Am Jahrestag der Wiedergründung der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Jena nimmt der Festredner Politik aufs Korn.
Viele der 1850 Studenten sind gekommen, die derzeit an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät studieren. Zum 25. Jahrestag der Wiedergründung des Instituts ist einer der prominentesten Vertreter der Zunft gekommen. Hans-Werner Sinn, langjähriger Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, mit unzähligen Ehrendoktorwürden ausgezeichnet, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Der Autor zahlreicher Bücher, die seinen Namen auch außerhalb akademischer Hörsäle bekannt gemacht haben, zieht jedoch auch Gasthörer aus der Stadt an. Im kurzen Gespräch vor der Festveranstaltung im größten Hörsaal der Universität findet Sinn zunächst lobende Worte für die Jenaer Wirtschaftsforscher. Mit Walter Eucken, Wilhelm Röpke oder Erich Gutenberg hätten große Namen in Jena gewirkt daher habe er die Entwicklung der Neugründung stets mit Interesse verfolgt. Statt nötiger Operation nur Beruhigungsmittel Sinn hat kürzlich erst ein neues Buch verfasst: Der schwarze Juni. Brexit, Flüchtlingswelle, Euro-Desaster wie die Neugründung Europas gelingt . Mit seinen Thesen hat sich Sinn als ein wichtiger Kritiker aktueller Regierungspolitik profiliert. Überall hat er etwas auszusetzen, am Euro, an der Politik der Europäischen Zentralbank EZB: Deren übergriffige Politik dient nur dazu, fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Länder Südeuropas auszugleichen , sagt er. Den Gedanken hinter der Politik hält er für ehrbar, doch die Umsetzung sei gescheitert. Die EZB habe den Staaten Südeuropas Zeit verschaffen wollen, um Reformen umzusetzen. In dieser Zeit sollte die Neuverschuldung für diese Länder nicht zu teuer sein. Nun aber sind einige Jahre vergangen und etwa in Italien ist das jüngste Reformvorhaben zusammen mit dem gerade zurückgetretenen Premier Matteo Renzi gescheitert. Dabei brauchen wir die Vereinigten Staaten von Europa als Fernziel , sagt Sinn. Sinnvoll wäre aus seiner Sicht eine gemeinsame Armee. Zugleich dürfe die Währungsunion nicht zum Gefängnis werden, aus dem es kein Entkommen gebe. Gläubiger dürften vor staatlichen Konkursen nicht für immer geschützt sein. Wir brauchen eine atmende Währungsunion , sagt er. Zeitweise Austritte müssten möglich sein, sagt er mit Blick auf Griechenland. Ohnehin sehe es derzeit beim Zusammenhalt in der EU nicht gut aus. Doch Sinn wäre nicht Sinn, wenn er nicht eine ganze Reihe von Vorschlägen hätte, wie die Probleme zu lösen sind. Die soziale Inklusion von EU-Ausländern etwa hält er in Teilen für ein Problem: Nur solche Sozialleistungen sollen aus seiner Sicht für diese Gruppe zugänglich sein, die erarbeitet wurden wie etwa Rente oder Arbeitslosengeld. Leistungen, die Deutsche qua Geburt erhalten, gehören seiner Meinung nach davon ausgenommen. Für Italien hat er den Hinweis parat, dass große Teile der politischen Klasse noch immer nicht verstanden hätten, dass das Land seit Jahren über seine Verhältnisse lebe. Die EZB mit ihrem billigen Geld sorge letztlich nur dafür, dass Probleme weiter verschleppt würden. Der Patient braucht eine Operation. Stattdessen bekommt er Valium , sagt der Ökonom mit Blick auf das südeuropäische Land. Zudem schiebt er eine Schelte für die Politikergeneration Helmut Kohls nach: Hätte man sich an die Maastricht-Kriterien gehalten, wäre Italien wegen zu hoher Schulden nie Mitglied der Euro-Zone geworden. Natürlich sei es müßig, das jetzt zu betonen, man müsse schließlich mit der Situation umgehen, wie sie nun einmal beschaffen sei. Davon, Großbritannien im Zuge des geplanten Austritts aus der EU möglichst hart anzufassen, hält Sinn wenig, wie er sagt. Verstehen wir die EU als Zwangsunion? Dann müssen wir die Briten bestrafen. Verstehen wir sie aber als mündigen Zusammenschluss zum gegenseitigen Vorteil, dann ist das nicht nötig. Die Sowjetunion sei am Ende trotz Drohungen zerfallen. Das Beispiel ist weit hergeholt immerhin ist die Sowjetunion von Beginn an auch mit Waffengewalt zusammengehalten worden und am Ende nirgendwo wirtschaftlich prosperiert doch jeder kann mit den Begriffen etwas anfangen. Hier dürfte Sinn die Sichtweise vieler Bürger treffen. Ablehnung von TTIP wäre ein Riesenfehler Wenig populär ist allerdings seine Sichtweise auf Freihandelsabkommen wie TTIP: Natürlich gibt es immer Verlierer bei solchen Abkommen. Dennoch sei die Mehrheit auf dem Holzweg, wenn sie Freihandel für schlecht halte. Normalerweise bekommen Verbraucher mehr Auswahl. Nicht zuletzt deshalb wäre eine Ablehnung ein Riesenfehler . Wirklich begründet sei ein Nein vor allem bei nicht wettbewerbsfähigen Unternehmen, etwa aus der Landwirtschaft. Die hätten natürlich kein Interesse daran, den Wettbewerb in ihrem Wirtschaftsbereich durch größere Märkte zu verschärfen. Im Übrigen sei echter Freihandel ein gutes Mittel, um Migration einzudämmen gute Produkte können schließlich überall hergestellt werden. Die Logik dahinter: Man muss den Austausch zulassen, dann gibt es für Menschen aus ärmeren Ländern weniger Gründe, diese zu verlassen und ihr Glück in Europa oder Nordamerika zu suchen. Die angehenden Wirtschaftswissenschaftler und ihre Ausbilder fordert Sinn nicht zuletzt deshalb auf, Praxis und Politik stärker in die Ausbildung einfließen zu lassen. Nehme die Ökonomik diese Kritik auf, dann könne sie die meisten wirtschaftlichen Probleme unserer Tage bestens erklären.