Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn über die Auswirkung der Kreditkrise, die Gier der Manager und die segenreichen Folgen des Egoismus
Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Ifo-lnstituts für Wirtschaftsforschung, gilt als einer der streitlustigsten Ökonomen Deutschlands. Mit seinen zugespitzten Thesen provoziert er gerne - ob bei wissenschaftlichen Tagungen oder in Talkshows. Der 59-Jährige lehnt gesetzliche Mindestlöhne ab und warnt davor, die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung aufzuweichen.
SZ: Herr Sinn, das Ifo-Institut und die anderen führenden Wirtschaftsforscher erwarten für 2008 eine leichte Abkühlung der Konjunktur. Woran liegt es?
Hans-Werner Sinn: Die Investitionen steigen etwas weniger stark als zuvor, das Investitionsklima kühlt sich etwas ab. Diese Abkühlung kommt insgesamt von der Weltwirtschaft her. Wir haben in Amerika eine Flaute, die hoffentlich nicht zu einer Rezession wird. Das hat mit der Krise des Finanzsystems zu tun. Mehr und mehr Häuslebauer können ihre Kredite nicht zurückzahlen, kommen in Zahlungsschwierigkeiten und konsumieren weniger. Die amerikanische Konjunktur geht derzeit runter - das dämpft die gesamte weltwirtschaftliche Konjunktur. Und wir, die vom Export sehr abhängig sind, werden das spüren. Das heißt aber nur, dass der Aufschwung etwas an Fahrt verliert. Eine Rezession steht nicht an.
SZ: Der Internationale Währungsfonds sagt, die Märkte stünden angesichts der US-Hypothekenkrise vor einer großen Herausforderung.
Sinn: Ich glaube schon, dass die Krise substantiell ist. Der Einbruch der privaten Bautätigkeit in den USA ist dramatisch und liegt bei 20 Prozent - das hat es schon lange nicht mehr gegeben. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Ich glaube, dass sich diese Krise noch auswachsen wird.
SZ: Mit der Folge einer globalen Bankenkrise?
Sinn: Nein. Die Banken sind zwar vorsichtig geworden und verlangen in Amerika einen höheren Hypothekenzins. Sie vergeben häufig auch keine Kredite mehr. Ich glaube aber nicht, dass die Banken das Hauptproblem sind. Die amerikanischen Privathaushalte machen mir viel mehr Sorgen. Die haben über Jahre nicht gespart und sich bei ihrer Vermögensbildung darauf verlassen, dass ihre Häuser wertvoller wurden. Jetzt merken sie, dass sie viel ärmer sind, als sie dachten, und reduzieren ihren Konsum. Sorgen bereitet zudem das riesige Defizit im amerikanischen Außenhandel. Seit 1930 hat es nicht einmal annähernd ein so hohes Defizit gegeben. Für Amerika stehen unruhige Zeiten an.
SZ: Zurück zu Deutschland: Ist der Aufschwung der Erfolg der Regierung?
Sinn: Nein. Journalisten fragen mich manchmal: Was hat Frau Merkel zum Aufschwung beigetragen? Dann sage ich: Zum Glück nichts - genauso wenig wie Herr Steinbrück. Es ist ein Glück, dass sie durch die Budgetkonsolidierung Geld gespart und nicht noch zusätzliches Öl ins Feuer geschüttet haben. In einer Aufschwungphase muss der Staat bremsen, in einer Abschwungphase Gas geben. Wir müssen jetzt das Polster anlegen, das es uns erlaubt, im Abschwung die Ausgaben wieder zu erhöhen.
SZ: Der Nachteil ist, dass Union und SPD mit ausgeglichenen Staatshaushalten beim Wähler nicht punkten. Jetzt Schlagen sie vor, das Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose zu verlängern.
Sinn: Hier handelt es sich um billigen Populismus. In Wahrheit ist es natürlich so, dass der Aufschwung außerordentlich sozial ist, indem er sehr viele Menschen in Lohn und Brot bringt. Wir haben in den letzten zwei Jahren ein kleines Beschäftigungswunder gehabt. Das ist genau der Punkt: Durch die vermeintlich sozialen Wohltaten, das Arbeitslosengeld zu verlängern, werden wieder Arbeitsplätze gefährdet. Da wird ein hoher Lohnersatzanspruch aufgebaut. Niemand ist bereit, für weniger zu arbeiten als für das, was der Staat auch so zur Verfügung stellt. Wenn der Lohnanspruch zu hoch ist, gibt es keine Jobs, dann entsteht eben Arbeitslosigkeit.
SZ: Die Erhöhung des Arbeitslosengelds ist eine Korrektur der Agenda 2010. Wie fällt Ihre Bilanz der Generalreform der rot-grünen Regierung aus?
