KIOES Opinions 7 (2018), Austrian Academy of Sciences (ÖAW), S. 13 – 14.
Erich Streissler ist der bedeutendste österreichische Nationalökonom seiner Generation. Wie kein anderer hat er die institutionelle und geistige Entwicklung des Faches in seinem Heimatland geprägt und strahlte mit seinem Wissen weit darüber hinaus.
Nachdem Streissler Jura studiert und dann in diesem Fach promoviert hatte, wandte er sich der Statistik und der Volkswirtschaftslehre zu. Schon im jungen Alter von 29 Jahren hatte er ein Oeuvre und eine Expertise vorzuweisen, die ihm ein Ordinariat für Statistik und Ökonometrie in Freiburg einbrachten. Zahlreiche Aufenthalte in angelsächsischen Ländern hatten ihn schon zu diesem Zeitpunkt zu einem international beachteten Forscher gemacht.
Sechs Jahre später kehrte er nach Wien zurück, wo er der Rechts- und Staatswirtschaftlichen Fakultät beitrat und eine intensive Vorlesungstätigkeit im Bereich der Jurisprudenz begann. Im Zuge der Neuordnung der Universität wurde er ab 1975 Mitglied der Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, was ihm zupass kam, weil sich seine Neigungen ohnehin dorthin richteten.
Erich Streissler ist ein Universalgelehrter, der wie kein anderer die Kenntnisse der Jura, der Statistik und der mathematischen Wirtschaftstheorie zu verbinden weiß und sich zudem noch als Fachmann in der volkswirtschaftlichen Dogmengeschichte einen Namen gemacht hat. Als Wissenschaftler ruht er auf dem breiten Fundament der Österreichischen Schule, doch ist er ein kenntnisreicher neoklassischer Ökonom, der zugleich maßgebliche Beiträge zur Geld- und Zinstheorie geleistet hat. Dabei haben ihn die internationalen Probleme der Wirtschaftstätigkeit stets besonders beschäftigt, so zum Beispiel die Frage, welche Einflussfaktoren die Leistungs- und Kapitalverkehrsbilanz erklären. Seine stets auf Englisch gehaltenen Vorlesungen waren legendär, insbesondere seine Vorlesung International Economics, die mit ihrer geschickten Verbindung von Theorie, Empirie, historischen Erfahrungen und Dogmengeschichte Kultstatus erreichte. Mit einfachsten Mitteln gelang es ihm, tiefschürfende theoretische Erkenntnisse zu vermitteln und dabei ein breites Spektrum auch moderner Literatur darzulegen.
Ich selbst bin auf ihn als Student durch seine vielen Diskussionsbeiträge bei den Jahrestagungen des Vereins für Socialpolitik aufmerksam geworden, die damals noch wörtlich protokolliert wurden. Seine direkte und unverblümte Ausdrucksweise hat mich stets beeindruckt. Wenn er das „Schlittenfahren auf neoklassischen Isoquanten“ brandmarkte oder die Argumentation eines Keynesianers genüsslich auseinandernahm, imponierte mir das sehr.
Im Jahr 1972 durfte ich als frischgebackener Universitätsassistent an der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik zum Thema „Macht oder Ökonomisches Gesetz“ teilnehmen. Ich werde nie vergessen, wie er in dem total überfüllten Hörsaal ein nicht eingeplantes, flammendes Korreferat zu Winfried Vogt hielt, dessen linke Thesen ihm überhaupt nicht gefielen. Er schloss sein Referat mit der Bemerkung „Gott schütze uns vor der Macht der Vögte“ und verließ, sichtlich erregt, den Raum.
Nein, Erich Streissler hielt überhaupt nichts von linken Wunschträumen und vertraute der Macht der Märkte. Das hat er auch später immer wieder unter Beweis gestellt. So hat er als einer der ersten erkannt, dass die staatlich gelenkte deutsche Vereinigung schnurstracks in eine Transferunion und zu einer dauerhaften Lähmung der Wirtschaft führen würde. Und zum Thema Euro hatte er von Anfang an keine Illusionen. Seine pessimistischen Prognosen zur Gefahr der Vergemeinschaftung der Schulden im Eurosystem haben sich bewahrheitet.
In den letzten Jahren hat sich Streissler viel mit dogmenhistorischen Themen beschäftigt. So hat er die großartigen Leistungen von Wilhelm Roscher, der schon im 19. Jahrhundert die keynesianische Theorie der Absatzkrisen vorwegnahm, für die Nachwelt ins richtige Licht gesetzt. Auch hat er der Fachöffentlichkeit in Erinnerung gerufen, dass schon 1832 der in München lehrende Friedrich Benedikt Wilhelm von Herrmann die mit der Absatzmenge steigende Grenzkostenkurve, die die Basis der neoklassischen Wirtschaftstheorie wurde, hergeleitet hat.
Was wäre Erich Streissler ohne seine Frau Monika Streissler? Sie hat seine Manuskripte redigiert, mit ihm an Büchern gearbeitet und trat vielfach mit
ihm und für ihn als Übersetzer wichtiger Werke der ökonomischen Klassik auf. Die beiden sind ein wissenschaftliches Traumpaar, von denen es nicht viele in unserer Disziplin gibt. Jede verdiente Ehrung für Erich Streissler ist zugleich auch eine Ehrung für sie.
Hans-Werner Sinn
Universität München