Rentenhöhe nach Kinderzahl

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Welt am Sonntag, 08.04.2001, S. 56

Das Verfassungsgerichtsurteil zur Pflegeversicherung muss bei der Altersversorgung berücksichtigt werden

München - Zehn Deutsche haben im Laufe ihres Lebens weniger als zehn Kinder, die Relation von Alten und jungen wird sich bis zum Jahr 2035 mehr als verdoppeln, und die Deutschen sind dann das älteste Volk auf dieser Erde. Nicht weniger als 40 Millionen jüngerer Einwanderer wären nötig, um die Relation von Alten und jungen bis zu diesem Jahr konstant zu halten.

Die Überalterung ist das Ergebnis einer veränderten Lebensplanung der jungen Menschen. Die DINK-Familie (double income, no kids) setzt sich immer mehr durch. Mit zwei Einkommen für zwei Familienmitglieder lebt es sich nun einmal besser als mit einem für fünf.

Die Entwicklung wird die Wachstumskräfte Deutschlands erlahmen lassen. Noch liegen die stärksten Altersjahrgänge der Deutschen im Bereich zwischen 35 und 40 Jahren. In den nächsten Jahren werden diese Jahrgänge die New Economy weiter vorantreiben und einen Wachstumsschub hervorbringen. Aber fünfzehn Jahre später wird der Ofen sich abkühlen, und dreißig Jahre später ist er aus. Die jetzt 35-Jährigen sind dann in Rente, und nach dieser Generation kommt nicht mehr viel.

Es wird Zeit, dass sich Deutschland grundsätzlich mit dem Problem seiner Überalterung auseinander setzt. Eine Generation, die weder Humankapital bildet, indem sie Kinder großzieht, noch Realkapital, indem sie Sparvermögen ansammelt, muss im Alter hungern, denn von nichts kommt nun einmal nichts. Die Deutschen haben es vorgezogen, nicht mehr so viele Kinder in die Welt zu setzen, wie das früher einmal üblich war, und sie haben ihre Sparquote nicht erhöht, sondern verringert. Daher droht eine Versorgungskrise für die Alten.

Die Erhöhung der Ersparnisse ist das Mindeste, was man heute zur Abwendung der Krise tun muss. Bei der Rentenreform die staatliche Sparförderung an die Stelle des Sparzwangs zu setzen, ist eine Versicherung war ein Fehler. Wer sein Geld nicht für Kinder ausgibt, dem kann man sehr wohl zumuten, es in die Sparbüchse zu stecken.

Noch wichtiger wäre es freilich, die Einstellung der jungen Menschen zu Kindern und Familie zu ändern. Dabei geht es nicht etwa darum, den Staat für Dinge zuständig zu machen, die ihn nichts angehen, sondern umgekehrt darum, die massiven Eingriffe in die Familienplanung zurückzunehmen, die er derzeit auf dem Wege über die Rentenversicherung ausübt. Die Rentenversicherung ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit, denn sie verschafft einem im Alter Ansprüche gegen die Kinder anderer Leute, wenn man selbst keine hat.

Bevor Bismarck die Rentenversicherung einführte, war jedermann klar, dass er ohne eigene Kinder im Alter arm sein würde und sich auf die Almosen seiner Verwandten verlassen müsste. Kinder zu haben, gehörte deshalb zur normalen Lebensplanung, wie es auch heute noch in den meisten Ländern dieser Erde der Fall ist. Die Rentenversicherung hat die Verbindung zwischen dem Lebensstandard im Alter und der Zahl der eigenen Kinder jedoch zerstört. Von Generation zu Generation haben sich die Lebensplanungen allmählich verändert, und heute ist der Zusammenhang zwischen Kindern und Alterskonsum vollständig aus dem Bewusstsein der jungen Leute verschwunden. Niemand denkt mehr an die Rente, wenn er Kinder plant. Dies beweist, wie stark die Fertilitätshemmung ist, die die staatliche Rentenversicherung ausübt.

Die aus dem Rentensystem resultierenden Fehlanreize müssen zurückgenommen werden. Die Beiträge zur Renten- und Pflegeversicherung nach der Kinderzahl zu staffeln, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert, ist eine sinnvolle Möglichkeit. Allerdings liefert sie keinen Beitrag zur Entlastung der zukünftigen Generationen, denen angesichts ihrer geringen Stärke die Beitragslasten nicht mehr zugemutet werden können. Besser wäre es, die Renten nach der Kinderzahl zu staffeln. Jenen Rentnern, die durch eigene Kinder selbst die Grundlagen für die Rentenbeiträge geschaffen haben, sollten Kürzungen erspart werden. Die anderen müssen mit weniger auskommen, aber sie verfügen ja über die Finanzmittel, die benötigt werden, die Rentenlücke durch eigene Ersparnis aufzufüllen.

Ein solches System würde den jungen Menschen wieder klar machen, dass sie selbst für ihre Rente verantwortlich sind. Und sie würde wenigstens einen Teil der natürlichen Motive für den Kinderwunsch wiederherstellen. Traditionelle Familienförderung versucht, die Sozialisierung des Humankapitals bei der Rentenversicherung durch Transfers an kinderreiche Familien auszugleichen. Die Staffelung der Renten nach der Kinderzahl erreicht demgegenüber ein ähnliches Ziel durch die Rücknahme des Interventionsvolumens. Sie ist prinzipiell das richtige Mittel, den Anforderungen des Verfassungsgerichts zu entsprechen.

Hans-Werner Sinn ist Präsident des
Ifo-Instituts in München.

Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Welt am Sonntag.