TAGUNG DES VEREINS FÜR SOCIALPOLITIK: IST DIE KRITIK AN DEUTSCHEN VOLKSWIRTEN GERECHTFERTIGT?
Deutschland steht im Standortwettbewerb. Der Umbau des alternden Sozialstaates, die Harmonisierung des Steuersystems, die Reform des verkrusteten Arbeitsmarktes und Ähnliches stehen auf der Tagesordnung. Der Handlungsbedarf ist groß, und ebenso groß ist der Bedarf an sachkundiger Beratung durch gut ausgebildete Volkswirte. Die Welt besteht nämlich nicht nur aus Finanzmärkten und deren Analysten.
Der typische Volkswirt ist kein Unternehmens- oder Anlageberater, sondern ein Politikberater, der in der Lage ist, sich zu grundsätzlichen und praktischen Fragen der Wirtschaftspolitik zu äußern. Die Volkswirte waren nie im Elfenbeinturm zu Hause und sind es auch heute nicht. Sie leiten Staaten, Ministerien, Behörden und Forschungsinstitute. Sie beraten Regierungen und stellen die tragenden Kräfte in internationalen Organisationen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds oder der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD).
Völker und Betriebe
Häufig werden sie auch als Betriebswirte engagiert, wenn der Blick für das Ganze erforderlich ist. Aber klar: Da es weniger Völker als Betriebe gibt, werden auch weniger Volks- als Betriebswirte gebraucht.
Es stimmt, dass speziell die internationalen Organisationen händeringend nach deutschen Volkswirten mit angelsächsischen Abschlüssen suchen. Wer jedoch daraus schließt, dass die deutschen Volkswirte hinter dem Mond leben, der weiß nicht, wovon er redet.
Der typische Volkswirt fährt weitaus häufiger auf internationale Konferenzen als seine Kollegen aus den Rechtswissenschaften oder der Betriebswirtschaftslehre. Er publiziert sehr viel mehr in internationalen Zeitschriften und verfügt über deutlich mehr internationale Kontakte.
Wenn es in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg einen Rückstand der deutschen Volkswirtschaftslehre im Vergleich zu anderen Ländern gab, so ist er inzwischen überwunden. Die jungen Fachvertreter schlagen sich mit Bravour auf dem internationalen Parkett und publizieren durchaus erfolgreich in den besten Fachzeitschriften. Dabei sind nicht mehr nur die Assistenten gemeint, sondern auch die jungen Ordinarien, dem Assistentenstatus entwachsen sind und den Fakultäten neuen Glanz gebracht haben. Die Aufbruchstimmung und die Dynamik, die das Fach in den letzten Jahren gekennzeichnet haben, haben sich vielleicht noch nicht überall herumgesprochen, aber sie sind doch bemerkenswert.
Der Verein für Socialpolitik, der traditionsreiche, schon 1872 gegründete Fachverband der Volkswirte, kann sich im Hinblick auf die Qualität der über 200 Fachvorträge, die auf seiner Jahrestagung gehalten werden, inzwischen mit den besten internationalen Konferenzen messen. Der Verein prämiert die Präsentation auf internationalen Tagungen und den Erfolg bei internationalen Veröffentlichungen, er publiziert mit dem "German Economic Review" die drittgrößte Fachzeitschrift Europas, und auf über 20 jährlichen Ausschusstagungen diskutiert er die neuesten Forschungsprobleme.
Die großen Forschungsinstitute wie das IfW, das DIW oder das Ifo bringen sich aktiv und mit Erfolg in die internationale Diskussion ein. Das Münchner CESifo Research Network mit über 300 Forschern ist weltweit eines der größten Forschernetze von Ökonomen und jenes, dessen Publikationen von der SSRN-Homepage, der am meisten frequentierten Internetseite der Profession, am häufigsten heruntergeladen werden.
Nicht nur große Fakultäten wie Bonn, Berlin, Mannheim und München haben sich international Gehör verschaffen können, auch vielen kleinen ist es gelungen, sich auf Spezialgebieten zu profilieren. Frühzeitig haben die VWL-Fakultäten ihr Studienprogramm an internationale Erfordernisse angepasst. Sie haben an den Universitäten Vorreiterrollen bei der Einführung von Credit-Point-Systemen, von Professorenbewertungen durch Studenten sowie von Post-Graduierten-Studiengängen übernommen.
Es ist mittlerweile üblich, dass der junge Volkswirt während des Studiums ein Jahr im Ausland verbringt. Zumindest in München gilt, dass der werdende Professor ein Jahr in den USA unterrichtet haben sollte. Von einem Rückgang der Studentenzahlen kann deshalb in München nicht die Rede sein. Im Gegenteil, nur durch einen Numerus clausus kann der Ansturm der Studenten überhaupt im Griff gehalten werden.
Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern das Ergebnis einer vergleichsweise guten Ausbildung, dass junge Deutsche im Gegensatz zu ihren südeuropäischen Kommilitonen nicht so häufig in de USA oder in Großbritannien studieren müssen. Wer in Mannheim oder München studieren kann, muss nicht unbedingt ans renommierte Massachusetts Institute of Technology nach Amerika, um etwas zu lernen. Vielleicht sollte man das den angelsächsischen Personalberatern in den internationalen Organisationen einmal klarmachen.
HANS-WERNER SINN ist Präsident des Ifo-Instituts und Prqfessor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Uni München., Von 1997 bis 2000 war er Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik. |