Sinn: Die Agenda hat die Anspruchslöhne gesenkt und so Bewegung in die Lohnskala gebracht - mit der Konsequenz, dass neue Jobs entstanden sind. Das war ein sozialer Segen. Wer jetzt den Rückwärtsgang einlegen will, der erzeugt ein soziales Problem.
SZ: Bedeutet die Einführung von Mindestlöhnen denn auch Rückwärtsgang?
Sinn: Ja, sicher. Schröder hat ja den deutschen Mindestlohn, den die Sozialhilfe implizierte, gesenkt. Er hat Arbeitsverhältnisse gefördert, in denen man Lohn und gleichzeitig Hartz IV bezieht. Der Staat veränderte die Anreize: Er gab ein bisschen mehr Geld fürs Mitmachen und nicht mehr ganz so viel fürs Wegbleiben. Deshalb entstanden Jobs. Wer Mindestlöhne einführt, macht das Gegenteil.
SZ: Wie schätzen Sie denn die Entwicklung des Arbeitsmarktes ein - bleibt es bei dem Jobwunder, das Sie diagnostizieren?
Sinn: Die Prognose der Wirtschaftsforschungsinstitute besagt, dass es in diesem. Jahr 700 000 Arbeitslose weniger als im letzten Jahr sind und dass diese Zahl bis zum. nächsten Jahr noch einmal um 300 000 zurückgehen wird. Ob wir danach noch weiter runterkommen, ist schwer zu sagen. Irgendwann werden wir einen harten Sockel erreichen. Da setzen die Vorschläge zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik an. Noch immer sind wir Weltmeister bei der Arbeitslosigkeit der Geringqualifizierten.
SZ: Lohnkonflikte wie bei der Bahn zeigen, dass Arbeitnehmer wieder einen größeren Anteil am Volkseinkommen wollen. Wie viel Spielraum existiert?
Sinn: Nach wie vor sind die hohen Lohnkosten ein Problem für die Wettbewerbsfähigkeit der Industriearbeiter. Die Lohnkosten liegen auf dem dritthöchsten Platz der Welt. Im Verarbeitenden Gewerbe sind die Gewerkschaften sehr stark und haben Lohnstrukturen durchgedrückt, die die Industriebeschäftigung praktisch in den freien Fall gebracht haben. Leider sind Jobs in anderen Sektoren nicht in gleichem Umfang entstanden. Wir haben von den 1,25 Millionen Jobs, die wir von 1995 bis 2006 in der Industrie verloren haben, nur eine viertel Million anderswo neu geschaffen.
SZ: Auch über das Einkommen der Manager wird heftig diskutiert. Sind deren Gehälter nicht zu hoch?
Sinn: Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit allemal. Nach meinem Gerechtigkeitsgefühl müsste die Lohnspreizung allenfalls durch den persönlichen Arbeitseinsatz erklärt werden - das wäre dann viel, viel weniger als das, was wir in unserer Marktwirtschaft haben. Die Marktwirtschaft ist einfach nicht gerecht. Aber sie ist effizient.
SZ: Was folgt daraus?
Sinn: Wenig. Man kann die Lohnspreizung der Märkte durch eine progressive Einkommensteuer ein wenig verändern, aber wenn man zuviel eingreift, funktioniert das System nicht mehr. Was nützt es, wenn ich mich darüber ärgere, wenn es anders nicht geht? Wenn ich versuchen würde, die Gehälter der Manager auf ein gerechtes Maß zu stauchen, dann gehen sie halt woanders hin.
SZ: Also lieber Augen zu und schweigen?
Sinn: Mit etwas mehr Ungerechtigkeit lebt es sich besser. Etwas mehr Ungleichheit in der Einkommensverteilung bewirkt auch für die weniger gut dabei Wegkommenden letztlich einen höheren Lebensstandard, als wenn man ein egalitäres System schafft, wo alle das Gleiche kriegen und alle gleichermaßen arm sind. Das haben wir doch im Sozialismus Ostdeutschlands probiert.
SZ: Aber was ist, wenn Manager weniger an ihre Firmen und mehr an ihr eigenes Wohlergehen denken?
Sinn: Jeder Mensch in der Marktwirtschaft denkt doch zunächst einmal an sein eigenes Wohlergehen, trotzdem funktioniert die Marktwirtschaft. Sie braucht nicht den guten Menschen, sondern funktioniert mit Menschen, die ihren eigenen Vorteil maximieren wollen.
SZ: MUSS die Macht der Manager denn nicht begrenzt werden?
Sinn: Ja, natürlich. Manager dürfen nicht machen, was sie wollen, sie haben ja die Aktionäre. Die sind bereit, tolle Vorstände hoch zu bezahlen. Wenn ein richtiger Manager kommt, der das Geschäft versteht, kann er für ein Dax-Unternehmen ein paar hundert Millionen mehr in die Kasse spülen. Im Wettbewerb der Firmen um gute Manager ergeben sich halt extrem hohe Einkommen. Auch wenn das mit Gerechtigkeit gar nichts zu tun hat.