Wettbewerbsfähigkeit – Test ist stets der Arbeitsmarkt – Werden immer mehr zur Basarökonomie – Party weltweit vorbei
ECHO: Der Titel Exportweltmeister geht zwar 2009 wohl an China verloren. Aber kaum ein Land profitiert bislang von der Globalisierung so wie Deutschland. Zugleich ängstigen sich viele Bundesbürger wegen des wachsenden grenzüberschreitenden Wettbewerbs. Widerspruch oder begründete Sorgen?
Sinn: Ich frage mich, woher Sie so sicher sind, dass Deutschland von der Globalisierung profitiert. An den hohen Exporten kann man das jedenfalls nicht ablesen. Im Gengenteil, gerade dann, wenn hohe und starre Löhne zu Lasten der Binnensektoren eine Überspezialisierung auf kapitalintensive Exportsektoren erzwingen, die nur wenige Arbeitsplätze bringen, gibt es die Möglichkeit eines verlustbringende Handels Der richtige Test für mögliche Gewinne aus der intenationalen Arbeitsteilung ist der Arbeitsmarkt. In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat Deutschland die durch die Importkonkurrenz freigesetzten Arbeitnehmer nur in geringem Umfang in den Exportsektoren unterbringen können. Das spricht gegen neue Handelsgewinne. Allerdings gibt es seit der Agenda 2010 Lichtblicke, die eine Tendenz zum Besseren aufzeigen. Im übrigen: Selbst wenn es Handelsgewinne für die Deutschen in ihrer Gesamtheit gibt, gehören diejenigen Arbeitnehmer, die nun der Konkurrenz der Niedriglöhner aus den ex-kommunistischen Ländern ausgesetzt sind, sicherlich eher zu den Verlierern. Handelsgewinne gehen fast immer mit einer Umverteilung im Inneren des Landes einher. Dass alle Gruppen gleichmäßig profitieren ist eher die Ausnahme.
ECHO: Obwohl von Ihnen als Basar-Ökonomie gegeißelt, die nur noch verkauft, was andernorts produziert wird, klappt diese Form der internationalen Arbeitsteilung recht gut und sichert/schafft Jobs im Inland. Wo sehen Sie hier Probleme?
Sinn: Die Entwicklung zur Basar-Ökonomie schreitet mit großer Macht voran, aber sie ist ja nicht per se negativ. Im Gegenteil: Hier liegt eine Erfolgsstrategie der deutschen Wirtschaft, geradezu die deutsche Spezialisierungsnische par execellance. Negativ ist nur, wenn diese Entwicklung wegen starrer Löhne zu schnell verläuft. Die Überspezialisierung gibt es nämlich nicht nur in der Horizontalen, zwischen verschiedenen Sektoren, sondern auch in der Vertikalen, von den kundenferneren zu den kundenahen Tätigkeiten. Der Test ist immer der Arbeitsmarkt. Wenn über alle Sektoren gerechnet Arbeitslosigkeit entsteht, läuft etwas falsch mit der Spezialisierung. Wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht, wie seit der Agenda 2010, kann man optimistisch sein.
ECHO: Was braucht es, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und woran messen Sie diese?
Sinn: Wettbewerbsfähig ist derjenige, dessen Leistungen zu den Preisen, die er fordert, nachgefragt werden. Die deutschen Firmen des Exportgewerbes sind ohne Zweifel in hohem Maße wettbewerbsfähig. Nicht mehr wettbewerbsfähig sind jene Unternehmen, die durch die Importe verdrängt wurden und die Arbeitnehmer, die in den vergangenen Jahrzehnten in großem Umfang arbeitslos wurden. Ein Land, das flexible Löhne und Preise hat, kann seine Wettbewerbsfähigkeit nie verlieren, auch wenn es beim technischen Fortschritt nicht mehr mitkommt, denn es kann ja stets in dem Maße billiger werden, wie es zurückfällt. Deutschland ist seit der Einführung des Euro im Jahr 1999 handelsgewichtet gegenüber den anderen Euroländern etwa 11% billiger geworden.
ECHO: Welche Rolle spielen dabei Bildung, Qualifikation und Innovationsstärke?
