Die deutsche Wirtschaft dürfte 2009 noch schwächer wachsen als bislang angenommen. Damit rechnet nach den jüngsten Ergebnissen des Ifo-Konjunkturtests dessen Präsident Hans-Werner Sinn. Im Handelsblatt-Interview spricht der Ifo-Chef zudem über die Risiken einer Rezession, die Dramatik der Finanzmarktkrise und die Chancen der deutschen Wirtschaft, sich in der weltweiten Flaute zu behaupten.
Handelsblatt: In Deutschland geht die Angst vor Rezession um - ist sie berechtigt?
Hans-Werner Sinn: Es ist gut möglich, dass das dritte Quartal auch negativ ausfallen wird und damit die Definition streng genommen erfüllt wäre. Von einer Rezession zu sprechen, halte ich dennoch für völlig falsch. Dass die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal geschrumpft ist, lässt sich schließlich vor allem mit einer statistischen Gegenreaktion auf das wachstumsstarke erste Vierteljahr begründen - und das war nach dem warmen Winter und den Sondereffekten wegen des Auslaufens der Abschreibungsvergünstigungen schlicht überzeichnet.
Die Aussichten sind also gar nicht so trüb?
Oh doch, das habe ich damit nicht gesagt. Der Abschwung hat begonnen. Wir hatten schon des längeren prognostiziert, dass die Wachstumsrate bis zum nächsten Jahr nur noch ein Prozent sein wird. Möglicherweise ist auch das zu hoch, denn die letzten Werte des Ifo-Konjunkturtests weisen doch sehr stark nach unten. Ein regelrechter Absturz. Nach drei sehr guten Jahren kommen jetzt wieder schwächere Jahre.
Jahre?
Ja. Der Abschwung wird im nächsten Jahr an Kraft gewinnen. Das ist der Lauf des Konjunkturzyklus - nach einem ausgeprägten Boom folgt eine Flaute. Hinzu kommen die Auswirkungen der Finanzmarktkrise: Die Entwicklung des US-Immobilienmarktes hat für eine erhebliche Dramatik gesorgt. Die amerikanische Wirtschaft wird sich fundamental neu aufstellen müssen; sie hat als konsumgetriebene Volkswirtschaft jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt - das konnte nicht länger gut gehen. Die amerikanische Flaute lässt uns selbstverständlich nicht unberührt - schließlich machen die USA 28 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes aus.
Es war absehbar, dass der deutsche Export unter der globalen Schwäche leiden würde. Daher hatten viele Konjunkturexperten darauf gesetzt, dass der private Konsum endlich als Stütze einspringen würde - die Inflation hat das allerdings verhagelt. Auch der Investitionszyklus läuft aus. Müssen wir uns von der Hoffnung verabschieden, dass die Binnenwirtschaft das Wachstum antreibt?
Der deutsche Binnenmarkt wurde über Jahrzehnte durch die Kompression der Lohnverteilung, die von den Gewerkschaften und dem Sozialstaat Hand in Hand betrieben worden war, beschädigt. Die Wirtschaft flüchtete sich daraufhin in die kapital- und wissensintensiven Exportsektoren, wo nicht mehr viel einfache Arbeit gebraucht wurde. Richtig ist aber auch, dass durch die Agenda 2010 eine fundamentale Kehrtwende in Deutschland eingeleitet wurde, durch die sich der Binnenmarkt nun allmählich ebenfalls wieder entwickelt. Die Löhne für einfache Arbeit geben nach, und die Deutschen wagen es wieder, einander die Leistungen abzukaufen, die sie anzubieten haben. Die Agenda hat den impliziten Mindestlohn des deutschen Sozialsystems gesenkt und deshalb ein wirkliches Jobwunder erzeugt. Sie hat 1,1 Millionen neue Jobs allein in Westdeutschland geschaffen, die wir sonst in diesem Konjunkturzyklus nicht gehabt hätten.
Das klingt aber optimistisch. Wenn die Konjunktur weiter abwärts geht, wird die Zahl der Arbeitslosen doch beinahe automatisch steigen. Woher ihre Zuversicht?
Zyklisch bedingt wird das Wachstum in den kommenden Jahren gering sein und zeitversetzt wird auch die Arbeitslosigkeit wieder steigen, mindestens ab der zweiten Hälfte 2009, vielleicht schon früher. Trotzdem steht die deutsche Wirtschaft unabhängig von dem Auf und Ab der Konjunktur wesentlich besser und robuster da als im letzten Abschwung. Besser, verglichen mit anderen großen Volkswirtschaften wie den USA oder Großbritannien, deren Immobilienmärkte kaputt sind. Und besser verglichen mit der eigenen Vergangenheit, weil sich durch die Agenda einiges bewegt hat und die Arbeitnehmer ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessert haben.