Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn ist für seine steilen Thesen bekannt. Und so waren auch nicht alle Mitglieder des Handelsblatt-Wirtschaftsclubs mit seiner Analyse zur Energiewende einverstanden.
Ausgerechnet in der Hörsaalruine des Berliner Medizinhistorischen Museums, inmitten von Präparaten von totem Gewebe, fand sie statt: die Sinn-Lecture des Handelsblatt-Wirtschaftsclubs. Das Thema des Vortrags von Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn: „Der grüne Zappelstrom und die Grenzen der Energiewende“. „Ist die Energiewende schon verstorben und ein Fall für die Pathologie?“, fragte Moderator und Chefökonom des Handelsblatts Dirk Heilmann.
Sinn setzte sich gleich zu Beginn seines fast einstündigen Vortrags selbst die Latte, an der Ökonomen gemessen werden: „Ein Volkswirt akzeptiert die Ziele, die von der Politik gesetzt werden“, sagte er. Wenn ein Volkswirt kritisiere, möchte er nicht die Ziele der Politik in Frage stellen, es gehe immer nur um die Instrumente, die eingesetzt werden.
Am Ende seines Vortrags und einer kontroversen Diskussion im Anschluss mit den Lesern des Handelsblatts sollte Sinn von diesem Grundsatz jedoch abweichen.
Die Ziele der Politik bei der Energiewende sind in Deutschland klar definiert: Senkung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis 2020, Ausstieg aus der Stromgewinnung aus Atomkraft bis 2022. „Ehrlich gesagt ist es ein Fehler, aus der Atomkraft auszusteigen“, sagte Sinn. Stattdessen plädierte er dafür, die Forschung an der Atomkraft mit zweistelligen Milliardenbeträgen weiter zu betreiben. Das sei doch viel besser als „diese volatilen Stromquellen zu betreiben“.
Wie volatil diese sind, hatte er in seinem Vortrag beschrieben. Er erklärte, welche Rolle ein flexibler Stromverbrauch spielen könnte und wie Speicher beschaffen sein müssten und wie viele nötig seien, um diese Volatilität auszugleichen: Batterien von Elektroautos etwa, Pumpspeicherwerke, Methanspeicher. „Man kann sehr schön semantisch über solche Dinge reden, aber am Schluss kommt es auf die Zahlen an“, so Sinn. Eine Kilowattstunde Methan aus Russland koste drei Cent, dieselbe Menge Methan aus Windstrom koste mindestens 24 Cent.
Die Pufferung der Erzeugungsspitzen erfolge momentan durch Doppelstrukturen, so Sinn, konventionelle Anlagen würden dann angeschaltet, wenn regenerativer Strom nicht erzeugt wird. Sinn zeigte, dass Pumpspeicherwerke allein nicht ausreichen würden, um Volatilität von Wind- und Solarstrom bei 100-prozentiger Erzeugung von Strom aus regenerativen Quellen auszugleichen. Sinns Thesen: Für die Pufferung von Wind- und Solarstrom bräuchte man 6400 Pumpspeicherwerke. Auch Demand Management reduziere die nötige Speicherkapazität kaum. Bei einer Pufferung durch konventionellen Anlagen seien nicht mehr als 30 Prozent Strom aus erneuerbare Energien möglich, so sein Schluss.
Sinn äußerte sich kritisch gegenüber den deutschen Klimaschutzplänen: „Umso mehr wir tun, umso weniger tun die anderen.“
Aus dem Publikum bekam er Gegenwind für seine Thesen. „Sie haben zwei Themen ausgeblendet“, kritisierte Alexander Voigt, Seriengründer im Bereich Erneuerbare Energien. So habe Sinn die Sektorkopplung ausgeblendet, also die Verbindung des Wärme- mit dem Stromsektor. Diese Kopplung könne helfen, die Spitzen in der Energieerzeugung auszugleichen. Außerdem werde der Preis für Strom aus erneuerbaren Energien kontinuierlich sinken, auch das habe Sinn bei seinem Vortrag nicht berücksichtigt.
Sinn unterstellte der Bundesregierung, das Thema der Volatilität zu verschlafen. Auch dort widersprach ein Leser. Die Politik stelle sich sehr wohl auf die Volatilität etwa des Windstroms ein, und habe auch schon entsprechende Anpassungen gemacht, etwa im Erneuerbare-Energien-Gesetz.
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