Liebe FAZ Redaktion!
Mit großem Vergnügen habe ich den Beitrag von Waltraud Schelkle in der FAZ vom 10. Oktober 2018 zu Hans-Werner Sinn mit dem Titel “Ökonom als Lehrmeister aller” gelesen. Eine schöne sachliche Bewertung des Lebenswerkes von Hans-Werner Sinn, ohne jeden Neid, ohne Ironie und ohne Süffisanz, ohne Überheblichkeit, ohne beleidigend zu sein, sondern eine durchdachte und ausgewogene Darstellung: wer kann das schon? Frau Schelkle jedenfalls ganz offenbar nicht. Abgedruckt wird es trotzdem. Ist freie Meinungsäußerung nicht wunderschön? Das vergnügt in der Tat.
Darf ich dennoch, aber vielleicht wenigstens in einem sachlichen Punkt deutlich widersprechen? Hans Werner Sinn ist ja insbesondere in den letzten Jahren aufgrund seiner Analyse der Target-Salden bekannt geworden. Dazu schreibt Frau Schelkle nun: “…leider haben die vielen internationalen Fachleute, die sich plötzlich für Target-Salden interessierten, Sinns Deutungen unmissverständlich zurückgewiesen.” Da mag sich nun doch ein sehr falscher Eindruck auf den Leser aufdrängen. Beispielsweise hat Italien derzeit ein Target-Defizit von 400 Milliarden Euro. Würde Italien z.B. aus der Euro-Zone aussteigen (was ja von einigen prominenten italienischen Politikern immer wieder ernsthaft diskutiert wird), so würde dann eine 400 Milliarden Forderung an Italien entstehen, über die dann international sicherlich einiger Streit entstünde, und der eben ohne dieses Target-Defizit nicht vorhanden wäre. Und ohne die unermüdlichen Bemühungen von Hans-Werner Sinn auf diese Target-Salden hinzuweisen, wäre das sehr wahrscheinlich unser aller Aufmerksamkeit entgangen. Man mag einwenden, dass zwar Griechenland nahe am Euro-Austritt war, aber dass ein solches Szenario für Italien eher unwahrscheinlich ist, und dass dann ohnehin noch ganz andere Probleme auftreten würden. Aber 400 Milliarden geflissentlich ignorieren? Will Frau Schelkle so argumentieren? Das fände ich jetzt doch aber wirklich spannend.
Man muss ja nicht jede Aussage von Hans-Werner Sinn unterschreiben, und sicherlich hat es viel Diskussion und auch Widerspruch in den Details gegeben - sicher. Hans Werner Sinn rüttelt gerne wach, und manch einer mag sich da zu sehr gerüttelt fühlen. Aber ich bin froh und finde es wichtig, dass die meisten von uns dabei wach geworden sind. Ich gönne es aber Frau Schelkle von Herzen, hier erst einmal noch seelenruhig weiter zu schlafen. Vielleicht kann sie dabei weiterhin die vielen Bäume zählen, anstatt den Wald zu sehen.