Kein Erpressungspotenzial

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt, 12.09.2011, Nr. 176, S. 11

Die Berechnungen der staatlichen KfW zugunsten des Euros stimmen vorne und hinten nicht.

Hans-Werner Sinn Stark und Weber sind zurückgetreten, weil die EZB Deutschland gewaltige Vermögensrisiken aufbürdet, die die offiziellen Rettungspakete in den Schatten stellen. Der Club Med, der im Rat das Sagen hat, missbraucht die Bank für eine Kreditpolitik, die mit Geldpolitik im engeren Sinn nichts mehr zu tun hat und ihr Mandat überschreitet. Die Bundesrepublik kann sich das nicht länger bieten lassen. Sie sollte eine Neuverhandlung der Maastrichter Verträge verlangen.

Die EZB hat nicht nur für 130 Milliarden Euro Staatspapiere gekauft, was Bundespräsident Wulf als Umgehungstatbestand gegeißelt hat. Sie hat die Bundesbank zudem gezwungen, für weit mehr als 300 Milliarden Euro Target-Kredite an die Geschäftsbanken der GIPS-Länder statt an die deutschen Geschäftsbanken zu geben. Das hat Ex-Bundesbank-Präsident Schlesinger letzte Woche angeprangert. Das Maß ist voll.

Aber kann sich Deutschland überhaupt noch wehren? Ist es nicht erpressbar, weil es bei einem Austritt den größten Schaden hätte?

Dieser Meinung ist offenbar die KfW. Die Staatsbank hat dazu gerade eine Rechnung veröffentlicht, nach der Deutschland bei einer Rückkehr zur D-Mark wegen steigender Zinsen und eines steigenden Wechselkurses heute ein um etwa 50 Milliarden kleineres BIP hätte. So sehr ich noch immer für den Euro bin: Diese Rechnung stimmt hinten und vorne nicht.

Zunächst einmal ist es ja kein Nachteil für ein Land, sondern ein Vorteil, wenn der Zinssatz an seine Verhältnisse angepasst wird, statt den Erfordernissen einer Einheitswährung genügen zu müssen. Die Vorstellung, dass die Bundesbank einen für Deutschland schlechteren Zins gewählt hätte, als es die EZB tat, die alle Länder in den Blick nehmen musste, ist abwegig.

Wichtiger ist da schon das Wechselkursargument. In der Tat stünde die D-Mark heute unter Aufwertungsdruck, wenn Deutschland austräte, und das wäre sicherlich nicht gut für die Exporte. Die Schätzung der KfW, dass es zu einem Aufwertungseffekt von 15 Prozent kommen könnte, wenn der Wechselkurs freigegeben wird, ist nachvollziehbar. Dennoch eignet sich auch dieses Argument nicht als Drohkulisse.

Zum einen hätte nämlich eine Aufwertung nicht nur negative Auswirkungen für Deutschland. Positiv wäre, dass Industrie und Verbraucher importierte Vorprodukte und Konsumgüter billiger erwerben können. Der Terms-of-Trade-Gewinn einer Aufwertung von 15 Prozent liegt angesichts der deutschen Importquote von gut 40 Prozent bei sechs Prozent des BIP oder etwa 150 Milliarden Euro. Das ist das Dreifache der von der KfW berechneten Zahl.

Zum anderen bedeutet ja der Austritt nicht, dass man den Wechselkurs freigeben muss. Die Bundesbank könnte eine Aufwertung bei Bedarf jederzeit abblocken, ähnlich wie es jetzt die Schweizer Nationalbank tut. Dazu bräuchte sie nur die hereinströmenden Devisen gegen D-Mark einzutauschen. Wenn sie sich die benötigten D-Mark-Bestände besorgen würde, indem sie die Kreditvergabe an die deutschen Banken verringert oder selbst Kredite aufnimmt, gäbe es auch keinerlei Inflationsgefahren.

Die Bundesbank wäre dann in einer ähnlichen Situation wie heute ohnehin schon. Seit 2008 verwandelt sie die in den GIPS-Ländern im Übermaß gedruckten Euros, mit denen diese Länder ihre Importrechnung bezahlen und dem Fluchtkapital den Weg nach Deutschland ebnen, beim Eintritt in die deutsche Bankenwelt in deutsche Euros. Die so geschaffenen "Außen-Euros" verdrängen die "Binnen-Euros", die die Bundesbank an die deutschen Banken verliehen hat, und zum Ausgleich erhält die Bundesbank eine Forderung gegen das EZB-System. In den letzten drei Jahren fand auf diese Weise ein gewaltiger Kapitalexport von der Bundesrepublik Deutschland in die anderen Euro-Länder im Umfang von etwa 350 Milliarden Euro statt: 60 Prozent des gesamten deutschen Kapitalexports. Das ist der Vorgang, auf den Schlesinger sich bezog.

Der Zinssatz für die Forderungen, die die Bundesbank auf diese Weise gegen das EZB-System erwarb, deckt freilich noch nicht einmal die Inflationsrate ab, und ob die Forderungen jemals einzutreiben sind, steht in den Sternen. Würde die Bundesbank nach einem Zusammenbruch des Währungssystems offen intervenieren, um die D-Mark zu stützen, stünde sie viel besser da, denn sie hätte die Möglichkeit, die hereinkommenden Devisen im Rest Europas in marktgängigen Wertpapieren anzulegen und damit genau das zu tun, was die Notenbank der Schweiz angekündigt hat.

Also: Nicht Bange machen lassen! Deutschland kann und muss den Widerstand wagen.

Der Autor ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung.
Sinn, Hans-Werner