Ökonom Hans-Werner Sinn hat etwas mit der "Fridays for Future"-Bewegung gemeinsam: Er hält die Klimapolitik der Bundesregierung für verfehlt.
Hätte das Publikum in der großen Aula der Ludwigs-Maximilians-Universität aus Aktivisten von "Fridays for Future" bestanden, der Applaus wäre wohl verhaltener ausgefallen. Und das, obwohl der ehemalige Vorsitzende des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, in wesentlichen Punkten mit Vertretern der Protestbewegung übereinstimmt: Sinn hält den Klimawandel für ein drängendes Problem und kritisiert die Klimapolitik der Bundesregierung scharf. An diesem Punkt jedoch enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Sinn glaubt nicht, dass es helfen wird, noch schneller auf erneuerbare Energien umzusteigen oder mehr E-Autos auf den Markt zu bringen. Im Gegenteil: Der Ökonom hält die Energiesparpolitik sogar für klimaschädlich, wie er bei der Vortragsreihe "Münchner Seminare" sagt, die das Ifo-Institut und die Süddeutsche Zeitung veranstalten. Den Grund dafür sieht Sinn im "grünen Paradoxon" - ein Zusammenhang, den er bereits 2008 in seinem gleichnamigen Buch beschrieb. Gemeint ist, dass der Versuch, Treibhausgase einzusparen, dazu führen kann, dass sogar mehr ausgestoßen werden. Öl werde einfach woandershin geliefert und dort verbrannt - und zwar zu geringeren Preisen, weil dann weniger Menschen den Rohstoff nachfragten. "Wir subventionieren mit unseren Einsparungen amerikanische SUVs", sagt Sinn provokant.
Solange die Erdöl fördernden Länder nicht weniger davon aus der Erde holten, werde sich an der verbrauchten Menge auf der Welt nichts ändern. Und mehr noch: Dadurch, dass Länder wie Deutschland signalisierten, dass sie irgendwann gar kein Öl mehr verbrauchen wollten, ermutigten sie die Erdölexporteure, noch mehr und schneller zu fördern. Schließlich würden sie befürchten, dass sie in Zukunft gar nichts mehr von ihren Ölvorkommen verkaufen können - und deshalb so viel wie möglich schon heute fördern.
Den Umstieg auf erneuerbare Energien sieht Sinn gleich aus mehreren Gründen kritisch: In Deutschland bei der Stromgewinnung CO2 zu reduzieren sei sinnlos, weil durch den europäischen Emissionshandel eingesparte Verschmutzungsrechte ins Ausland verkauft und dort verbraucht würden. Die EEG-Umlage, mit der die Politik den Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert, hält Sinn daher für nutzlos und teuer.
Ein weiterer Faktor: Strom aus Windkraft und Solarenergie steht nicht durchgängig zur Verfügung, sondern nur, wenn der Wind bläst und/oder die Sonne scheint. Bisher springt Strom aus konventionellen Quellen wie Kohle und Atomkraft ein, wenn die Windräder stillstehen. Verzichte das Land auf beide Energiequellen, könne es zu Versorgungsengpässen kommen - auch weil es nicht möglich sei, derart große Stromreserven zu speichern, sagt Sinn. Und auch das E-Auto ist nur so umweltfreundlich wie der Strom, mit dem es fährt. Beim aktuellen Strommix müsse ein E-Auto erst lange gefahren werden, bevor es die energiereiche Herstellung der Batterie wettmache.
Was kann also stattdessen gegen den Klimawandel getan werden? Sinn fordert, über den Wiedereinstieg in die Atomkraft nachzudenken: "Wir fahren ja heute auch noch mit Passagierschiffen, obwohl die Titanic untergegangen ist." Die Technologie habe deutliche Fortschritte gemacht und sei unverzichtbar, wenn Deutschland die selbst gesteckten Klimaziele tatsächlich erreichen wolle. Außerdem sollten Wälder aufgeforstet, CO2 eingelagert und die Ölförderung mit Hilfe von Steuern gedrosselt werden. Das beste Instrument sieht Sinn in einem globalen Emissionshandel, entsprechend dem europäischen Vorbild. Damit ließe sich verhindern, dass einzelne Staaten Trittbrett führen. Allerdings sei auch diese Lösung mit einem geringeren Lebensstandard verbunden, sagt Sinn, eine Idee, mit der auch Anhänger von "Fridays For Future" werben.
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