Hans-Werner Sinn glaubt nicht an den Erfolg des EU-Klimaschutzes
FOCUS: Herr Sinn, die neuen EU-Klimaschutzvorgaben belasten vor allem Spitzenindustrien wie Auto, Stahl oder die Energiebranche. Was halten Sie davon?
Sinn: Umweltschutz finde ich richtig und wichtig. Die EU-Politik kann aber nicht funktionieren, solange andere Länder nicht mitmachen. Den Ausstoß an Kohlendioxid nur in Europa zu drosseln, heißt, weniger fossile Brennstoffe auf den Weltmärkten zu kaufen. Das drückt den Weltmarktpreis und ermöglicht es den Amerikanern, noch mehr Geländewagen zu fahren. Und es subventioniert den chinesischen Aufschwung, der ebenfalls sehr umweltbelastend ist. Kurzum: Die anderen Länder verbrauchen das, was wir einsparen, und jagen es in die Luft.
FOCUS: Klimaschutzbefürworter argumentieren, dass einer den Anfang machen muss. Finden Sie das nicht plausibel?
Sinn: Viele Menschen denken, bei der europäischen Vorreiterrolle im Umweltschutz sei es ähnlich wie bei einer Kollekte in der Kirche. Wir geben etwas in den Klingelbeutel rein, auch wenn wir wissen, dass andere nichts geben. Aber so ist es nicht. Was wir reingeben, holt der Nächste wieder raus. Der Nettoeffekt ist null.
FOCUS: Was könnte die EU tun, um das zu ändern?
Sinn: Positive Effekte auf das Weltklima kann die EU nur erreichen, wenn sie Ölscheichs und andere Ressourcenbesitzer veranlasst, mehr Brennstoffe im Boden zu lassen. Nur dann fällt der Weltmarktpreis durch die Einschränkung der Nachfrage nicht so stark, dass unser Sparkurs zu Mehrverbrauch in anderen Staaten führt.
FOCUS: Würden sich Lieferländer auf solch ein Geschäft einlassen?
Sinn: Warum sollten sie der EU den Gefallen tun? Ich fürchte, die Ankündigung immer schärferer Umweltmaßnahmen bewirkt das Gegenteil, weil sie die Preise kaputt macht. Ressourcenbesitzer hauen das Zeug so nur noch schneller raus, und die Erde erwärmt sich noch rascher.
FOCUS: Der Klimaschutzkurs der EU führt Ihrer Ansicht nach also in die Irre?
Sinn: Gut gemeint und gut getan ist leider nicht dasselbe. Bislang hat die EU-Politik bei der Kurve des CO2-Weltausstoßes nicht den kleinsten Zacken nach unten erreicht. Im Gegenteil, seit die EU erklärt hat, dass sie es mit dem Umweltschutz ernst meint, sind die Fördermengen und damit der Ausstoß an oxidierten Kohlenstoffen schneller gestiegen als je zuvor.