Für Deutschland wäre der Brexit ein Unglück

 

Ausschnitt Vortrag von Hans-Werner Sinn auf dem Forum Automobillogistik von VDA und BVL (Audio und Manuskript)

Der Ökonom und frühere Ifo-Präsident warnte beim „Forum Automobillogistik“ von VDA und BVL in München ausdrücklich vor einem harten Brexit

Europa mitten im Brexit-Chaos, die unberechenbare Handels- und Außenpolitik von US-Präsident Donald Trump, der Handelsstreit der USA mit China - die Weltwirtschaft hat schon ruhigere Zeiten erlebt. Aber wie genau werden sich diese Unsicherheiten auf die internationalen Märkte auswirken? Was kommt auf Deutschland als große Exportnation zu? Und welche Auswirkungen hat das alles auf Deutschlands Schlüsselindustrie, die Automobilindustrie? Darüber referierte gestern (06.02.19) der Ökonom Hans-Werner Sinn in München. Der frühere Ifo-Präsident war als Gastredner auf dem, vom Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Bundesvereinigung Logistik (BVL) organisierten, „Forum Automobillogistik“ geladen. Insbesondere der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU bereiten dem Ökonomen große Sorgen:

„Der Brexit ist ganz fürchterlich. Nicht nur für die Briten, die da, glaube ich, einen großen Fehler gemacht haben, sondern auch für die Europäer, weil die Nachkriegsordnung zerstört wird. Wenn die Briten draußen sind, kriegen wir ein ganz anderes politisches Regime, wo das politische Gleichgewicht in Richtung Protektionismus kippt. Dann kann man sagen: 'Das ist ja schön, wir schützen uns gegen ausländische Konkurrenz'. Aber dann machen die Ausländer das auch und dann bricht der Handel sukzessive zusammen. Wir reden hier nicht über drei, vier Jahre, sondern über dreißig, vierzig Jahre. Wir müssen also das nächste halbe Jahrhundert im Hinblick haben auf das, was das politisch bedeutet, wenn die Briten draußen sind, im Blick haben.“

Für die deutsche Automobilindustrie könnte der Brexit gravierende Folgen mit sich bringen. Nach dem sehr erfolgreichen Jahr 2018, mit weltweit 16,5 Millionen produzierten Pkw der deutschen Hersteller, könnte nach aktuellem Stand 2019 sogar die 17-Millionen-Marke geknackt werden. Doch dazu müssen sämtliche Rahmenbedingungen stimmen. Ein ungeordneter Brexit, so Hans-Werner Sinn, kann das Gefüge aus dem Ruder laufen lassen. In erster Linie dürfte aber Großbritannien selbst unter den Folgen eines No-Deals leiden: So rechnet die Bank von England mit einem Wertverlust des britischen Pfundes von 25 Prozent bei einem Brexit ohne Abkommen. Und auch die britische Exportwirtschaft würde nach aktuellen Einschätzungen im ersten Jahr Ausfuhren im Wert von 30 Milliarden Pfund verlieren. Die Briten haben sich mit ihrer Entscheidung gegen Europa also ein klassisches Eigentor geschossen, davon ist Hans-Werner Sinn überzeugt:

„Die Briten haben sich in eine Zwickmühle hinein manövriert, aus der sie gar nicht herauskommen, außer sie blasen die ganze Sache ab. Sie haben einen Gedankenfehler gemacht, weil sie das Nordirland-Problem unterschätzt haben. Es gibt keine Lösung. Die EU war für die Briten eine glorreiche Erfindung und das dämmert zunehmend immer mehr Leuten. Ich glaube wir sollten uns flexibel zeigen. Aber nicht in dem Sinne, wie Frau Merkel das sagt, indem wir den Briten ein Angebot machen, dass sie leichter rausgehen und dieses blöde Abkommen unterschreiben, sondern ganz im Gegenteil, indem sie drin bleiben.“

Für die EU ist der Brexit schon deshalb eine Katastrophe, weil Großbritannien mit einem Netto-Beitrag von 11,5 Milliarden hinter Deutschland auf Platz Zwei liegt. Es handelt sich nicht um den Austritt irgendeines EU-Landes, den man hinnehmen kann, um danach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Es geht vielmehr um die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU. Die Wirtschaftskraft des Vereinigten Königreichs ist genauso groß wie die der 19 kleinsten EU-Länder zusammengenommen. Es ist, als würden nun 19 von 28 Ländern gleichzeitig austreten. Und gerade für Deutschland wäre der Brexit verheerend, sagte Hans-Werner Sinn. Großbritannien ist Deutschlands drittgrößter Exportmarkt - gerade vor diesem Hintergrund könne es eigentlich nur ein Ziel für Angela Merkel gebe: Das Lager der „Remainer“ in Großbritannien unterstützen:

„Ich hoffe, dass die Vernunft obsiegt und es zum Schluss noch einen Weg zum zweiten Referendum gibt. Dieser Weg würde mit einer Verschiebung des Termins einhergehen. Nun will ich die Hoffnung nicht mit der Prognose verwechseln, das tut man leicht, da muss man sich vor schützen. Vielleicht wird es dann doch noch zum Brexit kommen. Für Deutschland wäre das ein Unglück. Wir sollten alles tun, was wir können, um die Briten doch noch drin zu halten, aus eigenem Interesse, um die EU weltoffen zu halten und um unsere Exportindustrien zu schützen.“

Material zur Verfügung gestellt von VDA und all4radio