Hans-Werner Sinn hat in Münster Volkswirtschaftslehre studiert und verbrachte seine Assistentenzeit mit Promotion und Habilitation in Mannheim. Er war Schüler der Finanzwissenschaftler Herbert Timm und Hans-Heinrich Nachtkamp.
Sinn ist gebürtiger Ostwestfale. Er war von 1971 bis zu ihrem Tode im Jahr 2023 mit Gerlinde Sinn verheiratet, hat drei Kinder und eine Reihe von Enkeln. Er wohnt in Gauting bei München, wo er seit 1984 Ordinarius, und ab 2016 Emeritus in der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU München ist. Seit 2017 ist er ständiger Gastprofessor an der Universität Luzern, und zum Jahreswechsel 2019/2020 übernahm er die Leitung des ordnungspolitischen Ausschusses des Wirtschaftsrates Bayern.
Sinn lehrte zwei Jahre an der Universität von Western Ontario und wurde 1984 Ordinarius an der LMU München. Als Gast forschte er während seiner Freisemester auch an den Universitäten Bergen, Stanford, Princeton, Calgary, Boston und Jerusalem sowie an der London School of Economics. Seit 1988 ist Sinn Honorarprofessor an der Universität Wien. Er erhielt Ehrendoktorwürden der Universitäten Magdeburg, Helsinki, Prag und Leipzig sowie eine Vielzahl auch internationaler Preise und Auszeichnungen.
Im Jahr 1991 gründete Sinn das Center for Economic Studies an der LMU, das mit seinen internationalen Besuchern Anfang der neunziger Jahre die Basis des Münchner Graduiertenprogramms wurde. Von 1999 bis 2016 war er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Sinn hat das ifo zu einem Institut „an der Universität München“ gemacht und mit dem Center for Economic Studies zur CESifo GmbH verbunden. Das CESifo-Forschernetzwerk, das mit dieser Verbindung entstand, ist im Bereich der Ökonomie eines der größten der Welt.
Von 1997 bis 2000 war Sinn Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, des Fachverbandes der deutschsprachigen Ökonomen, und von 2006 bis 2009 Präsident des IIPF, des Weltverbandes der Finanzwissenschaftler. In beiden Institutionen hat er wichtige Reformen angestoßen, so unter anderem zwei wissenschaftliche Fachzeitschriften gegründet.
Sinn ist einer der wenigen deutschsprachigen Fellows des National Bureau of Economic Research in Cambridge, USA, und hielt als bisher einziger deutschsprachiger Ökonom die Yrjö Jahnsson Lectures in Helsinki und als erster deutscher Ökonom die Tinbergen Lectures in Amsterdam.
Sein wissenschaftliches Oeuvre umfasst 13 umfangreiche Monographien mit 41 Ausgaben in 9 Sprachen, 19 kleinere Monographien und über 140 wissenschaftliche Aufsätze. Im internationalen RePEc-Ranking, das im Wesentlichen auf wissenschaftlichen Zitierungen basiert, belegte er in den letzten Jahren seiner Amtszeit und auch noch darüber hinaus den ersten Platz unter den an deutschen Institutionen arbeitenden Ökonomen. Gemessen an der Zahl der internationalen Zitierungen pro Autor war er nach einer Studie von Ursprung und Zimmer aus dem Jahr 2007 unter den deutschen Ökonomen die Nummer Zwei hinter Nobelpreisträger Reinhard Selten.
Sinn arbeitet aber nicht nur als Wissenschaftler. Mit seiner ifo-Präsidentschaft hat sich sein Oevre um viele Hunderte von Zeitungsartikeln, Interviews und Fernsehsendungen erweitert. Die ifo-Präsidentschaft begriff Sinn – nach seinen „Sturm- und Drangjahren“ in nun schon gesetztem Alter – als Aufgabe, das ökonomische Fachwissen einer breiteren Öffentlichkeit verständlich zu machen und auf praktische Politikfragen anzuwenden. Über mehrere Jahre, so zuletzt noch im Jahr 2019, war Sinn nach einer Umfrage der FAZ unter deutschen Politikern der Ökonom, dem sie das größte Vertrauen entgegen brachten.
Der Öffentlichkeit wurde Sinn erstmals durch das gemeinsam mit seiner Frau verfasste Buch „Kaltstart“ bekannt, in dem die Fehler der deutschen Vereinigungspolitik schon 1991 schonungslos offen gelegt wurden. In neuerer Zeit haben seine Arbeiten zum deutschen Sozialstaat, hier insbesondere sein weit über hunderttausend Mal verkaufter Bestseller „Ist Deutschland noch zu retten?“, Furore gemacht.
Allein seit dem Jahr 2008 hat Sinn sechs größere Monographien verfasst. Sein Buch “The New Systems Competition”, das im Jahr 2003 bei Basil Blackwell herauskam, analysiert die problematischen Auswirkungen eines Systemwettbewerbs um mobiles Kapital und um mobile Menschen. Seine These ist, dass die Marktfehler, die die staatliche Intervention innerhalb eines Landes begründen, auf der Ebene des staatlichen Wettbewerbs in einer globalisierten Welt von neuem auftreten können.
