Interview. Der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn über die Ursachen der Finanzkrise, den Unsinn der forcierten Biospritproduktion, die Sinnhaftigkeit eines Kombilohns und die Vorteile der österreichischen Lohnpolitik.
Die Presse: Wird sich die Krise der Finanzmärkte zu einer veritablen Rezession ausweiten?
Hans-Werner Sinn: In den USA mit überwiegender Wahrscheinlichkeit. Das Konsumentenvertrauen ist auf einem wirklichen Tiefststand, tiefer noch als nach dem Anschlag auf das World Trade Center oder nach Beginn des zweiten Irak-Kriegs.
Wann wird das auf Europa übergreifen?
Sinn: Es lässt sich nicht verhindern, aber es wird mit Verzögerung kommen. Der deutsche Wirtschaftsraum folgt dem Zyklus der Weltwirtschaft in der Regel mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren.
Ist die Eurozone stark genug, den Abschwung abzufangen?
Sinn: Nein, keinesfalls, denn ein Viertel des Außen-Exports der Eurozone geht in die USA. Die ganze Welt ist betroffen, auch ein Viertel der chinesischen Exporte geht nach Amerika.
Ist die Finanzkrise ein Symptom des Versagens der Marktwirtschaft überhaupt?
Sinn: Es ist ohne Zweifel ein Versagen des Bankensystems. Im Aufschwung fühlen sich die Unternehmen alle reich, die Banken insbesondere und wagen es, riskante Geschäfte einzugehen und im Abschwung gehen die Gewinne sehr schnell hinunter. Verstärkt wurde die Krise durch das IFRS-Bilanzierungssytem (Anm.: Buchverluste bei Wertpapieren gehen auch dann voll in die Bilanz ein, wenn sie nicht realisiert wurden, also noch nicht „echt“ sind). Das deutsche Niederstwertprinzip hätte das vermieden.
Welche Konsequenz wären daraus zu ziehen?
Sinn: Die Konsequenz daraus ist, dass man eine stärkere Regulierung des Bankensystems braucht.
Wie vertragen sich solche Eingriffe des Staates mit der Marktwirtschaft?
Sinn: Eine funktionierende Marktwirtschaft braucht einen starken Ordnungsrahmen. Marktwirtschaft ist nicht Anarchie, sondern sie braucht auch Regulierungen. Wir haben zum Beispiel auch ein Lebensmittelrecht, welches die gefährlichen Inhaltsstoffe von Lebensmitteln begrenzt. Weil der Verbraucher beim Kauf das nicht selber entscheiden kann.
Gegen die Lebensmittelknappheit wird nun nach stärkeren Eingriffen der Staaten in die Wirtschaft gerufen.
Sinn: Diese Knappheit ist bereits das Ergebnis einer Staatsintervention. Die ist hervorgerufen durch den rapiden Anstieg der Biospritproduktion. Wir haben schon im Jänner 2007 die Tortilla-Krise in Mexiko City gehabt. Die war hervorgerufen, weil die Amerikaner nicht mehr so viel Mais nach Mexiko geliefert haben, sondern den Mais lieber zur Produktion von Ethanol für die Autos verwendet haben. Die Frage ist: Teller oder Tank? Der Staat hat sich hier eingemischt und die Nahrungsmittelproduktion für die Füllung des Tanks subventioniert.
„Geld ist keine Lösung“
Was kann man den Leuten für eine Hoffnung geben? Weltbank und Währungsfonds verlangen mehr Geld für Hilfsaktionen.
Sinn: Geld ist überhaupt keine Lösung, weil es ja an Nahrungsmitteln fehlt. Nein, man muss damit aufhören, landwirtschaftliche Flächen umzuwidmen für die Biospritproduktion.
Auch in der EU?
Sinn: Auch in der EU. Die Beimischvorschläge, die von der EU kamen, die ja bis zu 20 Prozent gingen, hätten bedeutet, dass man etwa die Hälfte der Ackerflächen der EU für die Produktion von Biosprit verwendet. Das kann ja wohl nicht sein.
Sie sind ein prominenter Vertreter des Kombi-Lohn-Modells, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Was antworten Sie den Skeptikern ?
Sinn: Wir haben ja in Deutschland diesen Kombi-Lohn praktisch schon mit der Schröder'schen Reform, der Agenda 2010, eingeführt, wenn auch auf kleinstem Niveau, aber immerhin mit Riesenerfolg. In Deutschland gibt es 1,3 Millionen so genannte „Aufstocker“. Diese Menschen kriegen einen Lohn, von dem sie nicht leben können und der staatliche Zuschuss füllt ihn auf, so dass in der Summe ein akzeptables Einkommen entsteht.
Ist das nicht ein sehr teurer Spaß?
Sinn: Nein. Extrem billig. Das kostet zwischen acht und neun Mrd. Euro, während die Arbeitslosigkeit im letzten Jahr 60 Mrd. Euro kostete. Die Gesellschaft hat die Wahl, die Menschen in der Arbeitslosigkeit zu 100 Prozent zu bezahlen oder in der Arbeit zu bezuschussen.
Sie haben einmal Österreich mit Deutschland verglichen und Österreich lobend hervorgehoben, dass die Lohnzurückhaltung sich sehr positiv ausgewirkt hat.
Sinn: Ja, Österreich ist noch immer sehr viel billiger als Deutschland bei den Lohnkosten und das erklärt natürlich einen gewaltigen Standortvorteil.
Arbeitsplätze, die von deutschen Kellnerinnen besetzt werden.
Sinn: Ja, so ist es. Hätten wir in Deutschland Löhne wie in Österreich, gäbe es in Deutschland Vollbeschäftigung.
Die Furcht vor der Globalisierung geht um. Können Länder wie Deutschland und Österreich überhaupt konkurrieren gegen Länder wie China, Indien, Ukraine, Rumänien?
Sinn: Schwer, jedenfalls nicht mit den Löhnen. Man kann natürlich teurer sein als andere, wenn man entsprechend besser ist. Aber wenn wir zehnmal so teuer sind wie die Ukraine, dann müssten wir auch zehnmal so gut sein wie ein ukrainischer Arbeiter. Wenn wir nur fünfmal so gut und zehnmal so teuer sind, gibt es ein Problem.
Welche Perspektive haben wir dann?
Sinn: Laut unseren Schätzungen würde eine Lohnsenkung im Niedriglohnsektor um etwa ein Drittel ausreichen, den Weg in die Vollbeschäftigung wieder zu ermöglichen. Dann haben wir immer noch Löhne, die viel viel höher als in Osteuropa sind.
Der Fall Nokia hat in Deutschland große Aufregung verursacht. Gehören die Finnen zu den Heuschrecken, die von einer abgegrasten Subventionswiese zur nächsten ziehen?
Sinn: Dass da Subventionen gezahlt wurden, war überflüssig. Der Staat, wenn er schon was subventionieren will, muss das subventionieren, was er wirklich erreichen will und nicht irgendwelche Kapitalinvestitionen von Nokia. Das sichert keine Arbeitsplätze. Nokia geht dahin, wo die Gewinne am größten sind.