Müttern helfen

Die größte Gerechtigkeitslücke in Deutschland sehe ich bei den Müttern. Die Mutter wird von der Gesellschaft, die sich immer mehr von den traditionellen Werten der Familie entfernt, links liegen gelassen. Wenn wir ehrlich sind, bedeutet die Emanzipation der Frau vielfach leider auch die Emanzipation von der Mutterrolle.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Die Zeit, 10.03.2011, Nr. 11, S. 30

Junge Frauen vermeiden es, Kinder zu haben, bevor sie eine Dauerstelle ergattert haben. Und auch dann noch zögern sie, denn sie wissen, dass sie mit Kindern den Weg in die Arbeitswelt nur schwer wieder zurückfinden. Die Karriere ist häufig kaputt. Das liegt bisweilen an institutionellen Regeln, meistens hat es seine Ursache aber in den knochenharten Wettbewerbsbedingungen der Arbeitswelt.

Frauen werden auch in der Rentenversicherung massiv diskriminiert, denn wenn sie ihre Berufsarbeit wegen der Kinder unterbrechen, können sie keine Rentenpunkte erwerben. Das ist insofern ungerecht, als sie mit den Kindern überhaupt erst einmal die Voraussetzungen dafür schaffen, dass später Renten gezahlt werden können. Die Benachteiligung ist zwar etwas reduziert worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber im Jahr 1992 mit seinem Mütterrentenurteil zu einer Änderung der Rentenformel zwang. Aber die minimalen Verbesserungen, die daraufhin zustande kamen, sind geradezu lächerlich. Während ein Kind, das einen durchschnittlichen Berufsweg absolviert, für die Gesellschaft allein schon im Rentensystem einen Wohlstandsgewinn erzeugt, dessen Wert in der Größenordnung von 140 000 Euro liegt, werden der Mutter auch unter günstigsten Bedingungen kaum mehr als 11 000 Euro an zusätzlichen Rentenansprüchen gewährt.

Gut, die Nachteile können ja in Zukunft bei den Vätern anfallen, wenn sie statt der Mütter zuhause bleiben. Aber, welchen Sinn sollte es machen, die Diskriminierung der Mütter durch eine Diskriminierung der Väter neutralisieren zu wollen? Im Übrigen wird es noch sehr lange dauern, bis es so weit ist.

Vorher wird sich das neue deutsche Gesellschaftsmodell von ganz allein erledigt haben. Mit nur 8,3 Neugeborenen pro 1000 Einwohner lag Deutschland zuletzt in der Geburtenstatistik der OECD auf dem allerletzten Platz. Kein westliches Volk schrumpft derzeit so schnell wie das deutsche. Das statistische Artefakt der »Geburtenrate pro Frau«, das uns nicht ganz am Ende der Statistik zeigt, kann darüber nicht hinwegtäuschen. Wenn wir so weitermachen, wird es uns gehen wie den Shakers, der amerikanischen Glaubensrichtung, die sich im achtzehnten Jahrhundert der Kinderlosigkeit verschrieben hat und die heute keiner mehr kennt.

Wenn wir die Diskriminierung der Mütter beenden wollen, müssen wir ganz andere Dinge tun, als eine allgemeine Frauenquote einzuführen. Wir müssen Regeln finden, die den Müttern auch nach einer längeren Kinderpause den bevorzugten Wiedereinstieg in das Berufsleben ermöglichen. Flexible, elterngerechte Arbeitszeiten, berufliche Reintegrationsmaßnahmen und Telearbeit sind das Minimum, das die Betriebe den Müttern bieten sollten.

Nützlich wäre auch die Bereitstellung von Kindergartenplätzen in den Betrieben. Auf jeden Fall sollten wir den Müttern, und gegebenenfalls natürlich auch den Vätern, angemessene Rentenpunkte für die Jahre gewähren, während derer sie sich um ihre Kinder kümmern. Außerdem sollten wir das Kindersplitting nach französischem Muster einführen, damit Familien mit gleicher Leistungsfähigkeit pro Kopf auch die gleichen Steuersätze tragen.

Vor allem aber muss die Gesellschaft ihr Emanzipationsmodell überarbeiten und den Müttern die Wertschätzung zukommen lassen, die ihnen gebührt.