ZU GAST IM BAYERNKURIER: HANS-WERNER SINN
Als Präsident des Münchner ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Ordinarius für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft hat Hans-Werner Sinn einen weithin bekannten Namen. Ifo gehört zu den führenden Wirtschaftsinstituten, die mit ihrem Gemeinschaftsgutachten Konjunkturprognosen abgeben und damit die Planungen der Unternehmen maßgebend mitbeeinflussen. |
Prof. Dr. Dr. h.c. HANS-WERNER SINN
Bayern gehörte in den letzten drei Jahrzehnten zu den wachstumsstärksten Bundesländern, und dieser Trend ist noch immer nicht gebrochen. Auch in den letzten drei Jahren erreichte der Freistaat jeweils die höchste Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts unter allen 16 Bundesländern. Bayern hatte 1999 die niedrigste Arbeitslosenquote unter allen Bundesländern und ein Sozialprodukt je Kopf, das um gut sechs Prozent über dem westdeutschen bzw. um vierzehn Prozent über dem gesamtdeutschen Durchschnitt lag.
Die bayerische Wirtschaft war seit der industriellen Revolution ein Nachzügler im Industrialisierungsprozeß, nach Sachsen und Thüringen, dem Ruhrgebiet und Baden-Württemberg. Noch in der Nachkriegszeit lag sie weit zurück. Doch gelang es, ausgehend von einer weitgehend agrarischen Wirtschaft, die frühen Entwicklungsphasen anderer Länder zu überspringen und einen modernen industriellen Kapitalstock aufzubauen.
Heute gehört die bayerische Automobilindustrie zur produktivsten der Welt, der bayerische Mittelstand erobert mit einer reichhaltigen Palette von Spezialprodukten die europäischen Märkte, und am Isarstrand hat sich ein neues Silicon Valley gebildet, in dem Produkte mit Weltgeltung entstehen. Die Entwicklung der bayerischen Wirtschaft ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte, wie sie in der Geschichte sonst nur selten zu beobachten ist.
Die Ursachen für den beachtlichen Aufholprozess der bayerischen Wirtschaft, der etwa Mitte der siebziger Jahr einsetzte, sind vielschichtig. Es sind günstige Umstände, die mitgeholfen haben, und es sind politische Weichenstellungen, die bewusst getroffen wurden.
Zu den günstigen Umständen gehört die Drehung der wirtschaftlichen Aktivitätsachse von West-Ost nach Nord-Süd, die sich zum einen als Folge der deutschen Teilung ergab, zum anderen aber zunehmend in der Europäischen Gemeinschaft und der sich intensivierenden Verbindung mit dem wachsenden österreichischen und norditalienischen Wirtschaftsraum begründet ist. Obwohl die deutsche Vereinigung die alte West-Ost-Achse derzeit wieder reanimiert, wird die Integration Tschechiens, Ungarns und Sloweniens einen weiteren Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaftskraft Bayerns leisten. Die Verlagerung kostenintensiver Vorprodukte in diese Länder hilft der bayerischen Wirtschaft, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten zu erhalten.
Unter den politischen Entscheidungen, die die bayerische Entwicklung mit vorangetragen haben, ist an erster Stelle der Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur zu nennen. Die bayerische Wirtschaft hat noch nach dem 2. Weltkrieg die "Revierferne" beklagt, die überdurchschnittlich hohe Energiepreise implizierte. Das hat sich mit dem von politischer Seite forcierten Bau der Ölpipelines und der Kernkraftwerke geändert. Bayern ist von der transportkostenintensiven Kohle unabhängig geworden und verfügt heute genauso über billige Energie wie die anderen deutschen Länder. Wichtig war auch, dass die Erreichbarkeit in der Fläche durch ein dichter werdendes Netz von Autobahnen, Bundes- und' Landstraßen sowie durch neue Flughäfen verbessert wurde. Auch in der Zukunft muss die weitere Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur Priorität haben. Insbesondere im Bereich der Alpen-Transversalen bestehen noch immer erhebliche Defizite, die mit der Hilfe der EU nun endlich beseitigt werden sollten.
Die schlummernden Kräfte des Flächenstaates konnten durch die zügige Entwicklung der staatlichen Infrastruktur aktiviert werden, ohne dass man dazu auf eine Schuldenfinanzierung hätte zurückgreifen müssen. Bayern hat unter allen Bundesländern, ob neu oder alt, die geringste Staatsverschuldung je Kopf der Bevölkerung.
Neben der Entwicklung der Infrastruktur muß auch der bayerische Sonderweg bei der Industriepolitik als entscheidender Teil des Erfolgsrezeptes gewertet werden. Den Empfehlungen mancher liberaler Ökonomen zum Trotz hat die Staatsregierung Industrieansiedlungen stets zu ihrer eigenen Sache gemacht. Man hat sich nicht auf die "Unsichtbare Hand" des Wettbewerbs verlassen, sondern durch aktive Staatsintervention industrielle Kerne geschaffen, um die herum anschließend Zonen stürmischen Wachstums entstanden sind.
Als Beispiele, die im Rahmen dieser Strategie auf den Weg gebracht wurden, sind nicht nur die Zentren für Biomedizin und Biotechnologie in Würzburg, Erlangen, Bayreuth, Freising-Weihenstephan, Straubing, Regensburg und Planegg-Martinsried zu nennen. Auch die Zentren für Informations- und Kommunikationstechnik in Nürnberg, Augsburg und Garching bei München, das Umweltkompetenzzentrum Augsburg sowie der Flughafen München Franz Josef Strauß gehören mit in diese Liste.
Ein Land, das arm an natürlichen Ressourcen ist, muss reich an Humankapital sein, wenn es einen wirtschaftlichen Ausgleich schaffen will. Diesen Grundsatz hat die bayerische Politik stets beachtet, denn die Universitäten und Fachhochschulen in den bayerischen Regionen wurden umfassend gefördert.