VON PROFESSOR HANS-WERNER SINN, PRÄSIDENT IFO-INSTITUT
Die Zahl der Arbeitslosen und Pleiten ist auf Rekordniveau. An der katastrophalen Bilanz ist nicht nur die schwache Weltkonjunktur schuld, sondern vor allem die hohen Lohnkosten. Die Erhöhung der Wochenarbeitszeit wäre ein Rezept, um die Lohnkosten relativ schnell zu senken und den Standort Deutschland wieder attraktiver zu machen.
Der Standort Deutschland verliert an Konkurrenzfähigkeit, darüber können auch Exportrekorde nicht hinwegtäuschen. Denn die deutsche Wirtschaft hat ein Lohnkostenproblem. Die Stundenlohnkosten in der Industrie sind in den vergangenen 20 Jahren real um fast 40 Prozent gestiegen. Kein Wunder, dass die Stundenlöhne hier zu Lande die höchsten weltweit sind.
Sie liegen ein Vielfaches über denen in Osteuropa, in Fernost, aber sie sind auch deutlich höher als in anderen EU-Mitgliedsstaaten. Gerade mittelständische Unternehmen spüren die Lohnlast. Wer keine Chance hat, die Produktion ganz oder teilweise ins Ausland zu verlagern, dem steht schnell das Wasser bis zum Hals. Oft ist der Konkurs - deren Zahl ein Rekordniveau erreicht hat - unausweichlich.
Wie dramatisch die Situation inzwischen ist, macht ein Beispiel deutlich: Trotz der Flaute der Weltwirtschaft schafften es die Niederlande, ein hohes Beschäftigungsniveau zu halten. Die Ursache liegt auf der Hand: Die holländischen Löhne sind in den vergangenen zwanzig Jahren um nur 23 Prozent gestiegen. Um dieses Niveau zu erreichen, müssten die deutschen Lohnkosten, pro Stunde gerechnet, um zwölf Prozent sinken.
Das könnte dadurch erreicht werden, dass die Arbeitnehmer die Arbeitgeberbeiträge zur Renten-, zur Arbeitslosen- und zur Pflegeversicherung oder den Renten- und Krankenversicherungsanteil der Unternehmen tragen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Lohnsteigerungen elf Jahre lang um einen Prozentpunkt unter dem Produktivitätszuwachs bleiben. Mit beiden Varianten dürfen sich weder Gewerkschaften noch die meisten Arbeitnehmer anfreunden. Doch ohne Verzicht auf lieb gewordene Besitzstände wird es nicht gehen, da Deutschland sonst unweigerlich noch weiter gegenüber ausländischen Wettbewerbern zurückfallen würde. Die Konsequenz wäre: noch mehr Pleiten, noch mehr Arbeitslose.
So lange zu arbeiten wie die Italiener ist vertretbar
Die Deutschen müssen sich daran gewöhnen, wieder mehr zu arbeiten. Das würde den Unternehmen ebenfalls eine spürbare Kostenentlastung bringen. Eine Ausdehnung der Arbeitszeit um elf Prozent entspräche einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit um vier Stunden. Das bedeutet, dass die Arbeitszeit wieder 40 Stunden und darüber betragen wird. Das ist kein Beinbruch. Es entspricht ungefähr dem Niveau von vor 20 Jahren.
Auch im internationalen Vergleich würde Deutschland dadurch nicht den Rahmen sprengen. Derzeit ist die Arbeitszeit in Deutschland die drittniedrigste der OECD-Länder. Würde die Arbeitszeit um elf Prozent erhöht, würde Deutschland mit 1628 Stunden im oberen Mittelfeld liegen. Sie wäre auf jeden Fall niedriger als in Großbritannien, Spanien, Finnland oder Irland.
Die Arbeitszeit hier zu Lande hätte dann das italienische Niveau erreicht, das ja bekanntlich mit dem Dolce Vita kompatibel ist. Was also hindert uns daran, diese sinnvolle Maßnahme umzusetzen, um der deutschen Wirtschaft mehr Luft zu verschaffen?