Sinn: Alle drei Elemente sind der Schlüsse für die weitere Entwicklung des Wohlstands der Deutschen. Leider haben wir die Bildung sträflich vernachlässigt. Die öffentlichen Bildungsausgaben liegen als Anteil vom BIP weit unter dem amerikanischen Wert, obwohl doch in Amerika die private Bildung noch hinzu tritt. Bei den PISA-Tests sind wir unter allen OECD-Ländern nur noch Durchschnitt, wobei die innerdeutschen Unterschiede riesig sind. Wenn Sie alle Bundesländer wie Staaten einreihen, dann liegt Bremen unter 45 Ländern auf Platz 39, doch Bayern auf Platz fünf.
ECHO: Welche Industrien wird es in zehn Jahren hierzulande nicht mehr geben, wo drohen aus Ihrer Sicht massive soziale Konflikte?
Sinn: Alle Industrien wird es noch geben, aber überall werden wir uns zunehmend auf die Ingenieurleistungen, das Design, das Marketing und vielleicht noch die Endmontage der im Ausland vorfabrizierten Teile beschränken. Wir werden halt immer mehr zur Basarökonomie. Die Konflikte liegen stets im Bereich der einfachen, ungelernten Arbeiten, die in die ex-kommunistischen Länder von Polen bis China verlagert werden. Der Konflikt zwischen den Gewinnern und Verlierern der Globalisierung, den ich seit fünfzehn Jahren in vielen Stellungnahmen vorhergesagt habe, ist ja inzwischen in unserem Land mit aller Schärfe ausgebrochen. Er wird sich verstärken.
ECHO: Was lernen wir aus dem Fall Nokia, einer völlig normalen unternehmerischen Entscheidung, betriebswirtschaftlich begründbar, die populistisch ausgeschlachtet wurde und das Defizit an ökonomischem Sachverstand in Deutschland aufzeigt?
Sinn: Dass die Nerven blank liegen. Der Kapitalismus gefiel den Arbeitern in der Nachkriegszeit, als sie die Niedriglöhner waren, die von den anderen, weiter entwickelten Ländern hochgezogen wurden. Wenn man selbst der Hochlöhner ist, der die Chinesen hochziehen soll, dann schwindet die Attraktivität des Systems. Dann ist wieder Klassenkampf angesagt. Damit der Krieg der Klassen nicht ausbricht, muss die Politik die Verlierer kompensieren. Das geht nur durch Lohnzuschüsse im Niedriglohnsektor. Mindestlohnstrategien schüren den Kampf weiter an, weil sie den Weg in die Massenarbeitslosigkeit bedeuten.
ECHO: Wie schädlich sind die Skandale bei VW, Siemens oder der Fall Zumwinkel bei dem Bemühen, sich nachhaltig einen wohlstandssichernden Platz in der Weltwirtschaft zu sichern?
Sinn: Solche Skandale gab es immer. Aber weil die Einkommensverteilung ungleicher wird, ist die Bereitschaft, sie publizistisch auszuschlachten, größer. Der Neidfaktor ist heute um ein Vielfaches größer als noch vor einigen Jahren. Warum sterben jetzt keine Vögel an SARS? Weil die Presse ein anderes Thema hat. Die Empörung über die Manager ist der verständliche, aber ohnmächtige Versuch, die anonymen Kräfte der Globalisierung zu personifizieren.
ECHO: Oder sind Ethik und Moral auf den Weltmärkten nur hinderlich?
Sinn: Ethik und Moral sind die Voraussetzung für einen funktionierenden Handel. Die Regeln muss man einhalten, sonst droht Anarchie. Aber, wie gesagt, ich glaube nicht, dass die Manager heute unmoralischer sind als früher.
ECHO: Zum Aktuellen: Die globalen Kapitalmarktrisiken und die einsetzende Konjunkturschwäche dämpfen den Ausblick. Wie wird aus Ihrer Sicht 2008 und 2009?
Sinn: Deutschland hat noch ein gutes Jahr, für die USA wird es düster. Der Michigan Index und der ifo WES Index für Amerika liegen beide unter dem Wert, den sie nach dem Anschlag auf das World Trade Center hatten. Die Party der Weltwirtschaft ist vorbei.
ECHO: Wer muss die US-Konsumenten als Antreiber ersetzen?
Sinn: Sie kann keiner ersetzen.
ECHO: Was sollte Berlin vordringlich tun - Stichwort: Reformen -, wenn das konjunkturelle Pendel stärker nach unten ausschlägt?
Sinn: Die Schröderschen Reformen sichern und vertiefen. Sie haben in Deutschland eine Trendwende eingeleitet. Die Rolle rückwärts, die die Politik nun veranstaltet, könnte zum Absturz führen.