere Stärke. Wenn der deutsche Export so stark ist, so ist das auch diesen mittelständischen Unternehmen zu verdanken, die in ihren jeweiligen Nischen ganz vorne sind. Wir haben 450 Weltmarktführer in Deutschland und noch mal 500, die unter den ersten drei auf den jeweiligen Märkten sind. Das können die Franzosen nicht vorweisen, weil sie eingreifen in den Wettbewerbsprozess und das Spiel der Kräfte verzerren.
VDI nachrichten: „Hauptursache des wirtschaftlichen Nationalismus ist die Beteiligung des Staates an den Unternehmen. Um wirtschaftlichen Nationalismus zu bekämpfen, sollte staatliches Eigentum begrenzt werden", heißt es im Report der European Economic Advisory Group, an dem Sie mitgearbeitet haben. Wie viel Staatseigentum wäre noch ökonomisch gesund?
Sinn: Null Prozent! Der Staatseinfluss bei der Produktion privater Güter sollte zurückgedrängt werden. Anders ist es natürlich bei den Leistungen, die genuin staatlich sind. Eine Autobahn sollte schon vom Staat zur Verfügung gestellt werden. Ich bin nicht der Meinung, dass man alles und jedes privatisieren sollte. Doch was hat der Staat als Miteigentümer von Volkswagen zu suchen? Oder warum macht der französische Staat beim Airbus mit und hält einen bestimmten Anteil von Aktien? Das ist nicht nötig.
VDI nachrichten: Was ist, notwendig, um ökonomischen Nationalismus zu- rückzudrängen ?
Sinn: Wir brauchen EU-Regeln, die den Ländern hier Grenzen setzen, die klarmachen, dass man nicht intervenieren darf, sondern dass der Markt die Lösung finden muss.
VDI nachrichten: Aber wie realistisch ist es, solche Regelungen in absehbarer Zeit durchzusetzen?
Sinn: Wie realistisch ist eine Maßnahme, die Frankreich schadet?! Die Franzosen sind nun mal die stärkste Macht in der EU. Sie haben das meiste zu sagen. Das hat historische Gründe, und insofern wird es schwer, dagegen anzuhalten. Ob man Erfolg hat, hängt auch von der öffentlichen Diskussion und davon ab, ob die anderen Ländern hier Druck machen. Wenn solche Diskussionen Schule machen und immer mehr Leute und Regierungen die französische Politik als Problem empfinden, dann werden sie die Franzosen zwingen, ihr Verhalten zu ändern. Dann könnte Europa sein neues Gleichgewicht finden.
Das Interview führte Elena Beier