Hans-Werner Sinn pessimistisch
München – Ist die Rezession bald wieder vorbei, oder wird sie länger dauern? Was können Staaten tun, um die Finanzkrise zu bekämpfen? NZ-Redaktionsmitglied Ralf Müller sprach mit dem Präsidenten des Münchener Ifo Instituts, Hans-Werner Sinn.
NZ: Sie deuteten kürzlich an, man werde die Rezession schon bald nicht nur in Teilbereichen der Wirtschaft spüren. Also bald Rezession auf breiter Front?
Sinn: So ist das. Die Rezession fängt ja jetzt erst an. In Frühindikatoren wie dem Ifo-Index hat sie sich zwar schon seit einem drei viertel Jahr sehr deutlich angekündigt, aber wir stehen immer noch erst am Beginn einer wirtschaftlichen Flaute, die sich im nächsten Jahr weiter auswachsen und alle großen Wirtschaftsbereiche erfassen wird.
NZ: In Deutschland ist man stolz auf den erheblichen Abbau der Arbeitslosigkeit. Wird sie jetzt wieder aufgebaut werden bis hin zu den fünf Millionen, die wir ja schon einmal hatten?
Sinn: Sie wird jetzt sehr rasch wieder ansteigen. Ich hoffe nicht, dass sie auf fünf Millionen ansteigt, denn wir sind durch die Hartz-IV-Reformen am Arbeitsmarkt jetzt etwas besser aufgestellt als bei der früheren Flaute. Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht so weit kommt wie früher. Diese Wirtschaftskrise hat es allerdings in sich. Sie könnte weltweit gravierendere Ausmaße annehmen als die Wirtschaftskrise der Jahre 2001 bis 2005.
NZ: Wie scharf wird denn der Absturz 2009 werden?
Sinn: Wir erstellen gerade die neue Prognose, die im Dezember vorgestellt wird. Ich verweise darauf, dass in der bisherigen Herbstprognose der Institute ein Risikoszenarium berechnet worden war, bei dem die Wirtschaft um 0,8 Prozentpunkte schrumpfen würde. Voraussichtlich werden wir eine negative Zahl für 2009 prognostizieren.
NZ: Wäre die Rezession auch ohne Finanzkrise gekommen?
Sinn: Ja. Denn sie kündigt sich - wie ich sagte - schon seit einem drei viertel Jahr an. Die Finanzkrise gibt dem Ganzen freilich einen besonderen Schub, der sich im Laufe des nächsten Jahres in der Realwirtschaft zeigen wird. Noch ist die Finanzkrise in der Realwirtschaft nicht wirklich angenommen.
NZ: Was können die Staaten tun, um die Wirtschaftskrise abzumildern?
Sinn: Die Banken und Finanzinstitute müssen gerettet werden. Dazu sind die Rettungspakete im Umfang von weltweit über 3.000 Milliarden Euro ja geschnürt. Das wird Bankzusammenbrüche wirksam verhindern. In Deutschland käme es allerdings auch darauf an, zu verhindern, dass Banken, die nicht vor dem Zusammenbruch stehen, sondern nur Eigenkapital verloren haben, ihr Geschäftsvolumen einschränken. Das ist im Moment nämlich die große Devise bei den Bankvorständen. Die Einschränkung des Geschäftsvolumens würde dazu führen, dass die Firmen nicht mehr genug Kredite für ihre Investitionen bekommen. Die Banken müssen deshalb gezwungen werden, das zur Verfügung gestellte staatliche Eigenkapital anzunehmen oder sich neues Eigenkapital am Markt zu besorgen.
NZ: Wie kann man Banken zwingen, sich vom Rettungspaket helfen zu lassen?
Sinn: So wie das die Engländer machen. Dort müssen die Banken eine Kernkapitalquote von neun Prozent erreichen, indem sie entweder privates Geld finden oder die staatlichen Hilfen annehmen. Ferner müssen sie sicherstellen, dass sie ihre Ausleihungen gegenüber dem Durchschnitt der letzten vier Jahre nicht reduzieren. Sie können die höhere Kernkapitalquote nicht erreichen, indem sie ihr Geschäftsvolumen reduzieren. Dieser englische Plan ist ein guter Plan.
NZ: In den USA und Europa wird auch über Rettungspakete für andere Wirtschaftszweige, zum Beispiel für die Autoindustrie - Stichwort Opel. Wie sehen Sie das?
Sinn: Da hat der Staat nichts zu suchen. Denn die notwendige strukturelle Bereinigung der Branche kann nur in der Flaute stattfinden. Der Staat darf die nötigen Strukturanpassungen nicht durch seine Maßnahmen behindern. Zu Opel: Jeder Euro, den man da hineinsteckt, kommt über verschiedene Kanäle in einen großen Topf, der mit General Motors gebildet wird, und General Motors ist pleite.