Ökonom zieht Bilanz.
Wenn Hans-Werner Sinn Freunde und Weggefährten aus aller Welt einlädt, ist Gefahr in Verzug. Nicht für den Ex-Präsidenten des Ifo-Instituts selbst, aber doch für Land und Leute. Deutschlands bekanntester Ökonom ist überzeugt, dass Deutschland vor enormen Herausforderungen steht, trotz oder besser wegen seiner glänzenden Wirtschaftsleistung – und dass es dafür nicht gewappnet ist. Am Wochenende hat Sinn anlässlich seines 70. Geburtstages zur Tagung auf die Insel Frauenchiemsee gebeten, dorthin, wo Bayern am schönsten ist und das Alpenpanorama nah.
Wissenschaftler und Praktiker also vermaßen Deutschland – und das war nicht schön. Kurz gesagt, die Unternehmen ächzen unter den Kosten einer gut gemeinten, aber schlecht gemachten Energiewende, die Digitalisierung wird die Wirtschaft fundamental durcheinanderwirbeln, China und die USA sind im internationalen Wettbewerb bereits auf und davon. Die Migrationskrise schließlich bringt die Koalition an den Rand ihrer Existenz, schlimmer: Sie überfordert das Land dauerhaft. Heute schon, sagt der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, türmen sich ungeheuere Kosten für die Alterssicherung der Menschen auf, die die schrumpfende Arbeitsbevölkerung bald nicht mehr wird erwirtschaften können.
Aus ökonomischer Sicht wären Zuwanderer willkommen – wenn sie nur jung und am besten gut ausgebildet sind; aber leider kommen auch viele andere. Der Verfassungsrechtler Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, will die Grenzen für Wirtschaftsflüchtlinge schließen. Es sei ein Fehler, sagt er, dass Menschen ohne Bleibeperspektive durch das aufwendige Asylverfahren geschleust werden, das nicht für sie gemacht sei. Papier stützt damit explizit CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer – während Kanzlerin Angela Merkel bekanntlich noch um eine europäische Lösung kämpft.
Bei europäischen Lösungen ist Sinn skeptisch. Er, der einst die Einführung des Euro unterstützt hat und das heute bitter bereut, sieht vor allem Risiken für Deutschland. Ihn treibt die Angst um vor einer Transferunion, in die Deutschland immer mehr einzahlt, ohne dass die Empfängerstaaten sich je wieder aufrappeln können. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei ein Hoffnungsträger, aber seine Rezepte für Europa meist nicht im deutschen Interesse. Da regte sich dann doch Widerspruch. Es wäre interessant, meinte der Europaparlamentarier Jakob von Weizsäcker, dieselbe Tagung mal aus französischer Sicht zu veranstalten und dann Schnittmengen zu suchen. Denn dass es ohne Europa ginge, das glaubte denn doch niemand am Chiemsee.
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