Mit seinem Buch „Das Grüne Paradoxon“ hat Sinn einen angebotsseitigen Politikansatz entwickelt, der auf die vorhandenen Bestände an fossilem Kohlenstoff in der Erdkruste abstellt und Einfluss auf die Publikationen des IPCC nahm.
Das Buch „Kasino-Kapitalismus“, das bereits 2009 herauskam, war das erste wissenschaftliche Buch zur großen Finanzkrise. Es erläuterte, warum Banken quasi Glücksspiele spielen, und wurde vom Handelsblatt zu einem der weltweit und in historischer Perspektive 50 wichtigsten Wirtschaftsbücher überhaupt erklärt.
Mit dem Buch „Die Target-Falle“ fasste er seine Entdeckung der Target-Salden als Maß für die Überziehungskredite im Eurosystem zusammen und machte ein sperriges theoretisches Thema allgemein verständlich. Für seine diesbezüglichen Forschungen wurde er von der britischen Zeitschrift The Independent zu einem der zehn weltweit wichtigsten Menschen des Jahres 2010 erkoren und von Bloomberg im Jahr 2012 als einziger Deutscher in der Liste der weltweit wichtigsten Persönlichkeiten aus der Wirtschaft gerechnet.
Mit dem Buch “The Euro. On Bursting Bubbles, Budgets and Beliefs“ schrieb er nach Meinung von Kenneth Rogoff das „vielleicht wichtigste Buch zur Finanzkrise in mindestens einer Dekade“. Und mit dem Buch „Der Schwarze Juni“ legte er bereits zur Buchmesse des Jahres 2016 eine tiefgehende Analyse der ökonomischen Implikationen des Brexit vor und diskutierte zugleich die Implikationen der ebenfalls in den Juni 2016 fallenden Entscheidung des deutschen Verfassungsgerichts zum OMT-Programm der EZB, das nach seiner Meinung einer Umwandlung der Staatspapiere in Eurobonds gleichkommt. Im Jahr 2018, zu seinem 70. Geburtstag, veröffentlichte er unter dem Titel „Auf der Suche nach der Wahrheit“ bei Herder seine Memoiren.
Sinns Forscherkarriere begann weit vor diesen Publikationen. Nach einem allerersten Aufsatz über das Marxsche Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, der in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft erschien, hat sich Sinn in seinen frühen Jahren vor allem mit der ökonomischen Risikotheorie beschäftigt. Einen Namen hat er sich mit seiner Dissertation zum Thema der ökonomischen Entscheidungen bei Ungewissheit sowie einer Reihe sich daran anschließender Aufsätze gemacht. Die Herleitung des Prinzip des unzureichenden Grundes aus den Axiomen der Erwartungsnutzentheorie, die Rehabilitation des μ,σ-Ansatzes für lineare Verteilungsklassen, die Begründung des Risikos als eines Produktionsfaktors oder auch die experimentelle Begründung des Prinzips der relativen Risikoaversion gehören zu den hervorzuhebenden Arbeiten. Er war mit seiner Dissertation der erste, der eine theoretische Begründung der übermäßigen Risikoneigung von Entscheidungsträgern aufgrund von natürlichen oder gesetzlichen Haftungsbeschränkungen lieferte, eine Theorie, die erst viel später unter dem Begriff „Gamble for Resurrection“ in der internationalen Fachliteratur neu entdeckt wurde. Seine Theorie nutzte er im Jahr 2003, um ein Modell der übermäßigen Risikovorliebe der Banken aufgrund eines minimalen Eigenkapitaleinsatzes zu entwickeln, bei dem er die Theorie eines schädlichen Wettbewerbs der Bankenregulierer entwickelte.
Obwohl er tief in diese Themen einstieg, war Sinn immer auch bei seiner theoretischen Forschung ein Generalist, der zwischen den Teilgebieten der Volkswirtschaftslehre hin- und herwanderte. Zu den Gebieten, auf denen er wissenschaftlich publiziert hat, gehören die neo-keynesianische Theorie des allgemeinen Ungleichgewichts, die monetäre Außenhandelstheorie, die Umweltökonomie, die Theorie der erschöpfbaren natürlichen Ressourcen, die Sozialpolitik und vor allem die Theorie Besteuerung, die den Schwerpunkt seiner Habilitationsschrift bildete.
Ein besonderer Schwerpunkt lag in vielen seiner Arbeiten in der intertemporalen Allokation ökonomischer Ressourcen und den Möglichkeiten, diese Allokation durch Politikmaßnahmen zu beeinflussen. So war er 1979 mit einer Arbeit, die bei der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik vorgetragen und ein Jahr später im Tagungsband veröffentlicht wurde, der erste Ökonom, dem es gelungen war, ein allgemeines intertemporales Gleichgewichtsmodell des wirtschaftlichen Wachstums mit dezentral agierenden Akteuren zu formulieren, das den Hauptsätzen der Wohlfahrtstheorie genügt. Er verwendete dieses Modell als Basis für seine Theorie der intertemporalen und intersektoralen Wirkungen der Kapitaleinkommensbesteuerung.
Sinn trat zum 31. März 2016 in den Ruhestand, beteiligt sich aber nach wie vor intensiv am öffentlichen Diskurs.
Text verfasst von Annette Marquardt.