Die letzte Chance

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Project Syndicate, 27.03.2015

In den inflationären Kreditblasen, die der Euro erzeugte, wurden die südeuropäischen Krisenländer viel zu teuer. Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, müssen Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal die Preise für ihre eigenen Güter relativ zum Rest der Eurozone und im Vergleich zum Krisenbeginn um ca. 30% verringern. Italien muss vermutlich 10 bis 15% billiger werden. Tatsächlich haben sich Portugal und Italien einer solchen “realen Abwertung” bislang vollständig verweigert, und in Griechenland und Spanien gingen die relativen Preise nur um 8% bzw. um 6% zurück.

Unter den Krisenländern hat allein Irland die Kurve gekriegt, weil seine Blase schon Ende 2006 platzte, als es noch keine Rettungsschirme gab. Da keiner half, schnallte man den Gürtel enger und senkte die relativen Güterpreise um 13%. Die Rosskur hat dem Land inzwischen einen Superboom verschafft.

Relativ gesehen erhielt Griechenland die meisten Rettungsgelder und wies den größten Zuwachs der Arbeitslosigkeit auf. Die öffentlichen Kredite, die das Land vom EZB-System und der Staatengemeinschaft bekam, haben sich in den letzten fünf Jahren von 53 Mrd. Euro (Februar 2010) auf mittlerweile 324 Mrd. Euro oder 181% des BIP bald versechsfacht, und die Arbeitslosigkeit hat sich von 11% auf 26% mehr als verdoppelt.

Es gibt vier Reaktionsmöglichkeiten für die Politik und die Wirtschaft. Erstens kann Europa zu einer Transferunion werden, indem der Norden dem Süden immer mehr Kredit gibt und später erlässt. Zweitens kann der Süden deflationieren. Drittens kann der Norden inflationieren. Viertens können nicht mehr wettbewerbsfähige Länder aus Eurozone austreten und ihre neue Währung abwerten.

Jeder dieser Wege ist mit gravierenden Nebenwirkungen verbunden. Der erste erzeugt eine dauerhafte Abhängigkeit von den Transfers und zementiert die falschen Preise. Der zweite treibt viele Schuldner der Krisenländer in den Konkurs. Der dritte enteignet die Gläubiger, die vor allem in Deutschland sitzen. Der vierte könnte Ansteckungseffekte über die Kapitalmärkte hervorrufen, die die Politik, wie im Falle Zyperns 2013, zur Einführung von Kapitalverkehrskontrollen zwingt.

Die europäische Politik hat sich bislang auf öffentliche Kredite an die Krisenländer zu Zinsen nahe Null konzentriert, was einem Transfersystem schon nahe kommt. Aber jetzt versucht die EZB mit ihrem Quantitative Easing (QE) den dritten Weg. Das erklärte Ziel ist es, die Inflationsrate durch den Aufkauf von Wertpapieren im Umfang von über 1100 Mrd. Euro von knapp unter 0% auf knapp unter 2% zu vergrößern.

Dies würde den Südländern in der Tat einen Ausweg aus ihrer Wettbewerbsfalle ermöglichen, denn wenn sie mit ihren Preisen auf der Stelle treten, während der Norden nach-inflationiert, können sie ihre relativen Güterpreise allmählich wieder senken, ohne dass es allzu sehr schmerzt. Freilich muss der Norden dann schneller als nur um zwei Prozent inflationieren.

Angenommen Südeuropa wählt eine Inflationsrate von 0% und Frankreich eine von 1%. Dann müssten die deutschen Preise jährlich um etwa 4% zulegen, während die Preise der restlichen Eurozone um jährlich 2% steigen, um das erklärte Inflationsziel zu erreichen. Das müsste noch für etwa 10 Jahre so durchgehalten werden, bis die Eurozone wieder im Gleichgewicht ist. Das deutsche Preisniveau wäre dann um ca. 50% höher als heute, und die Sparbücher um ein Drittel leichter.

QE wird wirken, denn das viele Geld, das nun in Umlauf kommt, wird auch ins Ausland drängen und den Euro abwerten. Das haben ähnliche Erfahrungen der USA, Großbritanniens und Japans gezeigt. Die Abwertung des Euro wird eine gewisse Inflationierung bereits über die Erhöhung der Import- und Exportpreise herbeiführen. Ob sie reicht, steht freilich auf einem anderen Blatt. Auch besteht die Gefahr, dass Japan, China und die USA nicht lange still halten werden und die Welt statt dessen in einen Währungskrieg hineinrutscht.

Vor allem aber steht zu befürchten, dass die Südländer, statt bei den Preisen auf der Stelle zu treten, ihre Austeritätspolitik aufgeben, und die Wirtschaft durch immer mehr Staatverschuldung anheizen. Dann wäre für die Wettbewerbsfähigkeit nichts gewonnen, und der Euroraum würde nach einem anfänglichen Strohfeuer in die Dauerkrise zurückkehren. Man kann nur hoffen, dass das nicht passiert, weil die Südländer der Verlockung des billigen Geldes widerstehen. Sie haben jetzt ihre letzte Chance.

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